Sommer-Abenteuer im Szeklerland: Die müden Stiefel und das verbotene Bier 

Eine Fotoreportage von Elise Wilk und Laura Căpățână-Juller

Diese Karts können bis zu 50 Stundenkilometer fahren. Der Nervenkitzel ist garantiert.

Man kann sich am Zetea-See nicht satt sehen.

Die Aussicht aus dem Zuber in der Villa „Ivo“ in Izvoare lohnt einen Besuch bis ins ruhige Dorf.

Csiki Sör gibt es in 12 Varianten. Der Alkoholgehalt geht bis zu 9 Prozent.

In der Skybar kann man in Ruhe alle Biersorten verkosten.

Ausblick von der Mădăraș-Hütte

8.5 Kilometer. So lang ist die Strecke, die die Ortschaft Izvoare (ungarisch Ivo) mit der Hütte Harghita Mădăraș verbindet – ein ehemaliger Forstweg, der vor einigen Jahren asphaltiert wurde. Wenn man an einem kühlen Sommervormittag auf dieser Strecke wandert, fährt kaum ein Auto vorbei. Ab und zu sieht man Mountainbike-Fahrer die Strecke hinaufradeln. Doch an manchen Tagen kann es passieren, dass eine Gruppe von Leuten mit leuchtenden Helmen in kleinen Fahrzeugen die Serpentinen hinunterrast, die wie Spielzeugautos aussehen. Die Spielzeugautos heißen „Mountaincarts“ und sind seit ein paar Jahren eine der größten Attraktionen in der Gegend. Das Besondere daran ist nicht nur die schöne Landschaft und der Geruch nach frischen Waldblumen, während man mit bis zu 50 Stundenkilometern bergab fährt, sondern auch die Tatsache, dass es sich um die längste Mountaincart-Piste Europas handelt. Auch für Leute ohne Führerschein und mit Geschwindigkeitsangst eignen sich die Fahrzeuge.

Am Anfang muss man bei jeder Kurve aufs Bremspedal treten und man hat Angst, wenn es zu steil hinunter geht. Aber spätestens nach der fünften Serpentine hat man sich daran gewöhnt und gewinnt Mut. Wenn man unten ist, will man wieder von vorne anfangen. 

Schlittelspaß auf Rädern, den ganzen Sommer lang

Das kleine Dorf Izvoare in Harghita, ungarisch Ivo, liegt versteckt zwischen Hügeln, dahinter beginnen die Berge. Es befindet sich etwa 20 Kilometer von Odorhellen/Odorheiul Secuiesc entfernt, wenn man in Richtung Niklasmarkt/Gheorgheni fährt. Die Gegend ist so schön, dass es eigentlich genügt, den ganzen Tag lang im Liegestuhl zu liegen und auf die Berge zu schauen. An diejenigen, die sich einen Aktivurlaub wünschen, hat Bartalis Dénes gedacht. Unter dem Namen „Faradtbakancs” (auf Deutsch: Die müden Stiefel) betreibt er mit seiner Familie einen Abenteuerpark, der in der Gegend einzigartig ist. Quad-Touren, Mountaincart-Fahrten, Big AirBag, Bergsteigen auf einer Via Ferrata, geführte Touren durch die Berge, eine Snowboard-Schule für den Winter und Fliegen mit dem Heißluftballon in Odorhellen sind nur einige Abenteuer, die man hier buchen kann. Während des Sommers sind die Mountaincarts sehr beliebt. „Schlitteln ist zu schön, um es nur im Winter zu tun. Das sagten sich auch die Erfinder des Mountaincart: eine Kreuzung aus Gokart und Schlitten. Das Besondere daran ist, dass diese Fahrzeuge auf fast jedem Terrain den Berg herunterkommen und dabei sicher und bequem sind. Sie sind auch für Kinder ab 135 Zentimeter Größe geeignet und absolut sicher“, versichert Bartalis. Der Schwerpunkt des Vehikels liegt tief, die Räder stehen weit auseinander, und hydraulische Bremsen sorgen dafür, dass man das Tempo über lange Strecken im Griff hat. So auch auf der drei Kilometer langen Naturstraße von Schreckfeld nach Bort: Schlittelspass auf Rädern, den ganzen Sommer lang. 

Touristen über 80 fahren kostenlos 

Auf der Strecke zwischen der Mădăraș-Hütte und Izvoare gibt es zwar auch steile und schwierige Abschnitte, aber alle Fahrer haben es bisher geschafft, den Berg hinunterzukommen. Und nicht nur für Familien mit Kindern eignet sich das Fahrerlebnis. Auch für Senioren ist es ein wahres Abenteuer. „An aktive Rentner haben wir natürlich auch gedacht. Wer bei uns eine Fahrt mit dem Mountaincart bucht, bekommt Rabatt. Über 60-Jährige haben 25% Rabatt, wer älter ist als 70 Jahre, muss nur die Hälfte zahlen und wenn man 80 Jahre überschritten hat, fährt man kostenlos“, meint Bartalis Dénes. 

