ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher

Schlimmer gehts immer

Schlimmer hätte es nicht kommen können, hätte Mia wohl gedacht, hätte sie gewusst, mit wem sie ihre Ferien verbringen muss... Ohnehin graut ihr vor dem Überlebenscamp für schwer erziehbare Jugendliche, auf das die Eltern sie unbedingt schicken wollen. Keine Lust auf tropische Insel mit aktivem Vulkan und unkrautüberwucherten alten Lavahöhlen, in die man hineinfallen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden kann! Kein Bock auf stundenlange Fußmärsche im Wald, oder auf Mitstreiter, vor denen man sich hüten muss, damit sie einem nicht an die Wäsche gehen... Was sonst, bitte, bedeutet schwer erziehbar, schlussfolgert Mia messerscharf.

Vergeblich leistet ihre Psychologin, Frau Wolgast, Überzeugungsarbeit: Etwas Abstand von dem Mobbing in der Schule und dem Verfolgungswahn mit dem schwarzen Volvo, in den sich Mia hineingesteigert hat, täte ihr sicher gut. Mia hingegen ist fest überzeugt, dass ihr Vater, Angestellter in einer libyschen Düngemittelfabrik, für den Mossad arbeitet und in Gefahr ist! Weiß doch jedes Kind, sagt sie sich, dass die Rohstoffe für Düngemittel auch die Zutaten für chemische Waffen sind, und zählt Eins und Eins zusammen. Glasklare Logik. – Oder doch irrationaler Verfolgungswahn? Irgendwann weiß sie selbst nicht mehr, was sie glauben soll... 

Hinzu kommt der tägliche Schulstress: Der ätzende Spott der „Schlange Anakonda“, wie Mia ihre Klassenkameradin Anna Constanza nennt, und ihrem „Gefolge“. Aus irgendeinem dummen Grund haben sie ausgerechnet Mia als Zielscheibe für ihre böswilligen Spielchen auserwählt. 

Klamotten geklaut nach dem Turnunterricht – das ist ja noch harmlos! Viel schlimmer sind die verbalen Pfeile, die hämischen Blicke der anderen, das Gefühl, allein und ausgegrenzt zu sein und nicht einmal in Ruhe gelassen zu werden. Und dann Nael, ihre zarte erste Liebe: Er lässt ihre Verabredung platzen, von „so einer wie ihr“ will er nichts mehr wissen. Sind sie jetzt alle verrückt geworden? Oder ist  es Mia, die langsam austickt?

Bereitwillig schreibt Mia der Psychologin lange Briefe. Führt Tagebuch, weil dies helfen soll, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. 

Als dann auch noch ein Unfall in der Familie passiert, darf sie nicht egoistisch sein. Ihren Eltern zuliebe willigt Mia schließlich doch in das verhasste Feriencamp ein. Kein Handy, kein Musikgerät, kein Laptop – Isoliertsein in der Natur. Nur der Psychologin darf sie einmal am Tag eine E-Mail schicken. Wenigstens das Tagebuch mit dem bezeichnenden Namen „Miss Shlimazl“ (Fräulein Schlamassel) darf mit.

Die Problemkinder im Camp: Annika, der eigentlich Aaron heißt, im paillettenbestickten Minirock und den verhassten Wanderstiefeln, die er von der Mutter bekommen hat, weil sie so männlich wirken. Victoria, die kühle Bulimistin, deren Worte wie Pfeile treffen, spitzer als ihre Knochen. Und Marco – ach, Mia hat es doch geahnt! Er nennt Vicki dreist grinsend „Ficki“ und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, anzüglich und grob zu werden. 

Und dann – oh Schreck, nun droht Mias Hoffnung auf wenigstens ein bisschen Abstand vom alltäglichen Stress gleich dahinzuschmelzen. Hört sie doch am Morgen im Küchenzelt eine nur allzu vertraute Stimme... 

Schlimmer hätte es nicht kommen können! Doch es kommt schlimmer, immer wieder. Bis am Höhepunkt einer plötzlich sehr realen Gefahr die mühsam aufgebauten Schutzpanzer der einzelnen Protagonisten wie Kartenhäuser in sich zusammenbrechen. 

Was übrig bleibt, ist die plötzliche und phantastische Erkenntnis, dass sie unversehens längst Freunde geworden sind!

Franca Düwels Jugendroman liest sich nicht nur spannend wie ein Kriminalroman, sondern führt  hautnah vor Augen, wie verletzend Worte sein können, die Jugendlichen dazu dienen, sich nach außen hin cool und unerschrocken zu zeigen, damit die eigene Schutzmauer nicht fällt. Scharfe Munition, prophylaktisch verschossen, um das hochverletzliche, verunsicherte Ich zu schützen.  Dabei nimmt man in Kauf, andere zu verletzten und klein zu machen.  Angriff ist die beste Verteidigung. 

Und Mia steht die ganze Zeit im Kugelhagel. Bis es auf einmal nicht mehr darum geht, sich vor den anderen zu verteidigen, weil eine weit größere Bedrohung über ihnen schwebt...


Franca Düwel „Überleben für Anfänger“ Arena Verlag, ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/ Pavilion, www.goethe.de/bukarest

Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen oder unter www.buechercafe.ro erhältlich.