Das Meer, die Liebe und der Jüngste Tag

Werke von Debussy und Rachmaninow im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks

In Zusammenarbeit mit dem Institut Français in Bukarest veranstaltete der Rumänische Rundfunk am vergangenen Freitag im Bukarester Mihail Jora-Saal ein großes sinfonisches Konzert, bei dem neben zwei Gesangssolistinnen und dem Nationalen Rundfunkorchester auch die Sopranistinnen und Altistinnen des Akademischen Radiochors zum Einsatz kamen. Auf dem Programm standen zwei Werke von Claude Debussy, „La Mer“ und „La Damoiselle Élue“, sowie die „Sinfonischen Tänze“ (op. 45) von Sergei Rachmaninow, das letzte Werk des russischen Komponisten.
Eröffnet wurde der Konzertabend im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks mit den drei großen sinfonischen Skizzen, die Claude Debussy in den Jahren 1903 bis 1905 komponiert und unter dem Titel „La Mer“ (Das Meer) zu einem dreisätzigen Opus vereinigt hatte. Das Werk, das als impressionistisches Oeuvre par excellence zählt, wurde 1905 in Paris uraufgeführt, die erste Notenausgabe des Werkes trug als Titelbild ein Motiv aus dem berühmten Holzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“ des japanischen Malers Katsushika Hokusai.

Debussys sinfonisches Poem setzt einen riesigen Orchesterapparat voraus, von den Piccoloflöten bis zum Kontrafagott, von den Trompeten bis zur Tuba, von den Violinen bis zu den Kontrabässen, von den Harfen bis zum enormen Schlagwerk mit Pauken, Trommeln, Tamtam, Becken, Triangeln und Glockenspiel. Die Schwierigkeit bei der Aufführung solcher monumentalen Orchesterwerke des Impressionismus besteht darin, dass einerseits die Instrumentalisten solistisches Hervortreten mit gediegenem Tuttispiel harmonisch zu verbinden wissen müssen, dass andererseits der Dirigent die Instrumentalisten zu keinem Zeitpunkt sich selbst überlassen darf, sondern in jedem Moment der Darbietung höchste Konzentration walten lassen muss, insbesondere bei der Bewältigung der häufigen Wechsel zwischen filigranen Pianissimi und gewaltigen Fortissimi.

Das programmmusikalische Werk setzt ein mit dem langsamen Satz „Morgengrauen bis Mittag auf dem Meer“ in h-Moll, gleitet dann über in den Allegro-Mittelsatz „Spiel der Wellen“ in cis-Moll und vollendet sich in dem lebhaften und stürmischen Finalsatz „Dialog zwischen Wind und Meer“ ebenfalls in cis-Moll. Der aus der Republik Moldau stammende und an der Philharmonie „Mihail Jora“ in Bacău tätige Dirigent Valentin Doni wurde in seinen Bemühungen, den hohen Ansprüchen des Debussyschen Werkes gerecht zu werden, vom Nationalen Rundfunkorchester nicht ausreichend unterstützt, insbesondere aufgrund diverser Intonationsschwächen und mangelnder Abstimmung zwischen den einzelnen Orchestergruppen. Die zwischen den Sätzen, zum Teil sogar während der drei Sätze, in den Saal hereinströmenden Nachzügler und die daraus resultierenden Störungen im Auditorium trugen auch nicht gerade zur Stärkung der Konzentration auf das musikalische Hörerlebnis bei.

Das zweite Werk des Abends stammte ebenfalls von Claude Debussy, zählt aber zu den weniger bekannten Stücken seines musikalischen Schaffens. Im Jahre 1884 hatte Claude Debussy den renommierten „Prix de Rome“ für französische Komponisten errungen, der von der Académie des Beaux-Arts in Paris vergeben wurde. Der mit diesem Preis Prämierte durfte vier Jahr lang in der Villa Medici in Rom seinen musikalischen Studien nachgehen, musste allerdings von Zeit zu Zeit neu entstandene Kompositionen nach Paris schicken. So tat dies auch Debussy mit seiner Kantate für Sopran, Mezzosopran, vierstimmigen Frauenchor und Orchester, die 1887/1888 unter dem Titel „La Damoiselle Élue“ entstand und 1893 uraufgeführt wurde.

