Der schwarze Tod kennt alle Sprachen

Zeugen historischer Epidemien in Rumänien und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Minderheitensprachen

Historiker Thomas Șindilariu vor der zweisprachigen Plakat-Ausstellung im Lapidarium des Nationalen Geschichtsmuseum | Fotos: George Dumitriu

Die Ausstellung „Pandemien und Epidemien der Vergangenheit – Herausforderungen in der mehrsprachigen Kommunikation“ wurde am 22. Februar im Beisein von Enikö Katalin Lacziko, Staatssekretärin im DRI (v. l. n. r.), Dr. Ernest Oberländer-Târnoveanu (Direktor MNIR), Präsidialberater Sergiu Nistor, Dr. Vass Levente (Staatssekretär im Gesundheitsministerium), Dr. Octavian Buda (Universität Carol Davila) eröffnet.

Impfaufruf gegen Pocken in Galatz 1841: Die genannten Impfärzte – Manesi, Henenvogel, Georgescu – zeugen von ethnischer Diversität.

Das Ausstellungsplakat zeigt die ehemalige evangelische Siechhof-Kirche für Leprakranke in Schäßburg.

Quarantänebefreiung aus dem Jahr 1817 für den Händler Constantin Cincu aus Bukarest nach fünf Tagen Quarantäne in Temeswar.

Neben Kriegen und Hungersnöten gab es nichts mit vergleichbarer Wirkung auf die Bevölkerungsstruktur ganzer Landstriche oder gar Kontinente als Epidemien und Pandemien, erklärt Dr. Ernest Oberländer-Târnoveanu, Direktor des Nationalen Geschichtsmuseums. Denn immer, wo sich viele Menschen über große Distanzen bewegten, wurden neue Krankheiten eingeschleppt und verbreitet. Pestepidemien kannten schon die Daker und Römer – mit verheerenden Folgen. Ganze Regionen wurden entvölkert und die wenigen Verbliebenen konnten ihre Grenzen nicht mehr verteidigen. Die Pocken verbreiteten sich vor allem mit den Kreuzzügen. Im Mittelalter eroberte die Lepra als neue Seuche Europa. Für die meisten dieser ansteckenden Krankheiten,  verursacht von Bakterien oder Viren, gab es bis zur Erfindung von Antibiotika oder der Impfungen keine Heilung oder effiziente Bekämpfung. 

Als Ende 2019/Anfang 2020 die Coronavirus-Pandemie nach Europa kam, waren die Maßnahmen Hygieneregeln, Masken, Isolation von Infizierten, soziale Distanz, Ausgehsperren und eidesstattliche Erklärungen für Befreiungen davon für die meisten Menschen neu. Doch tatsächlich gab es diese Maßnahmen schon seit Jahrhunderten, klärt der Historiker Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniends (DRI) auf. Dokumente darüber finden sich vom Mittelalter bis in die Moderne, „ein ganzes Museum könnte man mit dem Thema füllen“, erklärt er anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Pandemien und Epidemien der Vergangenheit Herausforderungen in der mehrsprachigen Kommunikation“ (bilingual deutsch-rumänisch) des DRI im Nationalen Geschichtsmuseum am 22. Februar.

Das Besondere daran: Kommmuniziert wurde erstmals schriftlich in der Muttersprache der Bevölkerung in Zeiten, in denen die Amtssprache noch Latein war. Viele medizinische Ausdrücke, zuvor nur unter Gelehrten auch schriftlich gebräuchlich, fanden ihren Weg in die Sprachen der einfachen Bevölkerung und heutigen Minderheiten. Lepra etwa wurde auf Deutsch einfach als Seuche bezeichnet, Zeugen historischer Lepra-Ausbrüche sind Begriffe wie „Siechhof“ oder „Seuchengasse“ in so manchen Städten, etwa Schäßburg/Sighișoara, wo Leprakranke nach dem Rückzug der Krankheit im 16. Jahrhundert zusammengesammelt wurden.  Manche Instruktionen an die Bevölkerung waren zwei- oder dreisprachig. Alle möglichen Betroffenen, auch jene, sie sonst nicht miteinander sprachen, mussten gleichermaßen erreicht werden. Die Schriftstücke drangen bis in die kleinsten Dörfer vor.

