Vorschnelle Lockerungen waren die falsche Entscheidung

Die Ärztin Anna Șestacova leitet das Marienburger Zentrum für Covid-19-Schutzimpfung

Ärztin Anna Șestacova (zweite von links) und drei ihrer Mitarbeiterinnen – ein Teil des Marienburger Anti-Covid-Impfteams

In der großen Eingangshalle des Neubaus, in dem sich das Kulturheim von Marienburg/Feldioara befindet, ist es am frühen Samstagmorgen sehr ruhig. Niemand sitzt auf den Stühlen, die, entlang der linken Wand, mit dem vorgeschriebenen Zwischenabstand und zu den Impfkabinen ausgerichtet, aufgestellt sind. Dort sollen die Geimpften eine Viertelstunde verbringen, bevor sie mit dem Impfausweis in der Hand in Sicherheit das Gebäude verlassen können. Noch wartet aber Anna Șestacova zusammen mit drei Krankenschwestern auf diejenigen, die hier ihre erste, zweite oder die Booster-Impfung gegen Covid-19 erhalten werden. Es gibt also genügend Zeit für ein Gespräch mit der Leiterin dieses Impfzentrums – ein Gespräch, zu dem sie gerne bereit ist, obwohl vorher keine damit verbundene Absprache erfolgt war.

Ein Jahr ist es nun, seit dieses Impfzentrum auf Initiative und mit Unterstützung des Marienburger Bürgermeisteramtes gegründet wurde. Vor allem zu Beginn war die Nachfrage zur Impfung groß. Nicht nur aus Marienburg und den Nachbarortschaften, sondern auch aus Bukarest und sogar aus dem Ausland meldeten sich Leute an, um da geimpft zu werden. Unter ihnen auch heute in Deutschland lebende Siebenbürger Sachsen, die während ihres Rumänienaufenthaltes die unkomplizierte Impfgelegenheit nutzten, die zu jenem Zeitpunkt in ihrer neuen Heimat nicht selbstverständlich war. Besonders stolz ist Anna [estacova, dass alles einwandfrei ablaufen konnte. Gute Teamarbeit der fast 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Ärzte, Krankenschwestern, Datenbearbeiter), gute Kommunikation und das notwendige Mitgefühl, sowie entsprechende organisatorische Vorbereitungen seien das Erfolgsrezept. „Keine einzige Impfdosis wurde vergeudet“, sagt die Ärztin in einem fehlerlosen Rumänisch. Ihr  Nachname weist auf ihre Herkunft aus einer russischen Familie hin. Nach dem Medizinstudium und nach der Heirat mit Edmond Hermel ist sie in Rumänien, in Kronstadt, geblieben – ein Land und eine Stadt, die sie inzwischen fest in ihr Herz geschlossen hat.

