„Die Berglanddeutschen haben ein besonderes Gefühl für das Geschichtenerzählen“

ADZ-Gespräch mit dem rumäniendeutschen Schriftsteller Balthasar Waitz

Der banatdeutsche Autor Balthasar Waitz wurde für sein literarisches Schaffen mehrmals ausgezeichnet, so 2015 für seinen Lyrikband „mit schwalben am hut“ (im Bild). Ende 2019 erhielt er den Donauschwäbischen Kulturpreis. Foto: Zoltán Pázmány

Der in Nitzkydorf in der Banater Heide gebürtige Autor Balthasar Waitz feierte im August seinen 70. Geburtstag. Er blickt auf eine lange Schriftstellerkarriere zurück, die nicht nur von seinem Heimatdorf, sondern auch von der Stadt, in der er das Lyzeum abgeschlossen hat, geprägt ist. In Reschitza/Re{i]a erlangte Balthasar Waitz sein Abitur, um anschließend Germanistik in Temeswar/Timi{oara zu studieren. Nicht von ungefähr also, dass das Mitglied des Temeswarer Schriftstellerverbands Ende letzten Jahres den Band „Wolfsberg – Geschichten aus dem Banater Bergland“ herausbrachte. Wie es dazu kam bzw. wie der Schriftsteller die Pandemie-Zeit erlebt, das erzählt Balthasar Waitz in folgendem Kollegengespräch mit ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu.


Sie sind vor kurzem 70 Jahre alt geworden und blicken auf eine erfolgreiche Schriftsteller Karriere zurück. Wenn Sie sich an den Anfang Ihrer Karriere als Schriftsteller erinnern: Wo und wie war Ihr Debüt? Wie schwer war es überhaupt?

Meine Geburt war bestimmt schwerer als meine Geburt als Schriftsteller (lacht). Das ist so mitgekommen. Man hat gelesen, man hat geschrieben und dann war plötzlich etwas Abgedrucktes da. Und plötzlich hat man es von anderen gehört: Ja, du hast debütiert! Also habe ich dann als Student der Germanistik 1971 debütiert – das ist schon ein Leben her. Es geschah in Temeswar bei der „Neuen Banater Zeitung“. Die Zeitung hatte eine Studenten-Beilage, genau so wie sie eine Schüler-Beilage hatte. Dort habe ich damals debütiert.

Sie waren Mitglied in verschiedenen Literaturkreisen und sind es immer noch. Welche sind Ihre schönsten Erinnerungen an Ihre Anfangsjahre als Schriftsteller?

In den Anfangsjahren, da sucht man sich selbst und man sucht einen Stil. Man hört sich den einen an und hört sich den anderen an. Und wie das bei uns war: Ich bin ja auch in einer Gruppe herangewachsen. Ich war zwar nicht Mitglied der „Aktionsgruppe Banat“, aber wir waren eng befreundet und was sie gelesen haben, habe ich auch gelesen, und was sie versucht haben, habe ich auch versucht, usw. Und so war das dann am Anfang eine Art Schreibschule als junger, angehender Schriftsteller.

Was hat zu Ihrer Entwicklung als Schriftsteller beigetragen? Gab es vielleicht jemanden, der Sie inspiriert hat?

Ja, man lässt sich schon beeinflussen. Vor allem, wenn man jung ist, lässt man sich beeinflussen. Bei mir war das so: Meine schriftstellerische Laufbahn war zweigeteilt. Die eine Zeitspanne war bis 1992, und nach 1995 kam die zweite Periode. Diese zweite Periode kam nach einer längeren Zeit, nachdem ich mir alles genau überdacht habe, das, was ich gemacht habe, und mir überlegt habe, wie ich weitermachen werde. Und da bin ich draufgekommen, ich werde jetzt alles aufgeben und etwas ganz anderes machen. Ich war ja auch als Mensch gereift und war bereit, jetzt wirklich Erinnerungsarbeit zu machen, das zu machen, was ich schon immer wollte und nicht getan habe. Über meine Kindheit, über meine Jugend, über die Gemeinschaft zu schreiben. Alles ist schrittweise gegangen.

