Herkunft prägt Zukunft. 800 Jahre Burzenland

Festrede beim XXI. Sachsentreffen in Kronstadt am 17. September 2011 (I)

Hansgeorg von Killyen, Vorsitzender der HOG Kronstadt in Deutschland, hielt die Festrede in der Redoute anlässlich des 21. Sachsentreffens. Der Jugendbachchor geleitet von Steffen Schlandt (sitzend) bot gekonnt Lieder aus Burzenländer Gemeinden.
Foto: Dieter Drotleff

800 Jahre Deutscher Orden im Burzenland: Kaum ein anderes Thema stand in den letzten Monaten so häufig in den siebenbürgisch-sächsischen Medien und auch bei diversen Veranstaltungen im Zentrum des Bewusstseins wie dieses.

Die große Exkursion von Marienburg nach Marienburg, an der viele von den hier Anwesenden teilgenommen haben, die Tagungen des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde vor Ort, weitere Veranstaltungen z. B. in Potsdam, nächste Woche, das sind einige weitere Beispiele der Präsenz der Deutschordensritter im kollektiven Bewusstsein der Gegenwart.

Besonders die Frage, die der wohl beste Kenner dieser Thematik, der Mediävist Prof. Dr. Harald Zimmermann – vor nicht allzu langer Zeit erschien in zweiter Auflage sein Standardwerk „800 Jahre Deutscher Orden in Siebenbürgen“– sich stellt: „Ist dieses Jahr 2011 ein Jubeljahr?

Worüber soll man jubeln und was sind 14 Jahre Deutscher Ritterorden im Burzenland gegen 850 Jahre Siebenbürger Sachsen? Warum also feiern wir diese Ordensritter jetzt, wenn ihre Spuren kaum noch sichtbar sind und sie längst vergangenen Zeiten angehören?“ Dazu gesellt sich die relativ neue historische Erkenntnis, dass Kronstadt als Siedlung wahrscheinlich schon v o r 1211 bestand und die Gründung der Stadt nur indirekt etwas mit dem Ritterorden zu tun hat.

Und dennoch. Wir können in der Geschichte immer wieder Zeiten von ganz kurzer Dauer finden, die für die Nachwelt von größter Bedeutung sind. Ein negatives Beispiel dazu: Die 12 (!) Jahre nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland von 1933 bis 1945 haben weltweit unendlich viel Kummer, Leid, Tod und Zerstörung hinterlassen. Ihre traumatischen Spuren werden noch sehr lange erkennbar bleiben.

Feiern wir also Feste, wie sie fallen, und gedenken wir dieser Ritter und ihrer Zeit vor 800 Jahren seit ihrer königlichen und päpstlichen Berufung und auch ihrer Vertreibung nach nur 14 Jahren aus dem Burzenland.

Gedenken wir der wenigen Jahre um 1211, als der ungarische König Andreas II. und seine bayrische Ehegattin, Prinzessin Gertrud von Andechs, ihr nur vierjähriges Töchterlein Elisabeth (die spätere Heilige Elisabeth) schon im Kindesalter nach Thüringen schickten, wo sie später einmal den Sohn des dortigen Landgrafen heiraten sollte.

So war das damals beim Hochadel üblich. Allein dieses Ereignis ist von großer symbolischer Bedeutung, ging es hier doch um die Anbindung der Menschen Ostmitteleuropas, also auch Ungarns, an das Abendland – jetzt durch die Verlobung eines Arpadenkindes mit einem Mann aus höchstem und einflussreichem Adelshaus.

Auch in der weiteren Geschichte des Donau-Karpatenraumes bestand und besteht das konstante Bestreben, die Bindung an das Abendland zu bewahren und auszubauen. Hunderte Beispiele lassen sich finden, die den Impetus nach dem Westen untermauern.

Denken wir nur an die Siebenbürger Sachsen, deren Eigenständigkeit und Identität sich mehr als 800 Jahre lang auch durch ihre geistigen und wirtschaftlichen Bindungen an das Abendland erhalten haben. Oder denken wir an die rumänischen siebenbürgischen Intellektuellen, z. B. die Gelehrten der [coala ardelean² Petru Maior, Samuil Micu, Gheorghe [incai und Ion Budai Deleanu bis hin zu den großen Philosophen rumänischer Wurzel des 20. Jahrhunderts Emil Cioran, Constatin Noica und Mircea Eliade, deren Wirken in Wien oder in Paris oder noch weiter in Amerika nicht zufällig war.

