„Ich wünsche mir weiterhin, dass wir unser Wissen an die Gemeinschaft weitergeben können“

Interview mit Dr. Delia Cotârlea, Koordonatorin der Kronstädter Germanistik-Abteilung

Die Germanistik-Abteilung an der Kronstädter Transilvania-Universität wurde Anfang der 1990er Jahre gegründet. Nach 2000 ist auch die Angewandte Fremdsprachen/LMA-Abteilung dazugekommen. Seit 1998 wird jedes Jahr eine Kronstädter Germanistiktagung organisiert, die Ende März, nach zwei Jahren Corona-Einschränkungen, wieder im Präsenz-Format stattfand.

Vor Kurzem vollzog sich auch ein Generationswechsel an der Kronstädter Germanistik: Dr. Delia Cotârlea übernahm die Leitung von Dr. Carmen Puchianu. Dabei sieht sie sich selbst nicht als Leiterin, sondern eher als Koordinatorin des siebenköpfigen LehrerInnen-Teams und meint, dass alle wichtigen Entscheidungen und Planungen in Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen genommen werden.

Über die Herausforderungen eines nicht so leichten Jobs, über Änderungen  und Zukunftspläne sprach mit Delia Cotârlea die KR-Redakteurin Elise Wilk.

Vor genau acht Jahren, im Juni 2015, habe ich ein Interview mit Prof. Dr. Carmen Puchianu, geführt, die damals die Germanistik-Abteilung leitete. Sie sagte, dass man seit 2013 auch Studenten ohne Deutschkenntnisse an der Germanistik aufnimmt und ich erinnere mich, dass ich anfangs verwundert war. Danach hat sie mir erklärt, dass sonst das Risiko existierte, nicht genug Studenten zu haben. Wie ist es heute?

Wir nehmen im Fach Germanistik Studierende ohne Vorkenntnisse, also als Nullanfänger, auf, aber wir nehmen auch Leute auf, die schon Deutsch können. In solchen Situationen arbeitet man differenziert. Prinzipiell sollten Studierende, die als Anfänger ihr Studium begonnen haben, nach dem Bachelor-Studium das Niveau B1 erreichen.  Die Strategie ist dabei jene, dass man mit einem Masterstudium auf Stufe B2 kommt. Das bedeutet, jene Abgänger könnten nach ihrem Studium Deutsch als Fremdsprache für das Niveau A1 und A2 unterrichten.

Wir bewegen uns aber langsam in Richtung einer Auslands-Germanistik, wo die wenigsten Studierenden mit soliden Deutschkenntnissen Germanistik studieren wollen.

Wenn man Deutsch spricht, ist es viel einfacher, einen gut bezahlten Job zu bekommen, oder ein Studium zu beginnen, das profitabler ist, und das nicht nur aus finanzieller Sicht. Der Stellenwert des Lehrerberufs innerhalb unserer Gesellschaft mischt mit. Lehrer werden leider noch nicht so hoch angesehen, sodass sich die Absolventen nach Berufen orientieren, die eher zukunftsorientiert sind und darüber hinaus einen finanziellen Ertrag sichern.

Warum meinen Sie, dass der Lehrerberuf nicht mehr so gut angesehen ist?

Ich glaube, wir befinden uns seit 1989 in einem Umbruch. Finanzielle Werte zählen vorläufig mehr, und es wird noch eine Weile dauern, bis intellektuelle Werte wieder geschätzt werden. Das ist eng damit verbunden, dass der Kommunismus das Bildungsbürgertum zerstört hat.
Und was wir heute an Schulen und Universitäten sehen, das ist nicht unbedingt die Schuld der Schüler, und ich will auch der Schule keineswegs die Schuld in die Schuhe schieben – ist ein sehr komplexes Bild.  Ich finde, es gehört weniger zum Habitus von Schülern und Studierenden, ein Buch zu lesen, autonom zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen, was es heißt, wirklich einen Wert in der Bildung und in eigenen Wissen zu sehen.

Sie haben Bücher und Lesen erwähnt. Lesen die Kronstädter Germanistik-Studenten noch?

Sie lesen größtenteils Rumänisch im ersten und zweiten Studienjahr, Fragmente besprechen wir in deutscher Sprache. Es gibt jedes Semester die Pflicht, mindestens zwei bis drei Werke zu lesen, aber dass sie jetzt die ganze deutsche Literatur lesen, ist nicht mehr möglich.

Das ist aber im Ausland auch so - in den Vorlesungen bekommt man einen Gesamtüberblick und  spezialisiert sich dann auf eine bestimmte Nische. Das ist  für unsere Studierenden ebenso nötig.Die meisten von ihnen, sollten sie Lehrer werden, unterrichten Deutsch als Fremdsprache. Aber wenn sie einen Überblick über die deutsche Literatur gewinnen, hilft ihnen das auch, anders zu unterrichten.

Woher kommen die Studenten, die in Kronstadt Germanistik studieren?