Ich bin in einem banatschwäbischen Dorf geboren, eingeschult wurde ich aber in einer Arbeiterstadt. Dann bin ich nach Temeswar, in eine „richtige Stadt“ gekommen, und wurde ein „Obergescheiter“. Das war die Folge dieses Wechsels der Orte. Bis zuletzt habe ich es aber doch eingesehen: Man bleibt mit dem einen Ort, der ist wirklich der wichtigste, dieser Geburtsort, mit dem bleibt man verbunden, und jeder, nicht nur die rumäniendeutschen Schriftsteller, sondern alle Schriftsteller kommen immer wieder zurück auf dieses eine Thema. Auch wenn sie versuchen uns zu sagen, jetzt muss ich ein Theaterstück schreiben, jetzt muss ich einen Gedichtband machen, usw. Wenn ein Schriftsteller versucht, modisch zu sein, nach der Mode zu gehen, also „schau, was die für einen Erfolg haben mit diesem Buch“, dann geht’s fehl! Aber wenn er über sein Thema schreibt, nicht. Und das hab ich dann entdeckt, nach der Revolution, dass mein Thema das banatschwäbische Dorf ist, die Deutschen im Banat, die deutsche Gemeinschaft, wo sie ja da nicht mehr da waren. Aber man kann ja Menschen auch erfinden. Ich weiß nicht, ob man es darf, aber man kann es. Die Banater Schwaben zu erfinden, das habe ich mir vorgenommen, mich zu erinnern an die, die ich in meiner Kindheit gekannt habe. Das war eine große Herausforderung.

Sie haben die, die nicht mehr da sind, erwähnt. Wie wurden denn Ihre Bücher von diesen Menschen, von den ausgewanderten Banater Schwaben, aufgenommen? Haben sie sich da wiedergefunden?

Ja, überraschend gut wurden meine Bücher über das banatschwäbische Dorf aufgenommen. Die Leute haben sich selbst entdeckt, und viele aus meinem Heimatdorf haben selbstverständlich nachgesucht, wer jetzt diese Person ist und ob er auch vielleicht über mich und meine Familie geschrieben hat, das ist aber nicht so. Man schreibt ja nicht, jetzt nehme ich mir eine Hausnummer, und ich schreibe jetzt über dieses Haus, über diese Familie, und nenne den Josef – Johann. Das ist dann ein Unsinn! Das fließt alles zusammen und geht dann durch mich hindurch und kommt dann als eine Geschichte, die von mir geschrieben ist heraus, aber ich habe immer im Kopf den Hintergedanken: Hat da noch jemand mitgeschrieben? Vor allem in meinem Roman „Das rote Akkordeon“ habe ich manchmal diesen Gedanken gehabt. Bin ich der einzige, der da schreibt? Es kommen von links oder rechts, von oben und von unten Ideen. Schreibt da noch jemand mit? Selbstverständlich war das nicht der Fall. Man hat eigentlich nichts, nur sein Gedächtnis. Man hat nichts anderes. Diese Erinnerungen sind das Einzige, was man hat, und wenn die anfangen, zu funktionieren, dann kommt aus einer Erinnerung die andere, usw. In meinem Fall sind es Geschichten geworden. Was dann auch in diesem letzten Buch, „Wolfsberg – Geschichten aus dem Banater Bergland“, auch aufscheint, ist, dass  es nicht abhängt von einem Ort oder von den Leuten, über die man schreibt, über die Gestalten. Die Geschichten sind überall.

Der Band „Wolfsberg – Geschichten aus dem Banater Bergland“ ist Ende letzten Jahres im „Banatul Montan“-Verlag in Reschitza erschienen. Wie wurde dieses Buch geboren und was für Geschichten sind es?

