ADZ-Reihe: Jugend schreibt (Teil 1/4)

Ein Fazit, so sachlich wie möglich

Im Rahmen dieser vierteiligen Serie werden ausgewählte preisgekrönte Aufsätze aus der vom Bildungsministerium veranstalteten nationalen Schüler-Olympiade für „Sprache und Literatur in deutscher Muttersprache” vorgestellt, die diesen April in Oberwischau/Vișeu de Sus stattfand.

Die Aufgabenstellung für die zehnte Klasse lautete: Verfasse einen Text mit diesem Anfang: “Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen sind alle gleich.”

Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen sind alle gleich. Aber wir wissen es beide, du und ich, dass es keine schwarzen oder weißen Schafe gibt. Wenn wir zusammen auf diesem Blatt Papier erscheinen, habe wir keinen Zweifel daran. Es gibt höchstens graue Schafe, nichts mehr als das. Warum? Weil wir, je nach Situation, entweder ein weißes oder ein schwarzes Schaf sein können. Du kannst im Leben nicht nur eine Farbe haben. Als die ganze Klasse in der Klausur Zehn hatte und nur der Herbert Vier, war er das schwarze Schaf und du warst ein weißes. Aber als du als Einzige Zehn hattest, warst du das schwarze Schaf. Vielleicht war das Beispiel nicht besonders gut gewählt, aber du verstehst sicher, worauf ich hinauswill. Wir sind alle graue Schafe, eine Herde in Grautönen gefärbt, die mit dem Leben kämpft. Wir sind eine Mischung aus weiß und schwarz, aus gleich und anders, und das macht uns zu wahren Menschen. Man sieht nur grau auf dem Bild der Menschheit. Wir beide sind jedoch etwas dunkelgrau im Vergleich zu den anderen, meinst du nicht?

Warum? Vielleicht genau wegen dem, was wir hier machen. Wir schreiben uns Briefe, die wir nie abschicken werden. Die wir eigentlich nicht abschicken können. Ich habe mich mehrmals gefragt, warum wir das eigentlich tun. Die beste Antwort darauf wäre vielleicht das Gefühl, das wir dabei kriegen. Ein Gefühl der Sicherheit, ein Beweis, dass wir alles im Griff haben. Wir schreiben unsere Gedanken nieder, um sie ja nicht zu verlieren, um sie aus ihrem Flug abzufangen, um sie aufzubewahren und mit jemandem zu teilen, der sie versteht. Du weißt genau, was für ein Schaf ich bin, und ich weiß auch, wer du bist, obwohl wir uns nicht persönlich kennen, es gar nicht könnten.

Weißt du, was mich am meisten verwirrt? Wir Menschen sind nicht gleich, wir sind so unterschiedlich und besonders, und wir prahlen auch damit. Wir sind stolz darauf, anders auszusehen, es ist für uns sogar selbstverständlich, äußerlich verschieden zu sein. Kein Gesicht sieht so aus wie unseres, und wir lieben das. Das ist in Ordnung für uns. Aber was ist mit der Persönlichkeit? Hier entwickeln sich die schwarzen Schafe. Unsere Gedanken und Werte sind die Bausteine, um ein schwarzes Schaf entstehen zu lassen. Und ist das nicht ironisch? Genau unsere Gedanken, auf die wir so stolz sind, weil sie uns Menschen von den Tieren unterscheiden, stoßen uns aus unserer Herde aus. Wir wollen besonders sein, doch wenn jemand zu besonders ist, wird er ausgeschlossen. Und das kennen wir beide schon, oder?

Ich sag dir mal etwas und ich möchte, dass du es nicht vergisst. Niemals. Menschen lieben es, Urteile über andere zu fällen. Sie lieben es, ihre Meinungen über andere zu äußern, Personen in Kategorien einzuordnen. Es ist ihre Lieblingsbeschäftigung. Und egal, was du machst oder machen wirst, sie werden dich beurteilen. Nichts kann sie zum Schweigen bringen, sonst würde es keine schwarzen Schafe mehr geben. Jedes Schaf ist beurteilbar, egal wie weiß es auch scheint. Einen Grauton hat es und dieser Grauton wird ausgenutzt, um aus diesem Schaf ein schwarzes zu machen. So einfach ist das.

Das eigentliche Problem dieser Welt sind nicht die schwarzen Schafe. Nein. Diese stören nicht, sie werden höchstens nur gestört. Was die Welt auseinanderreißt, sind die weißen Schafe. Die weiße Masse oder besser gesagt, die Masse, die sich für weiß hält. Weiß ist ja niemand. Diese Masse ist in einer getäuschten Gleichheit verloren, in dem Wunsch, Ungleichheit zu verurteilen und zu bestrafen. Menschen lieben es einfach, ihre eigenen Werte zu übertragen und genau diese Flamme auszulöschen, die die anderen zu etwas Besonderem macht. Warum? Kann ich dir nicht sagen, obwohl ich älter bin als du. Niemand weiß es. Vielleicht aus dem Wunsch, selbst besonders zu sein.

