In Rom lachen die Möwen

Impressionen einer Reise der Kronstädter Drei Grazien (I)

Im Forum Romanum

Möwen fühlen sich gut in der italienischen Hauptstadt
Fotos: die Verfasserin

Es gibt Momente im Leben, die sich einem zwangsläufig als besonders gewichtig ins Bewusstsein drängen und die grundsätzlich mit der verschärften Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit zusammenhängen. Sie machen einem ebenso viel Angst wie Freude, denn sie bewegen einen zu Ungewöhnlichem, will sagen zum Ausscheren aus dem Gewohnten, zum Reisen zum Beispiel ganz so, als könne man dadurch festhalten, was flüchtig ist und dem Augenblick Bestand und Weile verleihen. Und was eignet sich denn am besten zu einem solchen Unterfangen außerhalb der gewohnten Ordnung der Dinge als eine Reise an einen Ort, wo sich Zeit und Raum sozusagen für immer zusammentun und einem den Eindruck des Ewigen glaubhaft und im wahrsten Sinn des Wortes handfest vorzuführen vermögen?

Schon ein Mal hatte man Rom als Reiseziel im Kontext eines früheren runden Wiegenfestes in Erwägung gezogen, dann allerdings Paris und im Abstand von fünf Jahren Prag den Vorzug gegeben. Nun allerdings stand schon Anfang 2016 zweifelsfrei fest, dass man in dem zu erfüllenden Lebensjahr gerade reif genug sei, um sich in die Ewige Stadt zu begeben. Denn wie alles im Leben erfordert jede einzelne Erfahrung ihre eigene Reife und Zeit.

Und während im siebenbürgisch Heimischen sich herbe Herbstkälte breit macht, erstrahlt die Ewige den reiselustigen Kronstädter drei Grazien, deren Impressionen hier zusammengefasst werden wollen, in hellem Sonnenschein und dieser macht ihnen mit südländischer Generosità und hoheitlicher Grandezza das gewagte Unterfangen, die Stadt so gut es geht zu Fuß zu erkunden, jeden der fünf Tage aufs Neue möglich..

Obschon M., P. und meine Wenigkeit noch etwas benommen und leicht migränig sind vom frühen Aufbruch aus K., der Wartezeit am Flughafen und dem Flug an sich, beginnen die Erkundungen der Kronstädter drei Grazien am frühen Nachmittag des 19. Septembers 2016 gleich nach dem Absteigen im Hotel - das übrigens den Namen California trägt-, auf der Piazza San Pietro in Vincoli, wo die gleichnamige Kirche steht und wo Michelangelos Moses in lässig gebieterischer Pose den Besuchern das herrische Profil zuwendet. Man hat ihn sich gewaltiger vorgestellt, als er hier zu sehen ist. Das liegt sicher an der Einrüstung rings um die thronende Marmorfigur im seitlichen Chor der Kirche. Moses wirkt etwas zerknirscht und sichtlich eingeengt. In seiner Miene spiegelt sich verhaltener Groll. Ein gewaltiger Anblick, auf jeden Fall. Aus der Piazza San Pietro in Vincoli gelangt man auf beinahe geradem Wege zum Kolosseum, das man bald am Ende der Straße schemenhaft aus alter Zeit erstehen sieht. Und dann steht man tatsächlich vor dem Koloss mit seinen mehrstöckigen Arkaden und Bogenfenstern, durch die man den etwas grau getönten Himmel durchscheinen sieht, und vor dem angrenzenden Forum Romanum, vom Kolosseum lediglich durch den Triumphbogen des Konstantin getrennt. Menschenmassen bewegen sich, wie einem scheint, beinahe lautlos über den Platz, stehen an den Zugängen an, zeigen ihre elektronischen Tickets vor, die sie dann am Schalter in die richtigen umtauschen werden, um das Bauwerk von innen betreten und besichtigen zu dürfen. Das Ticket erlaubt einem eine zweitägige Besichtigung, das Gelände des Forum Romanum und der Kaiserforen ist mit eingeschlossen, und in der Tat benötigt man die zwei Tage für diesen Teil der antiken Stadt, will man in gebotener Ruhe und Gelassenheit die Dinge angehen und auf sich wirken lassen. Ruhe und Gelassenheit strahlen die Überreste des antiken Roms nämlich aus, obschon hier die Lust, der Rausch und der Tumult des Spektakels in allen Formen das Leben bestimmt haben müssen und sozusagen immer noch in der Luft und zwischen den Säulen und Steinrängen liegen.

Auf den Rängen des Kolosseums sitzen sie alle, die römischen Patrizier, die Honoratioren und der Cäsar selbst und ganz oben stehen die Plebejer, die sich keinen Sitzplatz leisten können. Unten spielt sich das Kampfspektakel zwischen Mensch und Tier, zwischen Mensch und Mensch ab, das haarsträubende, aber hochdotierte Gerangel um den zeitweiligen Aufschub des vorbestimmten Todes. Der Tod selbst ist Akteur und Zuschauer zugleich, an sich ein vollkommenes Spektakel schlechthin. Kurz vor seinem grandiosen Auftritt setzt schlagartig Stille ein, sie dauert weniger als ein kurzes Anhalten des Atems, weniger als einen kurzen Augenblick, währenddessen der Pulsschlag aussetzt, und sie lässt alle zum monumentalen Standbild erstarren, das sich im nächsten Augenblick in eine fürchterlich tosende Woge aus lustvoll grässlichen Schreien und wilden Gebärden auflöst, damit der Tod seine Majestät ungehindert ausbreiten und sich feiern lassen kann, indem er in Beifall und Blut, seinem Lebenselixier sozusagen, badet und als einziger Cäsar uneingeschränkt für ewig regiert.

Was man heute vom kolossalen Bauwerk noch sehen kann, ist ein Skelett, das einem nicht nur seine ursprüngliche Monumentalität, sondern auch das technische Können seiner Erbauer auf eindrückliche Weise vor Augen führt. Man verlässt die gigantische Ruine auf Zehenspitzen, als käme man aus einer Kirche, denn tatsächlich empfindet man Demut, Ehrfurcht und eine große innere Freude, die man zunächst gar nicht als solche begreifen kann.

Weiter führt der Weg am Forum Romanum vorbei, vorbei auch an den Kaiserforen in Richtung der Piazza Navona, wo man im ersten Abenddämmer den Brunnen der vier Flüsse zu sehen bekommt und von wo zahlreiche Nebengassen wie die Strahlen der untergehenden Sonne in ebenso zahlreiche Richtungen führen, die mit Sicherheit alle die eine oder andere Sehenswürdigkeit zu bieten haben. Vorerst aber ist eine leibliche Stärkung vonnöten. In der Via Santa Maria dell’ Anima lässt man sich von einem der beflissenen Ober des Ponte e Parione ohne Zögern zum Platznehmen überreden. Man kann draußen sitzen, so warm ist es noch am frühen Abend in Rom, und man bestellt Bier und Aperol Spritz zum Löschen des Durstes und die erste echte römische Pasta zum Stillen des Hungers. Der Grappa zum Schluss, der übrigens nicht aufs Haus geht, beschwingt einen zum erneuten Aufbruch.
 

(Fortsetzung folgt)