In Marienburg arbeitet sie nun seit fünf Jahren als Hausärztin. Nicht nur in der Burzenländer Gemeinde, sondern auch in Kronstadt ist Frau Doktor Șestacova gut bekannt, da sie sich als Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes der Hausärzte im Kreis Kronstadt („Patronatul Medicilor de Familie“) immer wieder in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, wenn es um die Arbeit der Hausärzte und um das Wohl deren Patienten geht. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben auch die Hausärzte eine Überlastung zu spüren bekommen. Erschwerte Arbeitsbedingungen, leider auch zu viel Aufwand mit bürokratischen Aufgaben (z.B. Ausstellung von Krankenmeldungen bei Quarantäne oder Covid-19-Fällen, Austeilung von Lebensmittel-Voucher für nach September 2021 vollständig Geimpfte), zusätzliche Heiz- und Stromkosten in den Hausärztepraxen nennt Anna [estacova und unterstreicht dabei die Bereitschaft vieler ihrer Kollegen und Kolleginnen, in den Impfzentren und eigenen Praxen sich für die Covid-19-Schutzimpfkampagne zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt nun auch die Aufgabe, verstärkt jene ihrer Patienten zu testen, die zu den Risikogruppen gehören und in Verdacht stehen, sich mit SARS-CoV-2 infiziert zu haben.
Die zugelassenen Anti-Covid-Impfstoffe stellen keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion dar, gibt die Ärztin zu. Auch können Geimpfte selber zu Virusträgern werden. Aber die Schutzimpfung bleibt das einzige Mittel, unter Beachtung der wohlbekannten Schutzregeln (Maske, Desinfektion, Sicherheitsabstand) effizient gegen die Pandemie zu kämpfen. Die Lockerungen dieser Schutzmaßnahmen seien im Sommer und vor den Winterfeiertagen eindeutig zu früh zugelassen worden. Das hat wahrscheinlich auch die noch nicht Geimpften veranlasst, eine Impfung weiterhin zu verschieben oder sogar zu verweigern, mutmaßt [estacova. Und ihre Zahl bleibt eindeutig viel zu groß. Die Impfquote müsse irgendwo bei 80 bis 90 Prozent liegen, sagt die Ärztin. Dann könnten wir uns mit den skandinavischen Ländern oder mit Portugal vergleichen und entspannter mit der Pandemie umgehen. Im November lag die Impfquote im Kreis Kronstadt bekanntlich bei 45,77 Prozent (etwas über dem Landesdurchschnitt). Inzwischen dürfte sie leicht gestiegen sein. Weitere Gründe zur Impfskepsis eines großen Teils der Bevölkerung sieht [estacova in einer mangelhaften Gesundheitserziehung („Noch gibt es Leute, die befürchten, dass ihnen mit dem Impfstoff auch Mikrochips eingespritzt werden!“) aber auch in einem grundsätzlichen Misstrauen zu den staatlichen Krankenhäusern, zum Gesundheitssystem bis zu Regierung und Politiker. Sie selber will sich nicht in die politische Szene einbinden lassen: „Ich kümmere mich um die Gesundheit, nicht um Politik“.

Die Marienburger Hausärztin ist auch eine entschiedene Befürworterin für die Impfung von Minderjährigen. Sie weist darauf hin, dass Säuglinge bereits in den ersten Lebensmonaten einen 7-fachen Impfstoff verabreicht bekommen, der sie, ohne Spätfolgen, vor Krankheiten wie Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten schützt. Bei der Kinderimpfung geht es um eine angepasste Dosis des von biontech-Pfizer durch die mRNA-Technologie entwickelten Impfstoffes also ohne Konservierungsstoff oder andere Salze. In spätestens einem halben Jahr verschwinden die Antikörper. Nebenwirkungen treten selten und unter milder Form auf. Falls es dennoch zu einer Covid-19-Erkrankung kommt, dann handle es sich um einen leichteren und kürzeren Krankheitsverlauf. Eine Kinderimpfung sei kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil: so bleiben die Schulen offen und die Kinder haben ungehinderten Zugang zu Erziehung, Bewegung, Beisammensein. Ansonsten spüren sie viel stärker die Corona-Belastung, sind unsicher, erschrocken, wenn sie nicht bereits auch vom Tod nahestehender Personen psychisch betroffen wurden.

Wie lange wird das Marienburger Impfzentrum noch offen bleiben? Zurzeit ist das täglich von 8 bis 20 Uhr der Fall, was selbstverständlich auch nicht gerade geringe Kosten mit sich bringt. Anna Șestacova gibt zu bedenken, dass das von dem weiteren Verlauf der Pandemie abhängt. Die hochansteckende Omikron-Variante ist gerade in aller Munde. Da könnte es zu einer höheren Zahl von Impfwilligen kommen, die auch in Marienburg erwartet und geimpft werden. Ob dieses aber die letzte Welle von SARS-CoV-2 sein wird, das kann zu diesem Zeitpunkt niemand mit Sicherheit behaupten. Denkbar ist für Anna [estacova, dass irgendwann die Impfkampagne immer mehr in den Kompetenzbereich der Hausärzte gelangt. Erste Schritte in dieser Richtung sind bekanntlich bereits erfolgt, wobei viele Hausärzte freiwillig diese zusätzlichen Aufgaben übernommen und auch entsprechend gemeistert haben.

Dass im Marienburger Kulturheim die Kulturveranstaltungen so wie vor 2019 stattfinden und dass das Impfzentrum somit seine Aufgabe erfüllt hat, darauf hin hoffen und wirken auch Anna Șestacova und ihr Team.