Der „Rolf Bossert“-Preisträger 2024 steht fest

Es ist der Lyriker, Kunsthistoriker und Autor Dietrich Machmer (Jg. 1966) aus Hamburg

Reschitza - Erwin Josef }igla, der nicht stimmberechtigte Sekretär der Jury des diesjährigen „Rolf Bossert“-Lyrikwettbewerbs, hat am Donnerstag den Jurymitgliedern (Hellmut Seiler, Dr. Olivia Spiridon, Katharina Kilzer, Werner Kremm und der Juryvorsitzende, Preisträger des Jahres 2022, Bastian Kienitz) das Ergebnis der Ausschreibung 2024 mitgeteilt: Laureatus des „Rolf Bossert“-Preises 2024 ist Dietrich Machmer aus Hamburg. Der mit 2000 Euro (aus Sponsoring) dotierte „Rolf Bossert“-Lyrikpreis ist nach wie vor der einzige in Rumänien, der der deutschsprachigen Gegenwartslyrik eine Vergleichsplattform gewährt. Er wurde von Hellmut Seiler initiiert, der auch den „Rolf Bossert“-Freundeskreis koordiniert, und wird alljährlich anlässlich der „Deutschen Literaturtage in Reschitza“ (dem Geburtsort von Rolf Bossert, 1952-1986) – in diesem Jahr 26. bis 28. April – verliehen.

Dietrich Machmer wurde 1966 in Worms geboren, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften in München, Frankfurt am Main und Hamburg und lebt heute, nach unterschiedlichsten Berufstätigkeiten, als Autor und Kunsthistoriker in Hamburg. Neben Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften erschien sein erster Gedichtband („Kampfhandlung“) 2016 im Horlemann-Verlag in Angermünde. Er veröffentlichte in der Wiener Edition Goldstück 2023 das Theaterstück „Discordia“. 

Dietrich Machmer ist zweifacher Preisträger (2000 und 2011) des Literaturförderpreises der Stadt Hamburg, erhielt 2017 den Literaturförderpreis „Martha Saalfeld“ des Landes Rheinland-Pfalz, den „DramaLab“- Preis der Wiener Wortstätten 2023 und ebenfalls im vergangenen Jahr den Ulrich-Grasnick-Lyrikpreis. 
Für den „Rolf Bossert“-Gedächtnispreis 2024 wurden bis zum Einsendeschluss am 15. Januar 2024 137 Einsendungen registriert, davon 108 aus Deutschland, 22 aus Österreich, je zwei aus Italien und aus der Schweiz und je eine aus Frankreich, Japan und Rumänien. Der mit 2000 Euro dotierte Gedächtnispreis wird am 27. April während der 34. Auflage der „Deutschen Literaturtage in Reschitza“ überreicht.

Wie der Preisinitiator Hellmut Seiler mitteilt, hat Dietrich Machmer bereits seine persönliche Teilnahme an den „Reschitzaer Deutschen Literaturtagen“ am letzten Aprilwochenende zugesagt. Die Laudatio auf ihn hält Bastian Kienitz. Vom Preisträger, der in seinen sieben zum Wettbewerb eingereichten Gedichten (aus dem Zyklus „geplante verwilderung“) Zitate aus Bossert-Gedichten eingebaut hat, wird eine Dankesrede erwartet. 

Zu den Förderern des „Rolf Bossert“-Lyrikpreises gehören das Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen, das Kulturwerk Banater Schwaben e.V. Bayern, die Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V. München, das Demokratische Forum der Banater Berglanddeutschen und der Kultur- und Erwachsenenbildungsverein „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“. Wichtige Unterstützer des Preises sind die Mitglieder des Förder- und Freundeskreises.
Die bisher mit dem „Rolf Bossert“-Lyrikpreis Ausgezeichneten sind: Alexander Estis (Schweiz/Deutschland, 2020), Britta Lübbers (Deutschland, 2021), Bastian Kienitz (Deutschland, 2022) und Christian T. Klein (Österreich, 2023). 


„geplante verwilderung“ 
Gedichte von Dietrich Machmer

 

Baden gehen
Gern wär ich weiter
gegangen

Seid leicht zu euch. Wir schwimmen
in etwas, das wir selbst ausscheiden.
Der Grund wird immer unklarer.