Was hat das alles mit dem Deutschen Orden im Burzenland zu tun, dessen erste Erwähnung vor genau 800 Jahren wir heute und hier feiern? Was wissen wir aus der nur 14 Jahre dauernden Präsenz dieses Ordens im südöstlichsten Eck Ungarns? Sind wir heute, im Jahre 2011, weiser und klüger als unsere historisch aktiven Vorfahren der letzten zwei Jahrhunderte, die in ihrer Erinnerungskultur die Ritter oft etwas mystisch verbrämt dargestellt haben? Was ist geblieben, was ist historisch belegbar, was sind Mutmaßungen? Ist das meiste nur Legende und nationaler Geschichtsmythos?

Ich möchte hier nicht auf die Ritter, die päpstliche Autorität und die Kreuzfahrer eingehen und auch nicht auf die Bemühungen des Deutschen Ordens, deren späterer Hauptauftrag es war, in Ostpreußen eine dominierende Position zu sichern – oft getarnt auch als Kampf gegen die Heiden. Ob die Ritter dort im fernen Ostpreußen die Beschützer einer Erobererkolonie waren oder Bollwerk des lateinischen Christentums?

Ich bin nicht befugt, auf all die Fragen über die Geschichte des Ordens auch nur annähernd Antworten zu finden. Was weiß man über diesen ordo teutonicus, auch Deutschherrenorden genannt, dessen ursprünglicher Name viel harmloser klingt, und zwar „Orden der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem“?

Was wissen wir über das Leben der vielleicht zwölf oder mehr Reiter in weißen Mänteln mit dem großen, schwarz gezeichneten Kreuz am Rücken, mit Schwert und Lanze bewaffnet? Kamen sie allein oder hatten sie einen Tross Begleiter dabei, waren sie Mitglieder der oberen Klassen oder Ministerialien, eine Art privilegierte Mittelschicht?

Sicher waren sie Mönche, die nach strengen Ordensregeln, in Askese und mit abgelegtem Zölibatsgelübde ihr Dasein gestalteten. Konnten sie lesen und schreiben? Haben die im Burzenland stationierten Ritter etwas mit der Kulturrevolution jener Zeit, mit der Ausbreitung des Rittertums in Frankreich und in Deutschland und dem höfischen Leben, mit den bedeutsamen ersten Dichtungen, der Entwicklung der deutschen Kanzlei- und Literatursprache zu tun?

Wieso kam die ursprünglich karitative Ausrichtung des Kreuzfahrerordens, etwa mit der Errichtung von Hospitälern, im Burzenland nicht zum Tragen? Bekanntlich hatte der Ordensmeister, Hermann von Salza – er wurde 1209 in diesen höchsten Stand seiner Kreuzritter erhoben –, in Thüringen auf dem Fundament eines Hospitals die älteste Kommende und spätere Ballei – ein Verwaltungszentrum der Ritter – Thüringens errichtet. Danach entstanden Hunderte von Hospitälern und Niederlassungen der Ordensritter von Zypern und Sizilien bis Mitteleuropa.

War die Präsenz der Ritter im Burzenland die Generalprobe für ihr Wirken an der Ostsee? Was haben sie im Burzenland hinterlassen? Die mutmaßlichen fünf oder sieben Burgen, von der Marienburg, deren heutige Ruine auf der Flussterrasse des Altes später entstanden ist, bis zur Kreuzburg am Bodsauer Pass und der Schwarzburg am Zeidner Berg? Wie haben sie gewohnt, gelebt, gegessen und geliebt?

War es tatsächlich nur die Konkurrenz und die Furcht des Königs vor dem Sesshaftwerden der sicher bestens organisierten und militärisch geschulten Ritter? Waren es nur die Heerscharen Andreas II. und der bereits einige Jahrzehnte vorher dort angesiedelten Deutschen, die sie gewaltsam vertrieben haben?