„Das Auge wird vom Sehen nicht satt“

Werke von Miron Schmückle in der Galerie Anca Poteraşu, Bukarest

Ausschnitt aus dem Bild „Das Auge wird vom Sehen nicht satt“
Foto: Michael Marks

Noch bis zum 20. November können in der – nomen est omen – Strada Plantelor Nr. 58 in Bukarest die vegetabilen Neuschöpfungen des gebürtigen Hermannstädter Malers Miron Schmückle besichtigt werden. Die Galeria Anca Poteraşu widmet in ihren Räumlichkeiten in Kooperation mit dem Goethe-Institut, Bukarest, und kuratiert von Dr. Hans-Werner Schmidt dem heute in Berlin ansässigen Maler eine Soloschau. Ganz wörtlich kann hier dabei der alte Bibelspruch vom Auge, das sich nicht sattsehen kann, verstanden werden. Denn die brillanten Farben, die verschlungenen Zeichnungen, der komplizierte Aufbau der Kompositionen, die eine beinahe plastische Qualität erreichen, nötigen den Betrachter förmlich, näher hinzusehen. Nicht nur auf den Bildern, sondern selbst auf einer der Wände leitet ein von Schmückle entworfener Ranken-Fries, den er „in Liebe“ seiner Mutter widmet, direkt zu den original erhaltenen Malereien der Decke über. Naturstudien sind das alles nicht, auch wenn manches an Orchideen erinnert, an exotische Pflanzen allemal, die aber mitunter organische Formen männlicher oder weiblicher Genitalien annehmen, von Adern durchzogen, von denen man nicht weiß, welcher Lebenssaft hier fließt. „Ein Garten der Lüste“ wie auf den Bildern von Hieronymus Bosch, „Metamorphosen“ – einige seiner Bilder heißen tatsächlich so – zwischen Mensch und Pflanze, wie bei Ovid oder ein „groteskes“ Rankenwerk, wie es seit der Antike immer wieder von Künstlern zur Dekoration von Bildern und Alltagsgegenständen verwendet wurde, klingen als kunsthistorische Verweise an.

Aber Schmückle selbst weist in seinen Erklärungen noch in eine andere Richtung. Seine erste bleibende Erinnerung an Pflanzenbilder stammt aus einer Zeit, als er mit dem ebenfalls künstlerisch tätigen Vater die Sammlung des Brukenthal-Museums besuchte. Die allegorischen Miniaturen des flämischen Joris Hoefnagel (1542 – 1600) haben es dem Jungen angetan. So sehr, dass er 2016 sie zum Gegenstand seiner Doktorarbeit an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel, erhebt. Die noch ganz dem humanistischen Leitsatz der „Terza Natura” verpflichteten Zeichnungen, die inhaltlich und stilistisch die barocken Stillleben vorbereiten, wählt Schmückle auch zum Kompass seiner Bildkompositionen, um das beste beider Welten, der Natur und der Kunst, zusammenzuführen.

Gleichzeitig sieht er in der Beschäftigung mit der Kunstwelt und später angeregt durch Besuche des Botanischen Gartens in Bukarest zunehmend eine Möglichkeit für kleine Fluchten aus dem grauen Alltag des kommunistischen Rumäniens. Die fantastischen Welten, voll von exotischen, vielleicht auch toxischen Gebilden, sind vielleicht nur im Kontrast zu den realen Verhältnissen zu begreifen. Ganz ähnlich rettet sich ja auch der Held der „Wissenden” von Mircea Cărtărescu in psychedelische Traumwelten, die von metaphorischen Mischwesen bevölkert werden. Anderes Metier, aber die Überlebensstrategien ähneln sich auf frappierende Weise. Laut eigenem Bekunden kehrt Schmückle selbst zum ersten Mal seit 25 Jahren, anlässlich dieser Ausstellung, nach Bukarest zurück. Auch für ihn sicher eine neue Erfahrung, die er in die Auswahl der hier präsentierten Arbeiten mit hat einfließen lassen.

Gerade das scheinbar Bekannte, das dann immer wieder neu transformiert wird, die Verweise auf Mythen und allegorische Bezüge, die Schmückle kenntnisreich aus den Tiefen der Kunstgeschichte schöpft, und nicht zuletzt die raffiniert umgesetzte Verbindung seiner Kunst mit dem hier vorgefundenen Raum, lassen den Besuch seiner Ausstellung zu einem Erlebnis werden.

Informationen auf der Website: ancapoterasu.com