Ein babylonisches Theater-Frikassee

Zur Aufführung des interkulturellen Projektes „Faust Exhausted“ in Hermannstadt

Das Chaos auf der Bühne ist eine Krise unseres Ich. Foto: Andrey Kolobov

Faust ist erschöpft. (Lebens-)müde. Kein Wunder – er ist nun über 200 Jahre alt. Nichtsdestotrotz ist er lebendig und aktuell, wie wahrscheinlich nie zuvor. Dies bewies die Vorstellung „Faust Exhausted“, die am Dienstag, dem 11. Februar, dem Hermannstädter Publikum im Studiosaal des Radu-Stanca-Theaters vorgestellt wurde. Faust ist überall, an jeder Ecke lauernd, in jedem Gehirn eingebettet – und doch ist er nirgends.

Das internationale, interkulturelle Projekt, das Schauspieler aus Bulgarien, Luxemburg, Rumänien und der Schweiz zusammengeführt hat, wird von Bernhard M. Eusterschulte und Johann Niedermüller geleitet. Die Erstvorführung fand in September 2013 in Sofia statt. Im November des vergangenen Jahres wurde die Vorstellung in Luxemburg gezeigt. „Faust Exhausted“ ist ein Projekt der TARTproduktion (Stuttgart) in Zusammenarbeit mit Theater-Labor „Sfumato“ (Sofia), Théâtre National du Luxembourg, Radu-Stanca-Theater Hermannstadt/Sibiu, Theater „Rampe“ (Stuttgart) und Produktionszentrum „Tanz und Performance e.V.“ Stuttgart.

„Faust Exhausted“ basiert zwar auf dem Stück „Faust II“ von Wolfgang von Goethe, stellt jedoch eine Neuverarbeitung des Stoffes durch Tomo Mirko Pavlovic dar: eine Aktualisierung, eine Anpassung an die modernen Begebenheiten, eine Versetzung des unsterblichen Doktors in die Zeit der Europäischen Union. In jene Zeit also, in der ein einigermaßen geordnetes Chaos herrscht. „Die EU ist eine riesige Baustelle“, sagte der Regisseur Eusterschulte nach der Vorstellung. Dies spiegelte sich sowohl in der Bühnengestaltung als auch in dem sprachlichen Wirrwarr wieder. Das Stück wird nämlich in sieben Sprachen gespielt: Deutsch, Bulgarisch, Luxemburgisch, Schwyzerdütsch, Rumänisch, Englisch und Französisch.

Die Dichotomie (Zweiteilung) Europas in Ost und West konnte einerseits nicht besser unterstrichen werden, als durch die internationale Besetzung. Andererseits verschwindet diese Teilung gerade aus diesem Grund fast vollständig. Georgi Novakov und Vasil Duev (Bulgarien), Marc Baum (Luxemburg) und Christoph Keller (Schweiz) verkörpern vier verschiedene Varianten von Faust: alters- und herkunftsbedingt unverwechselbar. Die Rolle von Gretchen interpretiert Fabiola Petri (Rumänien), Studentin an der Hermannstädter Theaterfakultät. Margita Goscheva (Bulgarien) ist Helena, das Sinnbild der idealisierten Verehrung, die, sobald sie körperliche Realität zu werden droht, für Faust unerträglich wird.

Die Vorstellung setzt sich kritisch mit der Moderne auseinander, in der uns „nach dem Zusammenbruch der Ideologien nur noch das Geld, das Faust noch herzustellen vermochte“, geblieben ist. „Wenn aus Bürgern Schuldner werden, dann bricht das faustische Zeitalter an“, rezitieren die Akteure, während sie mit Geldscheinen spielen. Die Teilung Europas in Reiche und Arme spiegelt sich auch im Ausruf des Luxemburger Faust wieder, der zwar ins Dunkle, aber doch in Richtung Publikum geschrien wird: „Ich sehe Sie, meine osteuropäischen Billiglöhner!“

In der Gestaltung des Stückes gab der Regisseur den Schauspielern gewisse Interpretationsfreiheit. Zwischen den festgelegten Anhaltspunkten dürfen sie zu angegebenen Themen improvisieren. Vielleicht nicht so viel, wie sie gerne täten, aber ausreichend, um das Stück bei jeder Vorführung ein wenig anders aussehen zu lassen. „Der Mensch geht ins Theater, damit er emotional erschüttert wird“, behautet Novakov-Faust mitten im Stück. Die Erschütterung gelang dem Ensemble glänzend. Auch wenn man die Handlung am besten als „Nicht-Aufführung“ von Goethes „Faust II“ erklärt, überwältigt einen die schauspielerische Leistung, die auf verschiedenen Theaterschulen und unterschiedlicher Erfahrung der Darsteller basiert.

Dem Ensemble stehen noch weitere Aufführungen bevor: am 23. April wird „Faust Exhausted“ im „Schlachthaus“-Theater in Bern und am 1. Juli in Stuttgart aufgeführt.