Für jüngere Adrenalin-Fans kostet eine Fahrt 130 Lei (Kinder unter 12, die kleiner sind als 135 Zentimeter, können auf dem Schoß ihrer Eltern sitzen. Die Tour startet vom Abenteuerpark in Izvoare. Mit einem Jeep werden die Teilnehmer bis zur Hütte Mădăraș gebracht. 
Sie sind von einem Tourleiter begleitet, der ihnen alle Geheimnisse des Karting preisgibt und ihnen erklärt, wie es funktioniert. Auf der Strecke gibt es 6 Haarnadelkurven, doch das sollte niemanden erschrecken. Am Ende, wenn man wieder in Izvoare zurück ist, ist man überglücklich. 

Wildschweine, köstlicher Tee und Zuber mit Bergblick 

Wer sich nicht traut, mit dem Mountaincart bergab zu fahren, kann im 10 Kilometer entfernt gelegenen Zetea ein Boot mieten und auf dem türkisfarbenen See fahren. Oder in Izvoare Wildtiere beobachten. Auf einem Hügel, der eine herrliche Aussicht auf das Harghita-Gebirge bietet, liegt die Jagdvilla Honor. Für Touristen, die dort übernachten, werden täglich Führungen durch den Wildpark organisiert, der nur zwei Kilometer entfernt liegt. Hier trifft man auf besonders freundliche Wildschweine und Rehe, die sich wie Hunde streicheln lassen. 

Im 320 Hektar großen Wildpark, der von Bergen umgeben und von Flüssen durchzogen ist, leben die wilden Tiere in ihrem natürlichen Umfeld. Vor längerer Zeit gab es in dieser Gegend nur Wälder. Durch massive Fällungen und Straßenbau ist ein Teil davon für immer verschwunden. Im Park leben die Tiere in Sicherheit – sie werden täglich gefüttert und von Bären und Wölfen durch elektrische Zäune getrennt. Nach dem Besuch im Wildpark steht das neu eröffnete Wellness-Zentrum den Gästen zur Verfügung. Dann kann man entweder im Whirlpool entspannen oder den großen Holzzuber im Freien und einen Tee aus frisch gepflückten Pflanzen genießen. Oder ein Bier. Am besten eins, das in der Gegend hergestellt wurde. Und das eine interessante Geschichte hat. 

Die freundlichste Bierfabrik Siebenbürgens 

Dieser Geschichte kommen wir am nächsten Tag auf die Spur, als wir die Fabrik besuchen, in der das Csiki Sör (deutsch: Bier aus Ciuc) im Dorf Sânsimion, knapp eine Viertelstunde Autofahrt von Szeklerburg/Miercurea Ciuc, hergestellt wird. Wir haben eine Besichtigungstour gebucht, um den Entstehungsprozess des Getränks Schritt für Schritt zu beobachten und sind auf die Geschichte hinter dem erfolgreichen Craftbier gespannt. Ildiko, die uns durch die Fabrik führen wird, erwartet uns mit einem breiten Lächeln und einem Becher kaltem, frisch gezapften Bier. Einen freundlicheren Empfang gibt es nicht. 

Sie erklärt, wie auf dem Grundstück der heutigen Fabrik 1940 eine Stärkefabrik stand. 30 Jahre später wurde hier Spiritus gebrannt, bis die Fabrik Anfang 2000 verfiel. Die Ruinen wurden 2013 von Lânárd Andras gekauft, der die Manufaktur errichten ließ. 

Die Schienen, auf denen einst Waggons Kisten mit Spirituosenflaschen transportierten, dienen nun als Dekoration im Gebäude. Stühle und Tische wurden daraus geschmiedet. Schon Ende des 16. Jahrhunderts brauten Mönche und Pfarrer in der Gegend Bier. Die Tradition blieb erhalten bis in den Kommunismus, dem Beginn der industriellen Bierproduktion. Seit zehn Jahren wird nun in Sânsimion wieder handwerkliches Bier hergestellt und zwar in zwei Varianten : untergäriges und obergäriges Bier / ungefiltertes und gefiltertes Bier. Es enthält nur drei Zutaten und wird auf natürliche Weise gebraut. Zusatzstoffe, Enzyme oder Konservierungsmittel gehören nicht zum deutschen Rezept, nach dem man sich richtet. Wasser, Malz und Hopfen werden durch Filterung konserviert und gären zwischen 20 und 60 Tagen in den Inox-Installationen. Wir sind eingeladen, die Zutaten zu kosten. Der Schäßburger Hopfen, der dem Bier den bitteren Geschmack verleiht und die vier Malzsorten aus der Slowakei (Karamell, Schokolade, Pilsner und Münchner) schmecken im Bier viel besser als in rohem Zustand. 

In der Skybar – die allerdings in einer Halle eingerichtet ist, nicht auf dem Gebäude, wie der Name vermuten ließe – dürfen wir alle 12 Biersorten verkosten. Sehr erfrischend sind die vielen fruchtigen Biersorten, denen Fruchtpüree hinzugefügt wurde. Das Bier mit Blaubeeren (4,7% Alkohol) ist erfrischend wie ein Aperol Spritz, jenes mit Himbeere (1,2% Alkohol) schmeckt eher wie ein Saft. „Das Bier mit Honig schmeckt ein bisschen wie Hustensirup“, meint ein Tourist und merkt nicht einmal, wie stark das Getränk ist. Es enthält 9 Prozent Alkohol und ist somit das stärkste Csiki-Bier. 

