Jesus, unser Pelikan

Liebe Leserinnen und Leser,
auf dem Bild sehen Sie einen Pelikan. Er reißt sich selber die Brust auf, um seine Jungen mit seinem eigenen Fleisch und Blut zu füttern. Das Bild stammt von der Grabplatte des Bischofs Franz Graffius, der 1627 in Birthälm beerdigt wurde. Uns ist diese Vorstellung nicht mehr sehr vertraut. Sie kommt aus einer Beobachtung in der Natur. Pelikane haben einen sogenannten Kehlsack unter ihrem Schnabel. In ihm sammeln sie Fische, welche sie zu ihren Jungen bringen. Im Nest fressen diese nun aus dem Kehlsack. Da sich bei einigen Pelikanarten das Gefieder in der Brutzeit rot färbt, entstand offenbar der Eindruck, die Vögel würden ihre Kinder mit ihrem eigenen Fleisch und Blut füttern.

Im Mittelalter war das ein beliebtes Bild, um die unbegreifliche Liebe und Hingabe Christi für seine Gemeinde zu beschreiben. Dabei wurde der Pelikan oft mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, die er schützend über sein Nest und seine Jungen hält. Oft findet sich dieses Bild bis heute im Schlussstein von Kirchengewölben. Das Kirchengewölbe, vor allem in der Epoche der Gotik, symbolisiert aber mit seiner erstaunlichen Weite den Himmel. In Kronstadt lässt sich dieses Gefühl bei einem Besuch in unserer Schwarzen Kirche gut nachempfinden. Schaut man in das Gewölbe, so hat man den Eindruck, dem Himmel ganz nahe zu sein. Hier fallen zwei alte Symbole zusammen: Jesus Christus, unser Pelikan, öffnet uns durch sein Fleisch und Blut den Himmel. Gleichzeitig schützt er uns, seine Kinder, wie die Kirche ihre Gläubigen.

Wir können hier den alten Versuch erkennen, in bildliche Worte zu fassen, was doch nicht recht mit dem Verstand zu erklären ist. Wieso werde ich durch den Tod Jesu Christi gerettet? Was bringt dieser Tod für mich? Warum gibt sich Gott selber für mich dahin? Über viele Jahrhunderte haben Pfarrer und Theologen sich an dieser Frage abgearbeitet, Antworten formuliert und Lehrstreitigkeiten ausgefochten.

Eine dieser Antworten erschließt sich im Bilde des Pelikans: Aus Liebe geschieht dies alles für mich. So wie Eltern ihre Kinder lieben, so liebt auch Gott uns Menschen. So wie sich Eltern für ihre Kinder aufopfern, so opfert sich Gott für uns. So wie Eltern ihre Kinder vor allem Schlechten beschützen wollen, so schützt uns Gott. Zu Karfreitag und Ostern erkennen wir, wie weit Gott in Jesus Christus in seiner Liebe für uns geht. Er stirbt am Kreuz für unsere Schuld. Er besiegt den Tod, damit wir leben können. Er steht vom Tode wieder auf, damit auch uns das Grab eines Tages nicht halten kann. Diese Dinge sind damals, vor fast 2000 Jahren, auf Golgatha und in Jerusalem geschehen. Die Evangelien legen Zeugnis davon ab. Doch es ist nicht bei diesem historischen Ereignis geblieben. Vielmehr können sich Karfreitag und Ostern immer wieder in unserem Leben ereignen. 

In der Formulierung zum Abendmahl wird es ganz deutlich. Da heißt es: „Christi Leib für dich gegeben!“ und „Christi Blut für dich vergossen!“ und am Ende „Der Leib und das Blut Christi bewahre dich zum ewigen Leben!“. Wie der Pelikan auf dem Bild seine Jungen mit seinem eigenen Fleisch und Blut füttert, so empfangen wir Jesus Christus im Abendmahl. Wir nehmen ihn in uns auf und er kommt zu uns. Er ist wirklich anwesend und erfüllt uns mit seiner belebenden Gegenwart. So werden Karfreitag und Ostern immer wieder aktuell und konkret in unserem Leben. Martin Luther schreibt dazu im kleinen Katechismus, dass durch das Abendmahl uns „Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit… gegeben wird; denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit“. 

Wenn wir in den kommenden Tagen Karfreitag und Ostern feiern, dann ist es gut, wenn wir uns dieser Dinge ganz beson-ders erinnern. Darüber hinaus haben wir im Abendmahl die Möglichkeit, diese beiden Feste in unser Leben mit hineinzunehmen. Immer wieder dürfen wir uns daran erinnern, wie sehr Gott uns liebt und wie teuer wir ihm sind. Wir dürfen uns unter seinen Flügeln bergen und finden Schutz in ihm. Ich wünsche Ihnen  von Herzen, dass Sie die Freude über das Osterfest immer und immer und immer wieder neu in sich aufnehmen und in Ihren Alltag hineintragen.

So verbleibe ich mit den besten Grüßen,
Ihr Pfarrer Martin Meyer