„Kronstadt hat etwas Melancholisches“

Die deutsche Lyrikerin Nadja Küchenmeister zu Gast beim Deutschen Kulturzentrum

Nadja Küchenmeister veröffentlichte bisher zwei Gedichtbände
Foto: David von Becker

Sieben Stunden lang wurde am Montag, dem 21. November, im T-Gebäude der Transilvania-Universität, aus den neuesten Werken der Lyrik vorgelesen. Dabei lasen 27 Autoren aus ihren Werken vor. Der Gedichtmarathon, der von der Philologischen Fakultät Kronstadt im Rahmen des Festivals Ethnovember organisiert wurde, ist schon seit 16 Jahren eine Tradition. Auch zur Tradition gehört es, einen speziellen Gast aus dem Ausland einzuladen. Diesmal kam, auf Einladung des Deutschen Kulturzentrums, eine der angesagtesten deutschen Lyrikerinnen nach Kronstadt. Die Berliner Autorin Nadja Küchenmeister las aus ihrem letzten Gedichtband „Unter dem Wachholder“ vor. Für diejenigen, die die deutsche Sprache nicht kennen, stand auf einem Bildschirm die rumänische Übersetzung von Alexandru Şahighian zur Verfügung. Am nächsten Tag leitete die deutsche Lyrikerin einen Workshop für kreatives Schreiben im deutschen Kulturzentrum.

„Im Deutschen gibt es mehr Wörter“

Am Workshop nahmen deutschsprachige Schüler und Studenten von 15 bis 21 Jahren teil. Zuerst wurde über Fragen der Literatur gesprochen. „Was heisst es, wenn es mehr bedeutet, als was da steht?“, „Was ist der Unterschied zwischen eigentlichem und uneigentlichem Sprechen?“, „Welche sprachlichen Mittel passen am besten zu einer Idee?“ Anschließend hatten die Teilnehmer die Wahl  zwischen drei Schreibaufgaben: einen Text verfassen, in dem 6-10 bestimmte Wörter vorkommen, einen Text über einen Gegenstand aus ihrem Elternhaus verfassen, der in ein Museum gelangen würde oder einen Text über ihre Herkunft schreiben. „Ich wollte die dritte Variante, das Gedicht über die Herkunft, unbedingt anbieten. Mich interessiert das Problem der Herkunft sehr stark, und besonders hier in Siebenbürgen, wo viele aus multiethnischen Familien kommen, ist es ein Thema“, meint die Autorin. Die Gedichte, die von den Teilnehmern verfasst wurden, waren ihrer Meinung nach sehr interessant und unterschiedlich. „Viele beschäftigen sich in diesem Alter mit dem Thema der Vergänglichkeit. Sie denken viel nach über das, was es bedeutet, am Leben zu sein. Oft kam das Thema Liebe vor. Aber auch über Ängste wurde viel geschrieben“. Alle Teilnehmer haben auch zuvor geschrieben, die meisten von ihnen auf Deutsch. „Ein Mädchen hat mir gesagt, sie schreibt auf Deutsch, weil sie findet, dass es im Deutschen mehr Wörter gibt. Das fand ich lustig. Die Teilnahmer am Workshop waren alle sehr aufgeschlossen und konzentriert, sie haben ihre Arbeit ernst genommen. Dabei sind ganz gute Gedichte entstanden“, meint Küchenmeister.

Lyrik ist auch in  Deutschland eine Nische

Beim Gedichtmarathon in Kronstadt habe sie sich „sehr willkommen“ gefühlt. Es war schon ihr vierter Besuch in Rumänien. Im Juli dieses Jahres war sie Gast des Poesiefestivals in Bistritz, die anderen beiden Male kam sie privat. Wie auch in Rumänien gibt es in der zeitgenössischen deutschen Lyrik viele interessante Stimmen, die in der Literaturszene zwar Anerkennung bekommen, im Buchhandel aber selten Erfolg haben. Literaturliebhaber kaufen selten Gedichtbände, Lyrik bleibt eine Nische. Anders als in Rumänien gibt es  jedoch für die jungen Schriftsteller eine große Anzahl von Förderungsprogrammen wie Preise, Stipendien oder Residenzen. „Es gibt in Deutschland eine sehr breit gefächterte Lyrik-Szene. Meine Bücher haben sich gut verkauft, weil ich bei einem guten Verlag bin. Ich mag die Szene, es ist aber tatsächlich eine randstädige Erscheinung. Man kann nicht vom Gedichteschreiben leben, man muss auch etwas anderes machen: unterrichten, als Journalist arbeiten. Ansonsten verdient man aus Lesungen und Stipendien“. Sie selbst verfasst Hörspiele und Features und arbeitet auch als Literaturkritikerin. „Ich schreibe aber nur über fremde und tote Autoren“.  

Das nächste Projekt: ein Roman

Nadja Küchenmeister schreibt Gedichte, seitdem sie am Literaturinstitut Leipzig studiert hat. „Schriftstellerin zu sein war kein Wunsch, der schon immer da war. Der ist erst während des Studiums gekommen. Lyrik zu schreiben gefällt mir, weil man wenige Worte dazu braucht, um viel zu sagen“. Zur Zeit hat die Autorin ein Stipendium in Bamberg, wo sie an einem Roman arbeitet. „Es geht um die Kindheit im Ostberlin der Nachwendezeit, es ist eine Art Coming-of-Age Geschichte“. Anson-sten genießt sie es in Berlin zu leben und zu arbeiten. „Berlin ist eine gute Stadt zum Schreiben. Außerdem ist die Stadt groß, man genießt eine gewisse Anonymität“. Von Kronstadt meint die Schriftstellerin, sie sei eine der schönsten Städte Rumäniens. „Die Stadt hat etwas, was mir sehr nah ist. Etwas Melancholisches. Etwas, das ich auch an anderen Orten in Rumänien empfunden habe, und das mir gefällt“.

Nadja Küchenmeister wurde 1981 in Berlin geboren, wo sie auch heute lebt. Sie studierte Germanistik und Soziologie in Berlin und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihre Gedichte wurden in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Sie arbeitet für den Rundfunk, für den sie auch Hörspiele verfasst. Ihr erster Gedichtband Alle Lichter, der im Jahr 2010 bei Schöffling & Co. erschien, wurde im Juni desselben Jahres von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt. Im Herbst 2014 erschien ihr zweiter Gedichtband, „Unter dem Wacholder“, bei demselben Verlag. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.