Die Geschichte des verbotenen Biers 

Außer dem Malz stammen alle Zutaten aus der Region, denn man baut hier auf Nachhaltigkeit, erklärt Ildiko. Die Nachfrage für Bier ist in Rumänien groß. Besonders Craftbier  ist immer beliebter und wird von immer mehr Anbietern hergestellt, darunter auch „Czell“ in Kronstadt. Lénárd Andras, der Gründer der Fabrik, stammt aus dem Szeklerland. Mit 18 hat er sein Glück in den Vereinigten Staaten von Amerika gesucht. Der Jugendliche hatte damals die Idee, ungarische Namen aus dem Telefonbuch herauszusuchen und sie anzurufen. Hob jemand ab, fragte er auf Ungarisch, ob es vielleicht für ihn einen Job gibt. Auf diese Weise hat er eine Arbeitsstelle bekommen und fast sechs Jahre lang Wände gestrichen. Die Ersparnisse hat er in die Fabrik in Sânsimion investiert. Er nannte sein Produkt „Igazi Csiki Sör“,  was auf Deutsch so viel wie „das echte Bier aus Szeklerburg“ bedeutet. Der Grund für diesen Namen: die Szekler nannten das Bier, das in der Gegend produziert wurde, schon immer so. Mehrere Jahre lang musste der junge Mann deswegen mit dem Großkonzern Heineken, der die Marke „Bere Ciuc“ besitzt, um diese Benennung kämpfen. In den Massenmedien wird spekuliert, dass sich der Prozess mit Hilfe des ungarischen Premierministers Viktor Orban gelegt hätte. Öffentliche Beweise dafür gibt es keine. Infolge des Prozesses fügte Lénárd Andras das Wort „Tiltott“ hinzu, das „verboten“ bedeutet. 

In zehn Jahren ist die Produktion von 12.000 auf 24.000 Liter am Tag gestiegen. Seit 2016 wird es in zwei Fabriken produziert. Mehr als die Hälfte des Getränks wird nach Ungarn exportiert, der Rest ist in Kneipen, Restaurants und Supermärkten landesweit zu kaufen. Viel Bier wird auch beim Tiltott-Festival im Herbst getrunken, das im Hof der Fabrik organisiert wird. Im September werden hier auch die deutschen Musikstars Thomas Anders von Modern Talking und Haddaway auftreten, die in den 1990er Jahren sehr beliebt waren. 

Der Besuch der Bierfabrik kostet 35 Lei und dauert eine Stunde. Während der Tour kann man so viel Bier trinken wie man will. Es gibt auch die Möglichkeit einer längeren Tour, die zwei Stunden dauert und 85 Lei kostet. Am Ende kann man neben dem Lieblingsbier auch Schweinehaxe in Brotrinde genießen. Buchungen können unter 0755.030.895 gemacht werden, Infos zur Manufaktur sind unter gasztroterkep.ro zu finden, einer Internetseite, die Unternehmen aus dem Bereich HoReCa im Szeklerland vereint und in rumänischer Sprache kurz vorstellt. Auf der Homepage csikisor.hu sind alle Informationen zur Manufaktur nur auf Ungarisch erhältlich.

Zum Bier gibt es natürlich Csiki Chips – mit eigener Fabrik

Auch Kartoffeln haben eine lange Geschichte in der Gegend. Sie wurden vor hunderten von Jahren aus den USA importiert und sind „wie das Rock’n’roll: unentbehrlich“, sagt  Ildiko. Seit einigen Jahren entstehen aus der heimischen unterirdischen Sprossknolle auch Csiki Chips, die Kartoffelchips zum Bier. Außer den klassischen Chips mit Salz und Paprika, werden in einer Fabrik in der Nähe der Manufaktura auch Chips mit Trüffeln, Wurst oder Cannabis (18+) hergestellt. Ebenso auch niedliche winzige Bratkartoffeln, einem Zündhälzchen sehr ähnlich. Ein Besuch mit Kostprobe (100 gr Chips) kostet 15 Lei pro Person und dauert eine halbe Stunde, für Kinder bis zu 10 Jahren muss nicht bezahlt werden. 

Am Ende der Tour besuchen wir kurz den Souvenirladen und kaufen Chips und Popcorn mit Trüffel, wundern uns über das reiche Angebot an Gegenständen, die mit dem Logo der Firma versehen sind. Von Socken bis Taschenmesser gibt es hier alles zu kaufen. Wer ein lustiges Mitbringsel aus der Gegend will, ist hier genau richtig. Den Kofferraum mit Chips und Bier gefüllt fahren wir nach Kronstadt zurück. Das Szeklerland ist wie eine Schatzkiste ohne Boden - bei jedem Besuch entdeckt man etwas Neues.