Das Heimatdorf war meine Kindheit. Reschitza und das Banater Bergland waren meine Jugend, und ich habe da immer eine Brücke zwischen diesen beiden geschlagen. Der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen, Erwin Josef Țigla, hat öfter gesagt: Du gehörst zu 30 Prozent auch zu den Berglanddeutschen. Ich habe dazu nicht „nein“ gesagt. Ich war ja  in Reschitza von der fünften Klasse an, habe dort die deutsche Grundschule und das Lyzeum absolviert und bin als Abiturient nach Temeswar an die Hochschule und habe dann auch den Wohnungswechsel vollzogen in dem Jahr 1996.

Meine ganze Jugend war in Reschitza. Ich habe immer ein besonderes Gefühl gehabt, wenn ich die Reschitzaer Umgangssprache gehört habe. Da war das gleiche Geschichtenerzählen. Die Reschitzaer und die Banater Berglanddeutschen haben ein besonderes Gefühl für das Geschichtenerzählen. Nicht umsonst wurde dort Alexander Tietz geboren, und er hat dort diese schönen Märchen, Legenden, Anekdoten, Geschichten aufgezeichnet, weil er überall diese Geschichtenerzähler gefunden hat. Das waren einfache Leute, viele haben gar keine Schule gehabt. Und da haben sich die Banater Schwaben von zu Hause mit den Berglanddeutschen getroffen, wo es um das Geschichtenerzählen ging, um den Humor, um eine besondere Lebensart und Lebensauffassung. Die hatten nicht diese vertrackte Art, jetzt sind wir kaputt, jetzt kommt nichts mehr, das ist der Kommunismus und da kommen wir nicht mehr raus, das ist unser Grab. Nein, das war immer, wie der Rumäne sagt, „haz de necaz“. Aber es war eigentlich mehr „haz“, dieser Galgenhumor, den hatten diese Reschitzaer. Und die wenigen, die noch da sind, die haben das auch. Und da haben sich die beiden Welten getroffen, das Banater Bergland mit dem banatschwäbischen Heimatort und der banatschwäbischen Gemeinschaft. Daraus sind dann diese Geschichten über Wolfsberg, Bokschan, Gataja, Reschitza usw. entstanden.

Diese Geschichten aus dem Banater Bergland sind noch kurz vor der Coronavirus-Pandemie erschienen. Wie hat Sie persönlich die Corona-Krise beeinflusst? Inwiefern gab es positive Entwicklungen für Sie als Schriftsteller? Man hat ja auch deutlich mehr Zeit gehabt, zum Schreiben, beispielsweise.

Zwei, drei Monate herrschte ja totale Blockade. Ich war ja schon 69, also haben alle mit dem Finger auf mich gezeigt:  Das ist ein Alter, der ist gefährlich und der muss eingesperrt werden. Und so war ich dann in der Quarantäne die ganze Zeit. Das hat sich auf den Schriftsteller selbstverständlich gut ausgewirkt, muss ich zugeben, denn das Schriftstellerleben ist ja ein Leben in der Quarantäne. Man denkt viel nach, man muss sich selbst ständig prüfen und man liest viel, man schreibt viel. Es war für mich als Schriftsteller eine sehr gute Zeit.

Was haben Sie in dieser Zeit geschrieben?

Alles Mögliche! Ich habe Gedichte geschrieben, Prosa, Pläne gemacht für andere Bücher…

Welche Zukunftspläne schmieden Sie?

Ich schmiede keine besonderen Pläne. Ich werde meine wichtigen Themen nicht aufgeben: Das banatschwäbische Dorf, der humorvolle, orale Stil, der mir Erfolg gebracht hat, das wird weitergeführt. Was jetzt kommt, kommt. Ob das jetzt Lyrik ist oder Prosa, das ist dasselbe, denn alles ist Poesie. Und wenn es keine Poesie hat, dann ist es keine Literatur. Es könnte sein, dass ein Lyrik-Band das nächste Buch sein wird, denn ich bin da sehr fortgeschritten, ich hatte sogar Tage, wo ich sogar zwei Gedichte geschrieben habe – das war etwas Besonderes. Das hat nur so rumort in meinem Kopf (lacht).