Das Werk ist die Vertonung des Gedichts „The Blessed Damozel“ des präraffaelitischen Malers und Dichters Dante Gabriel Rossetti. Es beschreibt die Sehnsucht einer jungen Frau, die „auf der Terrasse von Gottes Haus“ steht und auf ihren drunten auf der Erde weilenden Geliebten herabblickt und dabei von ihrer beider Wiedervereinigung im Himmel träumt – ein Motiv, das der Präraffaelit Dante Gabriel Rossetti auch in mehreren seiner Gemälde künstlerisch gestaltet hat. Debussy hat die französische Übersetzung des Rossettischen Texts auf mehrere weibliche Gesangsstimmen verteilt: auf die Erzählerin und den Frauenchor, die die narrativen Passagen des Poems wiedergeben, und auf das „gesegnete Fräulein“, das dessen Passagen in direkter Rede wiedergibt.

Der von Dan Mihai Goia einstudierte Frauenchor beeindruckte durch seine sensible Gestaltungskraft, wie auch die aus Kronstadt/Braşov gebürtige Mezzosopranistin Antonela Bârnat, die die Rolle der Erzählerin interpretierte, durch ihren warmen und farbenreichen Mezzosopran begeisterte. Der Sopran der in Frankreich lebenden Mihaela Minghera{-Couture wollte sich an diesem Abend nicht so recht zum lyrisch-musikalischen Gesamteindruck fügen, was vom Publikum durch höflichen, aber spärlichen Applaus quittiert wurde.

Nach der Pause wurden dann im zweiten Teil des Konzertabends die „Sinfonischen Tänze“ von Sergei Rachmaninow dargeboten, ein anspruchsvolles Werk, das wie das eingangs gespielte Stück von Claude Debussy ein großes Orchester voraussetzt, bei dem das Tamburin spanisches Flair verbreitet und das Altsaxophon einen seiner seltenen Auftritte in Konzerten mit klassischer Musik genießt. Das dreisätzige Werk entstand 1940 in Huntington auf Long Island und wurde vom Komponisten selbst als sein bestes Werk eingeschätzt. Verschiedentlich werden die „Sinfonischen Tänze“ auch als autobiografische Programmmusik gedeutet: von Rachmaninows Schaffenskrise nach dem Misserfolg seiner 1. Sinfonie (erster Satz) über die Zeit der Jahrhundertwende und der Russischen Revolution (zweiter Satz) bis zur Gegenwart des Exils und der Vorausahnung des nahen Todes (dritter Satz).

Wie kaum ein anderer Komponist hat Rachmaninow das Dies Irae-Motiv in seinem musikalischen Schaffen zur Geltung gebracht, insbesondere die ersten sieben Töne jenes gregorianischen Chorals, der den Jüngsten Tag und das Jüngste Gericht besingt. Das Dies Irae-Motiv klingt an in allen Sinfonien Sergei Rachmaninows, in seiner „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“, im Chor- und Orchesterwerk „Die Glocken“ (op. 35), in der Tondichtung „Die Toteninsel“ (op. 29) nach dem gleichnamigen Gemälde von Arnold Böcklin, im 4. Klavierkonzert und in einer größeren Anzahl weiterer Pianowerke von Sergei Rachmaninow. Eine Besonderheit in den „Sinfonischen Tänzen“ ist die Verbindung des Dies Irae-Motivs mit dem Halleluja der orthodoxen Liturgie, also die Synthese von Zorn und Errettung, von Untergang und Auferstehung gemäß dem paulinischen „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“.

Das Rumänische Rundfunkorchester brachte dieses letzte Werk Sergei Rachmaninows mit großer Hingabe und Inbrunst dar, insbesondere in den satten Unisonopassagen der Streicher, die in allen drei Sätzen zu vernehmen waren. Nicht von ungefähr wurden nach dem Erklingen des Schlussakkords auch vereinzelt Bravorufe laut, die dem Orchester wie auch dem Dirigenten galten und den Konzertabend als ganzen schlussendlich gebührend ästimierten.