„Große Chance und spannende Zeit für Rumänien“

Interview mit Christian Flisek, Mitglied des Deutschen Bundestages

MdB Christian Flisek (links) zusammen mit dem Vorsitzenden des Deutschen Wirtschaftsklubs Kronstadt, Werner Braun, bei der Gesprächsdebatte zum Thema Chancen und Herausforderungen für KMU im Raum Kronstadt.
Foto: Ralf Sudrigian

Anlässlich seiner ersten Reise nach Rumänien besuchte MdB Christian Flisek vor zwei Wochen auch Kronstadt/Braşov. Der 2013 in den Bundestag gewählte Abgeordnete hat gleich mehrere politische Ämter: er ist Obmann des NSA-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag, Beauftragter der SPD-Bundestagsfraktion für Existenzgründungen sowie SPD-Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen. 2013 wurde Flisek zum Vorsitzenden der SPD in Niederbayern gewählt.

Der erste Teil des Gesprächs, das der deutsche SPD-Politiker der „Karpatenrundschau“ in Kronstadt gewährte, bezieht sich unter anderem auf die Perspektiven, die Rumänien, speziell Kronstadt, deutschen Investoren bieten könnte. Im zweiten Teil des Interviews, das in der nächsten KR-Ausgabe veröffentlicht wird, geht es um zwei Themen, die zur Zeit nicht nur in Deutschland die Öffentlichkeit beschäftigen: die Untersuchungen der NSA-Aktivitäten in Europa und die Verhandlungen zur Unterzeichnung des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP).


Welche sind Ihre ersten Eindrücke nach Ihrem Aufenthalt in Kronstadt?

Beim Treffen mit Vertretern des Deutschen Wirtschaftsklubs Kronstadt (DWK) war ich sehr beeindruckt, wie gut organisiert diese Wirtschaftsklubs hier sind – es handelt sich ja um ein Netzwerk, das sich über das ganze Land zieht. Der DWK-Vorsitzende, Herr Werner Braun, konnte mir sehr vieles mitteilen bezüglich der Chancen und Schwierigkeiten für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Region. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir ein realistisches Bild gezeichnet hat. Da nun in Kronstadt eine Art Luftfahrtcluster entsteht, werde ich im Bundeswirtschaftsministerium anregen, dass die parlamentarische Staatssekretärin und Luftfahrtbeauftragte der Bundesregierung, Brigitte Zypries, mit mir zusammen für zwei Tage nach Kronstadt kommt.

In Kronstadt hatten wir auch ein Mittagessen mit Herrn Wittstock vom Deutschen Forum Kronstadt, mit Herrn Macedonschi, der den Stadtrat repräsentierte, und mit Herrn Sifft von der Saxonia-Stiftung. Es war für mich interessant, die Einschätzung der deutschen Minderheit in Bezug auf die politische Situation kennenzulernen. Ich habe festgestellt, dass man sich stark auf die kommenden Kommunalwahlen konzentriert. Man hat offensichtlich die Hoffnung, dass mit einem Vertreter der deutschen Minderheit an der obersten Stelle des Staates, mit Herrn Johannis, auch die Bereitschaft der rumänischen Bevölkerung wächst, dem Deutschen Forum mehr Vertrauen zu schenken. Man wünscht sich anscheinend, dass diese Partei nicht nur als eine Minderheitenpartei angesehen wird, sondern als eine Partei, die so etwas wie einen neuen, sauberen Wind in die Politik bringt. Hier besteht eine große Chance. Unabhängig von Parteifamilien kann ich die Vertreter des Deutschen Forums nur ermuntern, diesen Weg zu gehen, denn ich glaube, dass dies ein guter Weg ist.

Wie sehen Sie die Rolle des Mittelstandes in einer globalisierten Wirtschaft?

Der Mittelstand ist in Deutschland das Rückgrat der Wirtschaft. Die KMU haben im industriellen Bereich eine sehr enge Beziehung zu den großen Industrieunternehmen. Diese sind darauf angewiesen, dass der Mittelstand als Zulieferer funktioniert und dass vor allen Dingen die Qualität der zugelieferten Produkte stimmt. Das führt dazu, dass wir einen sehr ausdifferenzierten, sehr spezialisierten Mittelstand haben.