Voller Ferngefühl folgen wir
dem Rinnsal, das den Seligliebenden
aus den Träumen leckt.

Langsam verringern wir
den Bewegungsumsatz, und steuern sanft
in Richtung Gesäßerweiterung.

Mit Glück erreichen wir das Fließ-
ende, bevor uns die nächste Welle
ans falsche Ufer spült.

Wir erschließen heute
ein paar Morgen Land
als Überschwemmungsgebiet für gestern.

Fließend 
in deinen Worten

Die Welle ...
kreist sie noch
um das splitternde Wort ...?

An deiner Seite dachte ich in Kreisen. Immer
ausgehend von den Konturen, in annähernden Zyklen,
jeder Wölbung folgend bis zu dem Punkt,
wo alles endet und beginnt. Fließend
in deinen Worten, nenne ich mein Kreisen: Rudern
aus der Mitte gegen die Strömung ans andere Ufer,
wo die Betten immer weicher sind.

Meine Worte sind Ruder aus Luft.

Der Himmel 
unter der Hand

Ich schreib mir das Leben
her, schreib mir das Leben weg.

Schreibe ich zum ersten Mal
Regen? Ich glaube,
früher umschlossen die Wolken
meine Finger ohne Gewicht.
Doch wenn ich jetzt
nach ihnen greife, reißt mir
der Himmel unter der Hand,
bevor ich einen Tropfen fange ...
Ich schreibe alles nieder
und danach lebe ich.

Blutrhythmen
Von dort schlägt
steil runter
die blaue Axt

Manchmal schlägt das Herz
nur aus Mangel an Alternativen.
Dann wieder springt es
unter der gärenden Enge der Haut,
trommelt Blutrhythmen
ins halsstarre Kreuz. Quer liegt es da
auf verstopften Bahnen,
wie Bruchstein von Fassaden,
vermauert jede Form der Bewegung,
und schlägt doch weiter
Blasen voll leerer Phrasen
auf der Zunge: Ohne einen Grund
da zu sein, sind wir hier.

geplante verwilderung
angebrochene packung zuversicht

ich sehe nicht immer so umnachtet aus 
aber im spiegel war noch gestern
und die erinnerung an heute morgen
stand mir schon ins gesicht geschrieben:

ich ging hinaus in den ersten schnee
trat lautlos in tierfußstapfen
und folgte der hyänenspur rückwärts
in die längst geplante verwilderung

Die Wasser steigen
einen Steinwurf vom Weltall entfernt

Naturnahes Nichts.
Ein regloser Baum. Vielleicht
später Nachmittag.

Tag ist das helle
Staunen der Nacht, die Maske
aus blendendem Licht.

Die Jahreszeiten
gleiten vorbei wie Fische,
lautlos hinter Glas.

Eisiger Stille
folgt das Abtauen über-
flüssiger Worte.

Die Wasser steigen.
Im Inneren der Köpfe
fallen die Pegel.

die bedeutungsstarre der wörter
Ich rede für Taube und Blinde so um die Dinge herum

nenn es stille oder was ich bin
aus der endlichkeit erwacht
und wollte mich beschweren
doch alles was ich vorbrachte
war taube zustimmung und
blinde leichtigkeit als sei
die bedeutungsstarre der wörter
aufgelöst und mein höchstes
selbst läge hingestreckt zu
füßen bereit den steilen weg
durch die sprachlosigkeit zu ebnen

Zitate aus Gedichten von Rolf Bossert:
Gern wär ich weiter gegangen (aus: Lemming, müdkalte Maus)

Die Welle ... kreist sie noch
um das splitternde Wort ...? (aus: Reise)

Ich schreib mir das Leben 
her, schreib mir das Leben weg (Selbstporträt)

Von dort schlägt steil runter
die blaue Axt (aus: Gewitter)

angebrochene packung zuversicht (aus: optimistisches gedicht)

einen Steinwurf vom Weltall entfernt (aus: Lied)

Ich rede für Taube und Blinde so um die Dinge herum (aus: Gartenlokal)