Die Villa Cuţescu-Storck vor hundert Jahren...

Erinnerung an eine deutsch-rumänische Künstlerdynastie

Links: Ein Fachwerkgiebel der Villa Cuţescu-Storck; Mitte: Blick von der Halle ins Atelier von Cecilia, Decken- und Wandmalerei stammen von ihr; Rechts: im Garten der Villa, die Tür führt ins Atelier.
Fotos: Michael Marks

Bis zum August 1916 berichtete das „Bukarester Tageblatt“ über das Weltgeschehen. Auf der Titelseite las man „Die Nachrichten vom Weltkriege“, und unter der Rubrik „Tagesneuigkeiten“ begann die Berichterstattung regelmäßig mit den neuesten Meldungen vom Hofe und endete mit der neuesten Selbstmordchronik. Dazwischen wurde vor Räuberbanden und vor allem vor der „Lügenpresse“ gewarnt. Aber im August bricht die Berichterstattung ab, es gibt bis zum Dezember keine neuen Ausgaben. Was war geschehen? Mit dem Geheimvertrag vom August 1916 hatte Rumänien seine Neutralität aufgegeben und anschließend offiziell den Mittelmächten, d. h. Österreich– Ungarn und Deutschland, den Krieg erklärt. Am 6. Dezember marschierte die deutsche Armee unter Generalfeldmarschall von Mackensen in Bukarest ein. Bereits am 12. Dezember konnte das Tageblatt wieder erscheinen, aber nun unter der Regie der Besatzungsmacht. Alles in allem also durchaus ein dramatisches Jahr für Bukarest.

Die Künstlerin Cecilia Cuţescu-Storck verschönerte in dieser Zeit die Wände ihres neugeschaffenen Heims mit Szenen paradiesischer Unschuld, Allegorien auf die weltliche und geistige Liebe, oder malte exotische Vögel an die Decke. Vielleicht in weiser Voraussicht verwendete Cecilia eine Wachsmaltechnik, die Enkaustik, die Farben auch nach langer Zeit nicht verblassen lässt und der wir es verdanken, dass uns auch heute noch trotz einiger Beschädigungen diese Wandmalereien in der Villa Frederic und Cecilia Cuţescu-Storck beeindrucken können. Besucher verirren sich nur selten in die Villa in der Str. Vasile Alecsandri 16 und das seit 1951 – also noch zu Lebzeiten Cecilias – hier eingerichtete Museum, sodass man sich der vollen Aufmerksamkeit der Museumsführer erfreuen kann.
 

Cecilia Cuţescus erstaunlicher Werdegang

Wandmalereien im öffentlichen Raum, wie das auch heute noch eindrucksvolle Fresko „Geschichte des Handels“ (1933) in der Aula Magna der Bukarester Wirtschaftsfakultät (ASE), machten Cecilia Cuţescu-Storck berühmt. Für sie war 1916 das Jahr ihres Durchbruchs als Künstlerin, denn sie wurde erstmals beauftragt, für die Halle der Bank Marmorosch-Blank ein großflächiges Fresko mit dem Titel „Landwirtschaft, Industrie und Handel“ zu schaffen. Vor allem aber wurde sie zur ersten weiblichen Professorin an die Akademie der Schönen Künste berufen und gründete zusammen mit Olga Greceanu and Nina Arbore die erste „Künstlerinnenvereinigung für Malerei und Bildhauerei“. Für diese Verdienste stand sie im Gespräch, auf einem rumänischen Geldschein verewigt zu werden.

Diese Erfolge wurden ihr sicher nicht in die Wiege gelegt. Eher aus bescheidenen Verhältnissen stammend und bei den Großeltern aufgewachsen, wurde ihr Talent dennoch früh erkannt und sie wurde an die Damenakademie in München geschickt, um unter Friedrich Fehr und Ludwig Schmid-Reutte zu studieren. Dorther stammen vielleicht die Inspirationen für ihre Villa, denn die Münchner „Malerfürsten“, Franz von Lenbach oder von Stuck, schufen sich Residenzen, in denen sie sich in einer Kulisse aus Versatzstücken der Antike, der italienischen, bisweilen auch der deutschen Renaissance zu inszenieren wussten.

Prägender für ihren künstlerischen Lebensweg war noch Paris, wo sie neben den Männern die private Akademie Julian besuchen konnte. Hier herrschte ein progressiverer Geist, auch wenn die Lehrer Jean-Paul Laurens und Benjamin Constant dem Historismus verpflichtet blieben. Denn hier unterrichteten Lehrer der Gruppe „Les Nabis“(die Propheten), der auch Paul Gauguin angehörte. Die Bewegung umfasste recht unterschiedliche Ausprägungen, die vom Symbolismus bis zur Arts-and-Crafts-Bewegung reichten, und in denen die Künstler die Trennung zwischen Kunst und Design aufzuheben suchten. Sicher lassen sich die Einflüsse zum Beispiel Paul Gauguins auf die Kunst Cecilia Cuţescus auf den Kontakt zu diesen Künstlerkreisen zurückführen. In Bukarest gründete ihr zukünftiger Mann Frederic (genannt Fritz) Storck 1901 zusammen mit Kimon Loghi, Ipolit Strâmbu, Gheorghe Petraşcu, Ştefan Popescu unter der Schirmherrschaft und aktiven Beteiligung der jugendstilbegeisterten Prinzessin Maria die Gruppe „Junge Kunst“ (Tinerimea artistică). Wie Cecilia hatte er seine internationale Laufbahn in München begonnen und sich 1893 in die Klasse des Bildhauers Wilhelm von Rümann eingetragen.