Es gibt in ganz Deutschland Unternehmen mit 500 bis 1000 Mitarbeitern, die in ihren Bereichen Weltmarktführer sind. Das sind die sogenannten „hidden champions“. Wenn man die Namen dieser Unternehmen nennt, sind sie nicht jedem Deutschen geläufig, aber sie haben ein ungeheures Potenzial. Auch diese Unternehmen sind Teil der Globalisierung. Zum Teil haben sie übrigens auch Produktionsstandorte in Rumänien. Aus meiner Heimtatregion Niederbayern trifft dies zum Beispiel auf die Firma Dräxlmaier zu. Prägend für den Begriff „Mittelstand“ ist aus meiner Sicht, dass das Eigentum am Unternehmen immer noch mit der Geschäftsführung zusammenfällt. Das heißt, wir haben keine Trennung zwischen Eigentümerseite (Kapitalseite) und Geschäftsführung, wie das bei vielen großen Unternehmen der Fall ist. Das führt zu einer ganz besonderen Art von unternehmerischer Verantwortung.

Gibt es für solche Unternehmen einen Anreiz, auch in Rumänien Investitionen zu tätigen?

Diese Unternehmen haben selbstverständlich einen Anreiz, in Rumänien zu investieren, weil es für ein Unternehmen auf Grund der Lohnkostenstruktur immer noch attraktiv ist, bestimmte Tätigkeitsbereiche in Gebiete auszulagern, wo die Lohnkosten geringer sind. Das setzt voraus, dass man dort qualifizierte Arbeitskräfte hat. Deswegen finde ich es sehr spannend, dass hier in Zusammenarbeit mit den deutschen Wirtschaftsklubs und den deutschen Unternehmen versucht wird, das duale Ausbildungssystem, so wie wir es in Deutschland seit vielen Jahrzehnten kennen, zu etablieren. Das finde ich sehr gut. Denn Menschen sollten auch außerhalb der Universitäten die Möglichkeit haben, sich beruflich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Gerade für junge Menschen aus ärmeren Familien sehe ich darin eine große Chance, sich eine berufliche Perspektive aufzubauen, die grundsätzlich nach oben offen ist. Ich bin sehr begeistert von diesem Projekt.

Besteht nicht dennoch das Risiko, dass die Besten auswandern?

Jemand, der grundsätzlich die Bereitschaft in sich trägt, auszuwandern, wird, egal wie, nicht daran gehindert werden können. Ich sehe es aber so: Wenn ein Großteil der Menschen eigentlich lieber in der Heimat bleiben würde – das ist der Ort, wo sie aufgewachsen sind, wo vielleicht noch familiäre und freundschaftliche Strukturen bestehen – dann ist eine berufliche Perspektive in der Heimat eher ein Grund, nicht auszuwandern. Wir haben in Deutschland einen Fachkräftemangel – vor allem in der Industrie. Natürlich wird es Situationen geben, wo Absolventen solcher Schulen aus Rumänien nach Deutschland abwandern, was aber nicht heißt, dass sie vielleicht nicht wieder zurückkehren. Dieser Austausch kann sehr befruchtend sein. Ich glaube, man muss in Rumänien deshalb keine Angst haben. Menschen sind heimatliebender als man glaubt. Viele Menschen verlassen ihre Heimat nur dann, wenn sie keine wirtschaftliche Perspektive haben. Und dieses Projekt sorgt dafür, dass man ihnen eine eröffnet.
 
Wie könnte der Kreis der potenziellen deutschen Investoren in Rumänien erweitert werden?

Ich glaube, dass man für den Investitionsstandort Rumänien, speziell Siebenbürgen, aktiver werben müsste. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass der Standort auch aufgrund der Außenberichterstattung über die politischen Verhältnisse nicht den besten Ruf genießt. Da werden viele Vorurteile angeführt, die sich auflösen, wenn man sich mit Rumänien intensiver auseinandersetzt. Korruption ist das größte Gift für eine Investition. Die goldene Regel der Investition ist Planbarkeit: Was muss ich investieren, was kostet mich das? Das sind die beiden wesentlichen Fragen des Investors.