Informiert wurde etwa darüber, dass man von Pestkranken keine Kleider oder Katzen übernehmen sollte, der Kirchgang wurde eingeschränkt und aus dem Jahr 1786 ist sogar eine Eigenerklärung zur Regelung des Ausgangs bekannt, ähnlich der, die wir aus der Zeit des Lockdowns 2020 kennen. Denn auch wenn die Ursache der Epidemien Viren und Bakterien bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unbekannt waren, hatte man doch  gewisse Zusammenhänge in Bezug auf die Verbreitung erkannt, so der Medizinhistoriker Octavian Buda von der Universität „Carol Davila“ für Medizin und Pharmazie.

Dokumente – und das Schweigen der Dokumente

Anzeichen für solche Epidemien waren nicht nur solche Dokumente, sondern auch das Schweigen von Dokumenten in den Archiven von Ämtern und Klöstern, fährt Buda fort. Dies bedeutet, dass sich offenbar auch Klöster isolierten und keine Besucher mehr empfingen. Amtliche oder kirchliche Register kamen mit den Einträgen nicht mehr hinterher und holten diese später nach. So sei auch Samuel von Brukenthals Geburt erst erfasst worden, als dieser schon Gubernator von Siebenbürgen war als solcher ins Register eingetragen, amüsiert sich Șindilariu.

Auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens brach die Pest erstmals dokumentiert 1349 herein, über Großwardein, ein Szenario, das sich etwa alle zehn Jahre wiederholte. Nach Europa war sie zuvor 1346 über Italien eingeschleppt worden, von genovesischen und venezianischen Flüchtlingen aus der Krim, nachdem die Tataren dort die Festung Feodosyia überfallen hatten. 60 Prozent aller Pestinfizierten starben. In siebenbürgischen Städten führte die Pest bis Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Bevölkerungsschwund von 20 bis 25 Prozent.

In ganz Europa zeugen Pestsäulen von den Opfern solcher Epidemien. In Temeswar/Timișoara (1738-1739) benennt eine Inschrift auf dem Sockel der Dreifaltigkeitssäule die drei größten Katastrophen der Stadt: Krieg, Hunger und Pest. In Klausenburg/Cluj-Napoca erinnert die Säule der Jungfrau Maria an die Pestepidemie von 1738-1742. 

Erste Maßnahmen und Handbücher

Schnell erkannte man im Falle der Pest die Bedeutung der Isolation der Kranken von den Gesunden. Dies führte zu einer Flucht der reichen Stadtbevölkerung aufs Land. Damit die administrativen Maßnahmen auch dort umgesetzt werden konnten, mussten sie aber auch von der einfachen Bevölkerung verstanden werden. So kam es, dass bereits im Jahr 1500 ungefähr 300 gedruckte Schriftstücke in den bisher nur gesprochenen Sprachen der multiethnischen Bevölkerung erschienen – mit ersten medizinischen Begriffen in diesen Sprachen.

Einer der Pioniere solcher Hygienemaßnahmen war Dr. Sebastian Pauschner aus Hermannstadt/Sibiu. Dieser wurde 1530 ins Burzenland gerufen, wo die Pest wütete, und verfasste ein Handbuch auf Deutsch mit Verhaltenregeln zur Bekämpfung der Verbreitung. Pauschner schreibt darin auch, dass selbst erfahrene Mediziner bei der Erkennung von Leitsymptomen für die Pest häufig Fehler unterliefen. Unter seinen empfohlenen Verhaltensregeln erkennen wir auch die wichtigste Maßnahme der Covid-19 Pandemie wieder: soziale Distanz. 

Staatliche Seuchenbekämpfung: Amtssprache Deutsch

1728 wurde erstmals der Staat in Siebenbürgen in der Pestbekämpfung aktiv: die sogenannten Quarantänebüros wurden entlang der Handelswege an den Grenzen ins Leben gerufen. Dort mussten Händler und andere Reisende erst eine Zeit verweilen, bevor sie passieren durften, was zu einem florierenden Schwarzhandel über die Karpaten führte. So entstanden aber auch die ersten Desinformationen im Zusammenhang mit Epidemien, wie wir sie ebenfalls aus der Corona-Zeit kennen. Griechische Händler in Hermannstadt und Kronstadt/Brașov wurden des öfteren bezichtigt, gezielt Gerüchte über Pestausbrüche zu streuen, um ihre Preise zu erhöhen. 