In Paris gewann er 1900 die Silbermedaille für die Statue eines Arbeiters, die Kolossalstatue „Gigantul“ aus dem Parcul Carol in Bukarest ist ebenfalls sein Werk. Aber der Einfluss der Art Nouveau ist vielfach in seinen kleineren Bronzeskulpturen zu erkennen, wie der eleganten, wenn auch schrecklichen Darstellung der Salome. Bereits 1904 findet sich im Ausstellungskatalog der „Tinerimea artistică“ der Name Cuţescu–Kunzer, denn 1903 hatte Cecilia den Musiker Romulus Kunzer in Paris geheiratet, mit dem sie einen Sohn hatte. Die Ehe hielt nicht lange, und 1906, kurz nach erfolgreichen Ausstellungen in Paris, so im Salon d’Automne an der Seite ihres Landsmanns Constantin Brâncuşi, kehrte sie nach Bukarest zurück. Cecilia Cu]escu-Storck und Fritz Storck präsentierten regelmäßig ihre Werke bei der immer erfolgreicher agierenden Gruppe „Tinerimea artistică“. 1909 veröffentlicht Fritz Storck die in der Villa ausgestellte Büste von Cecilia, bereits im März dieses Jahres hatten beide geheiratet, der Katalog vom April verzeichnet sie allerdings noch mit getrennten Adressen. Der Sohn Romeo Kunzer aus erster Ehe, später selbst ein renommierter kubistischer Maler, wird von Fritz adoptiert. Im selben Katalog erscheint noch ein weiterer Storck-Name: der des Bruders Jean (Carl Julius) Storck, der sich später als Architekt einiger Jugendstilvillen in Bukarest einen Namen machen sollte.
 

Die Villa als Spiegel einer Künstlerfamilie

Nicht allerdings beim Bau der Villa von Cecilia und Fritz, die sie zusammen mit dem Architekten Alexander Clavel entwarfen. „Eklektisch“, lautet die Antwort auf die Frage, was denn das für ein Stil sei. Etwas verblüfft diese Mischung aus italienischer Villa und englischem Fachwerkhaus. Die Fassaden erstrahlen mehr bordeaux- als pompejanischrot, sind mit eingefügten Marmorreliefs als Reminiszenzen an die Antike versehen, dann folgen Fachwerkgiebel oder Erker mit Butzenscheiben. Im Garten liegen Marmorfragmente, Reliefs von Karl Storck, dem Vater von Fritz, aus dem Tympanon der alten Universität. Einige der geborstenen Säulen aus der Storck-Villa in Baltschik, die nach dem Ersten Weltkrieg direkt neben den Gärten der rumänischen Königin Maria entstand, säumen ein marmorgefasstes Becken. Innerhalb der Künstlerkolonie der Zwischenkriegszeit nahm das Paar Cuţescu-Storck eine prominente Rolle ein, zahlreiche Bilder von Cecilia erinnern an diese Periode. Gleichzeitig verweisen sie auf einen weiteren Familienzweig, denn Cecilias Schwester Ortansa war mit Alexandru Satmari verheiratet, Sohn des berühmten Pioniers der Fotografie Carol Popp de Szathmary. Alexandru hatte Baltschik schon früh für sich entdeckt, und er soll es wohl auch gewesen sein, der Königin Maria auf diesen pittoresken Flecken Erde aufmerksam gemacht hat.

Alexander Clavel, der sich ansonsten eher durch Bauten im neurumänischen Stil auszeichnete, begann seine Arbeiten 1911. Die Jahreszahl 1913, das Jahr, in dem die Villa vollendet wurde, findet sich auf der schön geschnitzten Kirchentür, die sich vom Atelier Cecilias in den Garten öffnet. Das Atelier von Cecilia bildet mit der Empfangshalle eine repräsentative Einheit, in der Lebens- und Arbeitsbereich ineinander übergehen. Abgetrennt wird es nur durch einige Stufen und eine venezianische Säule aus grünem Marmor. Die Brunnenfassung im Stil der Colţea Kirche teilt die Wand mit den Allegorien, darüber wölbt sich eine grüngoldene Kassettendecke.

