Berauschendes Auftaktkonzert zu drei überreichen Festivalwochen

Internationales Musikfestival „George Enescu“ 2015 mit weltbekannten Künstlern

Der Dirigent Kristjan Järvi eroberte an dem berauschenden Eröffnungsabend das Bukarester Publikum.
Foto: Cătălina Filip/Festival George Enescu

Das 1958 ins Leben gerufene Festival „George Enescu“, zu dem weltbekannte Größen klassischer Musik nach Rumänien kommen und das nationale wie internationale Publikum mit Konzerten in Bukarest, aber auch in anderen Teilen des Landes begeistern, erlebt in diesem Jahr seine 22. Folge, die während der ersten drei Wochen des laufenden Monats September täglich für erstklassige musikalische Darbietungen sorgt: von der Barockmusik bis zur Musik der Gegenwart, von monumentalen Orchesterwerken bis zu intimer Kammermusik, von sinfonischen Instrumental- und Vokalwerken bis zu Oper und Tanz, nicht zu vergessen die zahlreichen musikalischen Hommagen vor allem an den Namensgeber des Festivals George Enescu.

Auch wenn das Internationale Musikfestival „George Enescu“ im Vergleich zu den Folgen der Vorjahre diesmal um eine Woche gekürzt wurde, ist die bewährte Programmstruktur erhalten geblieben. Die Konzertreihe „Große Orchester der Welt“, die im Großen Palastsaal veranstaltet wird, findet wie gehabt ihre Ergänzung in zwei Konzertreihen, die im Bukarester Athenäum stattfinden: „Soloabende und Kammerkonzerte“ sowie, an allen Festivalwochenenden, „Mitternachtskonzerte“. Zeitgenössische Musik sowie Musik der klassischen Moderne ist vornehmlich in den beiden Konzertreihen „Wahrzeichen rumänischer Gegenwartsmusik“ und „Enescu und seine Zeitgenossen“ zu hören. Ergänzt werden diese Konzertveranstaltungen durch weitere Kulturereignisse (Tanz, Oper, Symposion) in Bukarest sowie durch ein reichhaltiges Open Air-Darbietungsprogramm auf dem Festivalplatz George Enescu. Konzerte in verschiedenen Städten Rumäniens (Temeswar/Timişoara, Jassy/Iaşi, Kronstadt/Braşov, Bacău und Ploieşti) runden das überreiche Programm der diesjährigen Folge des Enescu-Festivals ab.

Eröffnet wurde das weit über die Grenzen Rumäniens hinaus bekannte und höchst renommierte internationale Musikfestival am vergangenen Sonntag im Beisein des rumänischen Präsidenten und Schirmherrn des Festivals, Klaus Johannis, mit einem sinfonischen Konzert im Bukarester Großen Palastsaal, selbstredend mit einem Werk George Enescus, und zwar mit seiner berühmten Rumänischen Rhapsodie Nr. 1 in A-Dur (op. 11) aus dem Jahre 1901, also mit einem Jugendwerk des damals gerade zwanzigjährigen Komponisten. Dem jugendlich-genialischen Geiste des Werkes gemäß wurde es von einem frischen, unverbrauchten und begeisterungsfähigen sinfonischen Ensemble vorgetragen, das sich auch international bereits vielfältige Anerkennung erworben hat: vom Rumänischen Jugendorchester, das im Jahre 2008 von Cristian Mandeal und Marin Cazacu ins Leben gerufen wurde.

Der Dirigent des Eröffnungsabends, der 1972 im estnischen Tallinn geborene und 1980 mit seiner Familie nach Amerika ausgewanderte Kristjan Järvi, beflügelte die jungen Ensemblemitglieder durch seine humorvolle und gestische Dirigierweise, die den Instrumentalisten große solistische Freiheit gewährte und ihnen starke spielerische Mitgestaltungskraft einräumte. Zugleich legierte Järvi das Potpourrihafte der Enescuschen Rhapsodie zu einer lebendigen Einheit, die die melodischen Miniaturbausteine und musikalischen Puzzleteile zu einem leuchtenden Klangbild verschmolz.

Das zweite Werk, das an diesem Eröffnungsabend dargeboten wurde, war das nur wenige Jahre nach Enescus erster Rumänischer Rhapsodie entstandene Violinkonzert in d-Moll (op. 47) aus der Feder des finnischen Komponisten Jean Sibelius. Solistin war die amerikanische Violinistin koreanischer Abstammung Sarah Chang, die bereits im Alter von acht Jahren in der New Yorker Carnegie Hall als Geigensolistin debütierte und seit über einem Vierteljahrhundert auf den Bühnen der Welt präsent ist. Sie spielte auf einer Guarneri del Gesù aus dem Jahre 1717, einem Instrument, das sie aus der Hand ihres Lehrers und Mentors Isaac Stern empfangen hatte.

Das Sibelius-Konzert gab der vierunddreißigjährigen Geigerin Gelegenheit, sämtliche Raffinessen ihres Spiels aufblitzen zu lassen und das weite Spektrum von Klangfarben ihres grandiosen Instruments aufzufächern, von tiefdunklen Timbres bis zu strahlend reinen sphärischen Tönen. Begeisternd war bereits der kaum hörbare Pianissimo-Einsatz des Soloinstruments über dem wabernden Urgrund der gedämpften Streicher. Sarah Changs Spiel war von höchster Intensität und geriet in den hohen Lagen der G-Saite oftmals an den Rand des expressiv Möglichen. Dazwischen perlten dann rasende Läufe, und in den Kadenzen konnte sich dann die Ausdrucksvielfalt ihres Spiels voluminös entfalten. Wunderbare Portati im zweiten Satz und kraftvolle Wildheit im Danse macabre des dritten Satzes formten sich zum Gesamteindruck höchster Virtuosität und tiefster Musikalität. Leider blieben die eindringlichen Rufe des Publikums nach einer Solozugabe der Stargeigerin an diesem Abend unerhört.

Nach der Pause wurde das Instrumentalensemble auf der dadurch übervollen Bühne durch zahlreiche Sängerinnen und Sänger ergänzt: durch drei Vokalsolisten (die Sopranistin Jennifer O’Loughlin, den Kontratenor Max Emanuel Cencic und den Bariton Levente Molnar) sowie durch zwei Chöre (den von Iosif Ion Prunner einstudierten Chor der Philharmonie „George Enescu“ und den von Voicu Popescu betreuten Rundfunkkinderchor). Auf dem Programm stand die szenische Kantate „Carmina Burana“ aus den Jahren 1935/36 von Carl Orff.

Das zyklisch aufgebaute und in drei Teile gegliederte Werk wurde wie üblich ohne Pause dargeboten und die Atemlosigkeit der Spannung zwischen den einzelnen Teilen und Stücken sorgte dafür, dass jeglicher Zwischenapplaus unterblieb und die Kantate so als Ganzes wahrgenommen werden konnte. Hier konnte sich das tänzerische Talent des Dirigenten voll entfalten, der seine formvollendeten Körperbewegungen genialisch zur plastischen Sichtbarmachung der Musik einsetzte und dabei Orchester wie Sänger seiner differenzierten Dynamik zwingend unterwarf. Der begeisterte Schlussbeifall bekräftigte seine interpretatorische Meisterleistung und es bleibt zu hoffen, dass Kristjan Järvi auch in Zukunft wieder in Bukarest zu sehen und zu hören sein wird. Mit einer fulminanten Zugabe aller beteiligten Künstler verabschiedeten sich die Musiker von ihrem Publikum und entließen es in die Weite dreier vor ihm liegender musikalischer Festwochen.