Unter der Habsburger Monarchie wurden erstmals einheitliche Regeln zur Seuchenbekämpfung erlassen. 1680 wurde eine Gesundheitskommission gegründet. 1770 gab Maria Theresia basierend auf deren Empfehlungen ihre „Sanitäts-Ordnung“ als Gesetz heraus. So gelang es im Wesentlichen durch Isolationsmaßnahmen, die Pest-Ausbrüche von 1786-1831 in Siebenbürgen einigermaßen unter Kontrolle zu halten.  

Die Amtssprache in den Quarantänebüros wurde Deutsch. 

Während in Siebenbürgen die Instruktionen gegen die Verbreitung der Pest oder zur Impfung gegen Pocken in den jeweiligen Muttersprachen der Ethnien erfolgten, erschienen zur Zeit des ersten Ausbruchs von Cholera sämtliche Kommuniques mehrsprachig. 

Siebenbürgische Ärzte an vorderster Front

Auch mit den Ärzten, die sich im Kampf gegen die Verbreitung von Epidemien hervorgetan hatten, befasst sich die Ausstellung. 1521 publizierte Dr. Johann Salzmann in Galatz eine Broschüre mit dem Titel „Eine nützliche Ordnung und Regiment wider die Pestilenz“, die 1523 von der Universität Wien (auf Latein übersetzt) übernommen wurde, deren Rektor Salzmann von 1522-1523 war. 

Ein Schüler des Leibarztes von Maria Theresia war der luxemburgisch-belgische Dr. Adam Chenor, der zur Bekämpfung der Pest nach Kronstadt entsandt wurde. Er wurde dort selbst krank, überlebte aber und fand sowohl den Infektionsweg als auch die Inkubationszeit der Pest heraus. Seine Traktate verbreiteten sich über ganz Europa. 

Sein Nachfolger als „Protomedicus von Siebenbürgen“ wurde der Schäßburger Dr. Michael Neustädter (1736-1806). Ihm gelang es, die Pestepidemie 1786 im Landesinneren zu stoppen. Er veröffentlichte später ein ausführliches Traktat über die Epidemie von 1793 im Burzenland. 

Vom Apothekenhelfer in Kronstadt zum Leibarzt mehrerer Maharadschas in Lahore schaffte es Johann Martin Honigberger (1795-1869). Er bekämpfte Pest und Cholera im Nahen und Mittleren Osten mit Erfolg und entwickelte einen Impfstoff gegen die Cholera. 

Als Serbe aus dem Siebenbürgen zur Zeit der Habsburgermonarchie kämpfte Jovan Stejic gegen Cholera und Pocken und wurde daraufhin zum Leibarzt des Knesen von Serbien. 

Mit der Erfindung von Antibiotika 1928 durch Alexander Fleming wurde dann die durch Bakterien verursachten Krankheiten wie Pest, Cholera, Typhus und Lepra heilbar, Epidemien wurden gestoppt. 

Viruserkrankungen ließen sich mit den ersten Impfungen signifikant eindämmen – oder sogar ausrotten, wie im Falle der Pocken nach einer globalen Kampagne der Weltgesundheitsorganisation. Trotzdem war die Skepsis vor solchen „neuen Methoden“ mitunter groß: So wie heutzutage einige Menschen die auf der neuen, bahnbrechenden Technologie der RNA-Vakzine basierenden Impfungen gegen Covid-19 ablehnen, kämpften auch damals so manche vehement gegen das auf der Basis von Kuhserum hergestellte Pocken-Vakzin: aus der Befürchtung, ihnen könnten Hörner wachsen!

Viruspandemien werden die Welt weiter in Schach halten. SARS-CoV-2 wird als Pandemie wohl bald Geschichte sein – doch höchstwahrscheinlich nicht die letzte, die wir miterleben.


Die  Dokumentenausstellung „Pandemien und Epidemien der Vergangenheit Herausforderungen in der mehrsprachigen Kommunikation“ (Deutsch/Rumänisch) mit Begleitbroschüre in Rumänisch ist noch bis zum 12. März im Lapidarium des Nationalen Geschichtsmuseums (MNIR) zu sehen.