Der erste Preisträger des neuen Literaturpreises steht fest

Der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis wird innerhalb der 30. Ausgabe der Reschitzaer Deutschen Literaturtage im August überreicht

Alexander Estis führt Rolf Bosserts Suche nach dem Grotesken in unserer Lebenswirklichkeit und nach „dem Element des Surrealen in Bosserts Schaffen“ weiter.

Die fünfköpfige Jury hat entschieden: Der erste Preisträger des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises ist Alexander Estis aus Aarau in der Schweiz. Bei der regen Teilnahme von 30 Einsendungen aus Deutschland, Rumänien, Österreich, der Schweiz und Spanien und den zahlreichen literarisch anspruchsvollen Einsendungen war es keine leichte Entscheidung der Juroren (Werner Kremm, Horst Samson, Hellmut Seiler und Dr. Olivia Spiridon) unter dem Vorsitz von Nora Iuga – und sie haben sich ihr Verdikt auch nicht leicht gemacht, bis alle Bewertungen, unabhängig voneinander, beim Koordinator Erwin Josef Țigla eingegangen waren und dieser einen klaren „Sieger nach Punkten“ (vorerst den Jurymitgliedern) bekannt geben konnte.

Alexander Estis wurde 1986 in einer Künstlerfamilie in Moskau geboren; hier erhielt er eine Ausbildung an Kunstschulen und bei verschiedenen Moskauer Künstlern. 1996 siedelte er mit seinen Eltern nach Hamburg über. Nach Abschluss des Studiums in deutscher und lateinischer Philologie arbeitete er zunächst als Gymnasiallehrer für die Fächer Deutsch, Latein und Kunst. Es folgte eine Lehrtätigkeit für deutsche Literatur und Sprachgeschichte an den Universitäten Hamburg, Genf, Freiburg i. Br. und Zürich sowie eine Dozentur für Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seit 2016 lebt er als Dozent und freier Autor in Aarau. Alexander Estis arbeitet vorwiegend in literarischen Kleinformen: Kürzestprosa, Aphoristik, Glossen, szenische Miniaturen, Epigramme und lyrische Fragmente. Seine Texte werden in Anthologien und Zeitschriften publiziert; eigenständige Sammlungen erschienen Anfang 2019 im Amsel-Verlag (Zürich) sowie im Hochroth-Verlag (Bielefeld u. a.).

Die Juryvorsitzende Nora Iuga zeigte sich hochzufrieden mit dem Ausgang dieser ersten Ausschreibung; der Namensgeber wäre wahrscheinlich sehr erfreut über diese Wahl gewesen, meinte sie. Be-sonders habe sie die Originalität der Einsendung von Alexander Estis beeindruckt und überzeugt.
Wie es kam zu diesem Preis? Rolf Bossert hatte zahlreiche Freunde, ganz unterschiedliche. Er hat Einmaliges, Großartiges geschrieben, etliches davon ist gewürdigt worden. Bei alledem drohte die Gefahr, dass der dichte Nebel des Vergessens diesen Erinnerungsschatz wieder verschlingt und er dem Furor grassierender Amnesie anheimfällt.

Nachdem er all seinen Freunden schmerzlich gefehlt hat, erschien es geboten, ja unabdingbar, seine geistige Gegenwart wieder aufleben zu lassen. Glücklicherweise gab es dafür einen förderlichen Kontext, dazu angetan, ihm Gerechtigkeit in Gestalt einer späten Erinnerung widerfahren zu lassen; und es gibt, genaugenommen, zwei beherzte Gastgeber in Bosserts Geburtsstadt Reschitza.

 Nachdem auch Rolfs Mutter und seine beiden Söhne dem Projekt freudig zugestimmt hatten, ließ sich ein Freundes- und Fördererkreis beinahe als Selbstläufer gründen: als hätten alle nur darauf gewartet. Die Idee hatte gezündet, allzu lange hatte sie schon sozusagen vor sich hingeglimmt. Zu diesem, mitt-lerweile über 50-köpfigen Freundeskreis zählen (bis auf ganz wenige Ausnahmen) die ehemaligen Freud- und Leidensgenossen, Bosserts Weggefährten auf den mühevollen, allemal die Mühe lohnenden Pfaden der Poesie. Hinzugekommen sind glücklicherweise auch nicht wenige, die erst durch die Auslobung dieses Preises auf sein Werk gestoßen sind. Der  Freundeskreis steht weiterhin für Interessenten offen.

Was Alexander Estis mit Rolf Bossert verbindet? Er führt dessen Suche nach dem Grotesken in unserer Lebenswirklichkeit und – nach eigener Aussage – „dem Element des Surrealen in Bosserts Schaffen weiter. Indem nämlich das Unvorhergesehene, Unkontrollierbare, Widervernünftige allenthalben durchbricht, entfaltet die durch literarische Formgebung nur scheinbar überwältigte Absurdität der Existenz – zumal einer Existenz in einem repressiven Regime – unterschwellig ihr Bedrohungspotenzial. Als `Leitsymptom` einer solchen Existenz in einem totalitären System kann vielleicht das (nicht psychiatrisch, sondern symbolisch verstandene) paranoide Denken bezeichnet werden, dessen adäquater literarischer Ausdruck eben das hinter jedem Wort lauernde Surreale zu sein scheint.“

Außerdem ist der Preisträger jetzt so alt wie Rolf Bossert, als er starb. Und geboren in dessen Todesjahr. Man braucht keiner Zahlenmystik anzuhängen, um daraus eine jeweilige Bedeutung abzuleiten.

Dieser Gedächtnispreis, so viel lässt sich jetzt schon sagen, ist über Erwarten rege begrüßt und angenommen worden. Er wird mit einem vergleichbaren Engagement weitergeführt werden. Allen, die an seinem Zustandekommen mitgewirkt haben, gebührt Dank, der sich durch nichts und niemand vergüten, vergolden und schon gar nicht versilbern lässt. Aber aus der Tiefe scheint Rolf Bosserts Vermächtnis auf, die Notwendigkeit der Erinnerung an seine Person und an sein Werk.

Hellmut Seiler ist der Initiator des Rolf-Bossert-Gedächtsnispreises und koordiniert den Rolf-Bossert-Freundeskreis, der sich 2019 zusammenfand.