Dann habe ich meine Investitionsplanung, ich habe die Rechtsregeln, ich habe die Steuerregeln und kann mich einigermaßen darauf verlassen, dass sich über einen Zeitraum von fünf Jahren nicht viel ändert. Es braucht Vertrauen im Verhältnis zwischen Unternehmen, Wirtschaft und Staat. Aus meiner Sicht ist das die Basis für einen guten Investitionsstandort. Wenn die Tagesnachrichten hingegen voll von Korruptionsmeldungen sind, ist das für Investitionen nicht förderlich.

Die Tatsache, dass Korruption in Rumänien momentan verfolgt wird und kein korrupter Politiker, kein korrupter Beamter, egal in welcher Position, sich mehr sicher sein kann, nicht verfolgt zu werden, ist ein gutes Zeichen. Dass diese Art der Verfolgung bei gewissen Verantwortlichen eine Schockstarre auslöst, dass es eine Angst gibt, etwas verantwortlich zu unterschreiben, das ist eine gegenläufige Entwicklung.

Man muss neue, frische Kräfte motivieren, für dieses Land, für die Region und für die Kommune Verantwortung zu übernehmen. Die Kommunalwahlen stellen in dieser Hinsicht eine große Chance dar. Ich glaube, mit Herrn Johannis als Staatspräsidenten ist momentan ein Zeitfenster geöffnet, das man unbedingt nutzen sollte. Es ist also eine große Chance und eine spannende Zeit für Rumänien.

Wie wichtig ist der Beitritt Rumäniens zum Schengener Raum?

Ich komme aus Passau. Die Autobahn, die über Wien, Linz und Passau nach Nürnberg führt, ist eine der zentralen Strecken, über die auch viel Verkehr aus Ungarn und Rumänien fließt. Ich sehe hier eine große Freizügigkeit. Schengen hat große Voraussetzungen, was zum Beispiel den Schutz an den Außengrenzen betrifft. Wir dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen, weil es in Zeiten einer internationalen terroristischen Bedrohung wichtig ist, dass die EU ihre Außengrenzen aktiv schützt. Ich würde Schengen momentan als kein großes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung in Rumänien sehen. Es ist sicherlich so, dass es gewisse Einschränkungen im Personenverkehr gibt. Man sollte die Aufhebung dieser Einschränkungen forcieren, es aber auch nicht übertreiben. Denn es gibt andere, viel entscheidendere Dinge.

Die SPD gehört derselben Parteifamilie an wie die rumänische Regierungspartei. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen, die das Verhalten von Premier Victor Ponta betreffen, der sich auf seine parlamentarische Immunität beruft und nicht an einen Rücktritt denkt?

Sie sprechen von Parteifamilie: Man kann sich seine Familienmitglieder, das ist in der Politik genauso wie im realen Leben, nicht immer aussuchen. Zweitens ist die Immunität nicht dazu da, einen Abgeordneten oder einen Politiker mit schwerwiegenden Straftaten zu schützen. Die Immunität soll einen Abgeordneten vor Willkür und vor noch nicht bewiesenen Vorwürfen schützen. In vergangenen Zeiten wurde die Strafverfolgung auch instrumentalisiert, um unliebsame Politiker mundtot zu machen.

Wir sind heute, meine ich, in einer anderen Zeit. Wenn Vorwürfe im Raum stehen, dann hat sich ein verantwortlicher Politiker in einem Rechtsstaat auch diesen Vorwürfen zu stellen. Wenn die Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Immunität von Politikern missbraucht wird, um sich vor Strafverfolgung zu schützen, findet sie keine Unterstützung mehr. Wir haben in einem Rechtsstaat keine Zweiklassen-Justiz. Politiker stehen auf derselben Stufe wie alle anderen Bürger und Unternehmen. Wenn Vorwürfe im Raum stehen, dann sind alle Bürger vor dem Gesetz gleich. Da darf die Immunität kein Privileg sein.

Das Gespräch führte
Ralf Sudrigian