Es ist kein Problem, anders zu sein. Das Problem ist die Gruppe, die gleich ist. Erstens, weil sie mehrere sind und sich somit besser durchsetzen können, und zweitens, weil sie die Menschheit nach unten ziehen. Sie lassen uns nicht wachsen. Alles, was auf dieser Welt entstanden ist, kommt von diesem dunklen Teil der Menschenherde, vom Teil, der anders gedacht hat. Und wir lernen nichts davon und verbreiten immer noch diese Idee, dass es besser ist, mit der Strömung zu schwimmen. Es ist nicht besser, es ist einfach nur viel, viel leichter.
Du willst ein weißes Schaf sein. Ich weiß das. Ich verstehe das. Du willst zur Welt passen und in einer Menge untertauchen. Du willst die Aufmerksamkeit nicht erregen. Das hast du mir nicht gesagt, aber ich weiß das. Weil ich dich kenne. Was du noch nicht weißt, ist, dass du dir das nicht wünschen solltest. Du solltest nicht wollen, ein weißes Schaf zu sein.  Du kannst ja gar kein weißes Schaf sein. Du bist zu besonders, um in einer Menge unterzutauchen. Es passt gar nicht zu dir.

Ich bin ein schwarzes Schaf, so dunkelgrau, dass es fast schwarz zu sein scheint. Und ich bin stolz darauf, so wie die weißen Schafe stolz darauf sind, weiß zu sein. Menschlicher Stolz, könntest du dir denken. Wir müssen ja alle stolz darauf sein, was wir sind, sonst wäre alles nur eine Zeitverschwendung. Vielleicht ist es ja nur ein typischer menschlicher Stolz. Vielleicht – und das scheint mir wahrscheinlicher - haben wir auch nur unterschiedliche Gründe, um stolz zu sein.

Ich bin stolz darauf, anders zu sein. Dieser dunkelgraue Fleck zu sein, der immer als erstes bemerkt wird. Ein Mensch, der allen auffällt. Ich hasste es, aber ich habe gelernt, es zu lieben und das wirst auch du. Du wirst der schwarze Punkt auf dem Blatt Papier sein und, obwohl du es jetzt vielleicht angsteinflößend findest, wirst du es in der Zukunft mögen. Und das hat nichts mit Arroganz oder Mangel an Bescheidenheit zu tun. Du wirst genauso schüchtern sein wie jetzt, glaube mir. Man nennt es Selbstvertrauen, denke ich. Das allein wird sich verändern.
Ich vermute, jeder will ein schwarzes Schaf sein, wenigstens einmal im Leben. Jeder möchte, auch nur für eine Sekunde, heller strahlen. Sogar du willst das, obwohl du gar nicht weißt, dass du es willst. Auch das weißeste aller Schafe, mit einer Wolle weißer als Schneeflocken, auch dieses eine Schaf, das überall perfekt passt, will ein Mal im Leben schwarz sein, um das Gefühl der Besonderheit zu erleben.

Ein schwarzes Schaf zu sein ist schön und grausam zugleich. Du bist ein heller Stern auf dem Menschenhimmel, aber auch jemand, der ausgeschlossen wird. Aber du wirst lernen, damit umzugehen und wirst nicht mehr versuchen, deine Wolle zu färben. Wie weiß ich das? Ganz einfach. Ich bin du, nur ein bisschen anders. Ich kenne dich und dein Leben, aber du hast keine Ahnung, wer ich bin und wie es mir geht. Ich bin du, einfach nur ein bisschen älter und mit mehr Lebenserfahrung.

Du wirst meinen Brief nie lesen, natürlich. Und obwohl er mir Hoffnung geben sollte, ist er in Wirklichkeit nicht für dich bestimmt. Ich sagte dir am Anfang etwas, das du bereits wusstest: Ich bin die Art Mensch, die innere Dialoge führt, die Art Mensch, die alles analysiert und das oft schriftlich tut. Und das hier ist ein Abschied von diesem Kapitel meines Lebens. Ein Fazit, so sachlich wie möglich.

Für dich ist dieser Brief für all die Momente, in denen du alleine warst und in denen du dich in deiner schwarzen Wolle verfangen hast.

Für mich ist er ein Abschied von meinem alten Selbst. Ein Epilog.