Der Hausherr Fritz Storck verewigte sich als Selbstporträt auf einem Relief der Fassade. Betritt man das Haus, zweigt gleich rechter Hand ein schmaler Gang ab, heute mit frühchristlichen Skulpturen und einigen Büsten der Künstlerfamilie Storck geschmückt. Er führt zum spartanisch weiß getünchten Atelier von Fritz Storck. Hier versammeln sich Modelle der berühmten Statuen von Karl, aber auch Werke des Halbruders Carl, aus der ersten Ehe des alten Storck mit Clara Ihm. Auf die Töchter von Fritz und Cecilia, die Architektin Gabriela Storck und die Keramikkünstlerin Lita (Cecilia) Botez-Storck verweisen die Marmorbüsten von der Hand des Vaters und einige glasierte Tonvasen von Lita. Ihre Söhne und Enkel bewohnen noch heute einige Privaträume der Villa und sind wie Alvaro Botez, ein Bildhauer, dem künstlerischen Metier treu geblieben. Aber es gibt auch Hinweise auf weniger bekannte Nachfahren der weitläufigen Storck-Familie, die weit verzweigt in Rumänien, Deutschland, Norwegen oder Frankreich leben. Marianne Roth, Nachfahrin der Juliane Friederike, einer weiteren Tochter Karl Storcks, hat durch genealogische Forschung etliche Familienmitglieder zusammentragen können. (An dieser Stelle ein herzlicher Dank für die übersendeten Unterlagen) Einige der Töchter heirateten Apotheker in Siebenbürgen oder Bukarest, auch der Beruf des Architekten scheint mehrfach vertreten. Hans Liebhardt erwähnt in seinen Geschichten „Deutsche in Bukarest“ den Kollegen vom „Neuen Weg“ Ewalt Zweier, der über die Kronstädter Buchhändlerfamilie Zeidner mit Carl Storck verwandt war und den „Fritzonkel“(Frederic Storck) noch gekannt habe.
 

Der Lehrmeister der rumänischen Bildhauerei

Der Stammvater all dieser talentierten Nachfahren, Karl Storck, stammte aus Hanau, Hessen. Ursprünglich Graveur und Goldschmied arbeitete er zunächst in diesem Metier bei dem Bukarester Goldschmied Joseph Resch. Aber vielleicht inspiriert durch die Forderung Alexandru Odobescus, dem berühmten Archäologen, dass es ein Glück wäre, Meisterwerke wie das eines „Laokoon“ oder wenigstens eine respektable Kopie zu besitzen, wanderte Storck für einige Jahre samt Familie nach München, um bei Prof. Max von Widmann zu studieren. Nicht nur, dass er später in Bukarest zum gefeierten Bildhauer avancierte, der zahlreiche Denkmäler in Bukarest schuf, wie das der Tochter von Brâncoveanu, die Domniţa Bălaşa, aber auch intimere Porträts, u. a. der Elisabeth von Wied, Rumäniens Königin. Sondern als erster Professor dieses Faches an der Kunstakademie wurde er zum Vater der Bildhauerei in Rumänien. Als der rastlose Mann schließlich mit nur 61 Jahren an einer Lungenentzündung starb, würdigte ihn das „Bukarester Tageblatt“ nicht nur als Künstler, sondern als „Gründer der ältesten hiesigen deutschen Vereine“, Präsident des Turnvereins, Mitglied der deutschen Liedertafel und Vorstandsmitglied der evangelischen Gemeinde. Staunenswert erschien dem Blatt auch, dass „...zahlreiche Kinder an seinem Grab weinten.“

Seine erste Frau Clara Ihm, auch aus Hanau – ein Relief von ihr findet sich gleich im Eingangsbereich –, die 1864 an den Blattern in Bukarest verstorben war, hatte ihm fünf Kinder geschenkt. Nur Carl überlebte und trat nach langen Auslandsaufenthalten in Italien und Amerika schließlich in die Fußstapfen des Vaters. Die Figuren an der Fassade des Justizpalastes stammen von ihm. Carl scheint sich auch um die weitere Familie gekümmert zu haben, denn am 29. Januar 1916 erscheint eine kleine Zeitungsnotiz mit einem Hinweis auf die Grabpflege des verstorbenen „Carl“ Ihm, vielleicht einem Onkel? Carl fertigte aber auch eine Büste der zweiten Frau seines Vaters, Frederike Amalie Oelscher an, die aus Kronstadt/Braşov stammte. Sie schenkte Karl neben Fritz noch acht weitere Kinder, von denen nur zwei das Erwachsenenalter nicht erreichten. Im Katalog zur Dynastie Storck sind die Werke vom Vater und seinen beiden Söhnen aufgeführt, darunter einige Plaketten, die sich diversen Familienmitgliedern zuweisen lassen. Vielleicht gibt es in Bukarest, Siebenbürgen und Deutschland noch so manchen Nachfahren, der gar nichts von dieser Verwandtschaftsbeziehung weiß. Familiensinn, Emanzipation und künstlerische Freiheit bilden hier offensichtlich keinen Gegensatz. Nicht zuletzt ist eine der hier ausgestellten seltenen Bronzeskulpturen – vielleicht die einzige? - von Cecilia Cuţescu-Storck dem Thema Mutterschaft(1913) gewidmet.