Manche kommen aus Kronstadt, aber nicht von der Honterusschule, sondern von Schulen, in denen Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird. Andere kommen aus der ungarischsprachigen Region (Harghita und Covasna), aus der südlichen Region (Buz˛u, Ploie{ti) oder aus der Moldau.
Viele von ihnen kommen aus dem ländlichen Teil und kehren nach dem Studium zurück nach Hause,wo sie Stellen als Lehrkräfte finden. Diesbezüglich finde ich es überhaupt nicht verkehrt, dass beispielsweise ein Absolvent mit B1- und B2-Kenntnissen in einer kleinen Ortschaft Deutsch A1 und A2 unterrichtet, das ist ein Gewinn. Natürlich ist das eine komplett andere Perspektive im Vergleich zum traditionellen Germanistikstudium.

Wer will noch heutzutage Deutschlehrer an einer deutschsprachigen Schule sein?

Es gibt einen hohen Bedarf, wir haben auch gute Absolventen, meist von der Abteilung Moderne Angewandte Fremdsprachen, die diesen Weg gehen könnten.  Und wir sind nicht die einzige Universität, es gibt die Germanistiken in Hermannstadt, Klausenburg, Temeswar, Jassy und Bukarest. Absolventen, die aus Kronstadt stammen, kehren zurück und unterrichten hier.

Seit wann unterrichten Sie an der Kronstädter Germanistik?

Ich habe als Kind eine deutsche Schule in Neustadt besucht. Später ging ich aufs Șaguna-Lyzeum.
Anschließend habe ich in Hermannstadt Germanistik und Anglistik studiert und einen Aufbaustudiengang im Bereich der Translationswissenschaften besucht. Zwischen 1999 und 2005 habe ich an der Hermannstädter Uni als Hilfsassistentin gearbeitet. Dadurch, dass ich hier in Kronstadt eine Familie gegründet habe, bin ich 2005 auch beruflich umgezogen. Seit diesem Jahr war ich auch freie Mitarbeiterin der Kronstädter Universität. Seit 2012 bin ich fest angestellt, wobei meine Schwerpunkte im Bereich von Literatur, Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik liegen. Ich habe auch am Deutschen Kulturzentrum unterrichtet.

Wie groß ist das LehrerInnen-Kollektiv der Germanistikabteilung?

Wir sind sieben Lehrer. Im Bereich des Unterrichts an den technischen Fakultäten haben wir keine extra Lehrkraft.
Wir haben letztes Jahr eine Stelle ausgeschrieben und leider hat sich niemand gemeldet.

Vor acht Jahren sagte mir Frau Dr. Carmen Puchianu, dass es unbedingt nötig wäre, eine Doktorandenschule einzuführen.

Frau Puchianu ist jetzt habilitiert und betreut Doktoranden im Bereich Literaturwissenschaft, und in Zukunft werden wir auch in den Sprachwissenschaften eine habilitierte Kollegin haben.

Leider geben einige das Doktoratsstudium auf. Das ist m.E. mit dem falschen Erwartungshorizont verbunden. Die deutsche Wissenschaftssprache ist kompliziert, das lernt man in vielen Jahren Arbeit. Viele Doktorandinnen und Doktoranden sind nicht auf so einem hohen Niveau, was die Deutschkenntnisse betrifft. Deshalb sehen wir es als möglich, dass in Zukunft auch Arbeiten in rumänischer Sprache entstehen werden.

Was sind die Zukunftspläne der Kronstädter Germanistik?

Wir führen die Germanistiktagung weiter, und unser jährlicher Band Kronstädter Beiträge zur germanistischen Forschung hat einen guten Ruf. Unsere letzte Tagung im März 2023 war besonders gelungen, wir hatten internationale Gäste aus Deutschland, Österreich, der Türkei, Griechenland und Polen, es kamen natürlich Vertreter der Germanistik-Lehrstühle aus dem ganzen Land darunter acht Doktorandinnen und Doktoranden, was uns sehr gefreut hat.  Die Kronstädter Tagung hat einen guten Ruf, nicht nur dank des akademischen Standards, sondern auch durch die Vernetzung, die dabei stattfindet.

Ebenfalls wünsche ich mir weiterhin, dass wir unser Wissen an die Gemeinschaft weitergeben können. Ich selbst bin an Kulturprojekten interessiert und bereite jetzt ein Hörbuch vor. Zusammen mit drei MasterandInnen nehmen wir an der Universität auf, wo es eine Audio-Anlage gibt. Es handelt sich um Werke von Carmen Elisabeth Puchianu.

Sie wird einiges auch selber lesen, wobei die Studierenden zwei Erzählungen lesen werden. Als Vorspann wird es eine Interpretation für jede Erzählung geben, die die Studierenden selbst erarbeitet haben. Als Nachtrag wird jede(r) über seine Erfahrungen bei der Aufnahme der jeweiligen Erzählung sprechen. Das Hörbuch wird im Herbst fertig sein, und wir haben vor, es auch auf einen Streaming-Dienst hochzuladen. Falls es erfolgreich wird, wollen wir das Projekt weiterführen.