Ein französischer Künstler und Balkanreisender

Radierungen von Théodore Valério im Bukarester Nationalen Kunstmuseum

Théodore Valério: „Walachische Frau aus Tunari“ (Aquatinta-Radierung)

Der französische Maler und Grafiker Théodore Valério (1819-1879) ist in seinem Leben viel gereist. Bereits in jungen Jahren unternahm er zusammen mit seinem Lehrer und Freund Nicolas-Toussaint Charlet Reisen durch Deutschland und Italien, deren künstlerische Erträge er, erst neunzehnjährig, im Salon der französischen Kunstwelt präsentieren durfte.

Bekannt wurde Valério dann insbesondere durch seine Radierungen, die er in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf seinen Reisen durch Mittelost- und Südosteuropa anfertigte. In den Jahren 1851 und 1852 bereiste er Ungarn und Bosnien, während des Krimkriegs (1853-1856) weite Teile des Balkans. So wurde er 1854 Zeuge der Belagerung von Silistra und am 22. August desselben Jahres war er beim triumphalen Einzug des osmanischen Generals serbischer Herkunft Omar Pascha in Bukarest zugegen.

Die Valério-Ausstellung, die derzeit und noch bis zum 29. März dieses Jahres im linken Flügel des Bukarester Nationalen Kunstmuseums, in den beiden Grafiksälen der Galerie Europäischer Kunst, zu sehen ist, ist einem Album von Radierungen gewidmet, in dem Théodore Valério seine – so der Titel – „Souvenirs de la monarchie autrichienne“, Erinnerungen an die Habsburgermonarchie, in einer Reihe von künstlerischen Werken aufbewahrt hat. Das Album enthält – so der Untertitel – eine „Suite de dessins d’après nature gravés à l’eauforte“, eine Folge von Zeichnungen nach der Natur in Aquatinta-Technik.

Gezeigt werden in der Bukarester Ausstellung insgesamt vierzig Arbeiten aus den Beständen des ehemaligen Toma Stelian-Museums, wobei das Nationale Kunstmuseum mehr als doppelt so viele Radierungen aus dieser Werkfolge zu seinem Besitz zählen darf. Die Auswahl besorgte die Kuratorin der Ausstellung, Mariana Vida. Ein umfangreicher Katalog, der sämtliche 93 Valério-Radierungen des Bukarester Nationalmuseums aufführt, bietet weitere wertvolle Informationen zu dieser sehenswerten Grafik-Ausstellung.

Théodore Valérios künstlerisches Interesse galt ebenso pittoresken Motiven wie auch ethnografischen Themen, die er überall auf seinen Reisen durch die Donaumonarchie und deren angrenzende Gebiete aufsuchte und gestalterisch umsetzte. Diese anthropologisch-artistische Tätigkeit trug ihm auch die Freundschaft des um sieben Jahre älteren ungarischen Zeichners, Malers, Grafikers und Fotografen Carol Popp de Szathmáry ein, mit dem Valério verschiedentlich künstlerisch zusammenarbeitete.

Die Bukarester Valério-Ausstellung hebt die ethnografische Diversität des österreichischen Vielvölkerstaates bereits in den Titeln der einzelnen Radierungen ins Bewusstsein, die nicht nur exakte geografische Lokalisationen beinhalten, sondern, neben deren Berufen auch die Nationalitäten der dargestellten Menschen, Typen oder Personen hervorheben. Man sieht dort Fischer bei der Arbeit am Ufer der Theiß, eine Ungarin in Pelztracht beim Kirchgang in Árokszállás, dem im Burgenland gelegenen Grafenschachen, einen Boten aus Erdökövesd mit versiegeltem Brief und weitem Mantel, einen walachischen Schäfer aus der Gegend von Großwardein/Oradea, einen albanischen Kommandanten in einem Lager bei Calafat, wo im Krimkrieg die türkische Armee unter Ahmed Pascha gegen die russische Armee unter General Anrep einen wichtigen Sieg davontrug.

Des Weiteren sieht man in der Bukarester Valério-Ausstellung ägyptische Wachtposten inmitten eines Weizenfeldes in der Dobrudscha, ferner einen ägyptischen Derwisch mit Pfeife, Schärpe und weißem Rauschbart vor dem Hintergrund eines jüdischen Grabes und einer Moschee mit Minarett im am rechten Ufer der Donau gelegenen bulgarischen Widin, das seit wenigen Jahren mit dem am linken Donauufer gelegenen rumänischen Calafat durch eine Brücke verbunden ist. Man begegnet einer reich geschmückten Griechin mit Schurz und Kopftuch an einem Brunnen in der Gegend von Zavalje (Bosnien-Herzegowina), einem Türken aus Trabzon mit Schnurrbart, Turban, Pfeife und einer Reihe von Dolchen, die er in seinem Gewand stecken hat, ebenso einer Frau aus Belgrad in einer fast spanisch anmutenden Tracht, was durch eine im Hintergrund an eine Mauer gelehnte Gitarre noch unterstrichen wird.

Martialisch anzusehende türkische Freischärler, so genannte Başi Bozuk (rum. Başbuzuc), mit afrikoiden Zügen oder auch mit arabischem Einschlag, bevölkern Valérios Radierungen ebenso wie Kuhhirten aus dem ungarischen Komitat Pest, Viehdiebe aus der Puszta, montenegrinische Bauern oder Marktfrauen, die sich mit Vieh, Wolle und anderen Waren zum Markt in der an der Adria gelegenen Stadt Kotor (Montenegro) aufmachen. Zwei der ausgestellten Radierungen zeigen auch Musikanten: ein Streichtrio in einer Dorfschenke und drei morlakische Dudelsackbläser aus Dalmatien.

Besonders interessant ist ein Bildmotiv, das gleich zweimal in der Bukarester Ausstellung vertreten ist. Théodore Valério hat es später auch in seinem Ölgemälde „La mère de guerrier“ wieder verwendet. Es zeigt Christen, die ihre Waffen abgelegt haben und an einer Klostermauer inbrünstig ihr Gebet verrichten. Es handelt sich dabei um das Kloster von Cetinje, das, 1482 gegründet, zur Keimzelle der Stadt Cetinje wurde, die jahrhundertelang bis 1918 die Kapitale Montenegros war. Heute ist Cetinje Amtssitz des montenegrinischen Präsidenten, außerdem religiöses Zentrum und Hauptsitz der montenegrinisch-orthodoxen Kirche, deren Autokephalie von den übrigen orthodoxen Kirchen allerdings nicht anerkannt wird. So bieten die Radierungen Théodore Valérios immer wieder Anlass zu Ausflügen in die Geschichte und Gegenwart der Menschen und Länder Mittelost- und Südosteuropas.