Ein seltenes Fest der Violinmusik

Solisten aus Rumänien erobern weltweit die Bühnen

Das Landesfunkhaus Niedersachsen des Norddeutschen Rundfunks, zugleich Sitz der NDR Radiophilharmonie.
Foto: Christine Chiriac

Auf musikalischem Gebiet hat Rumänien zahlreiche Künstler von internationalem Renommee hervorgebracht, und die Klangwelt scheint auch heutzutage eine musterhafte Visitenkarte des Landes zu sein, an der wenig – wenn überhaupt – Kritik geübt wird. Leider ist dieses Renommee der Solisten gelegentlich rein international – im Land selbst sind sie kaum bekannt, man erlebt sie nicht auf Konzertbühnen und erfährt nicht von ihren Platteneinspielungen oder Auszeichnungen. Vielleicht liegt es am Sprichwort vom Propheten, der in seiner Heimat nichts gilt, vielleicht liegt es an einem inländischen Musikbetrieb, der manchmal zu wenig Geld hat und manchmal zu wenig Selbstbewusstsein. Nichtsdestotrotz: käme jemand auf die aberwitzige Idee, eine ganze Spielzeit mit im Ausland gefeierten rumänischen Solisten zu besetzen, so würden höchstwahrscheinlich die Termine eines Jahres nicht reichen.

Fakt ist, dass man in ausländischen Konzertprogrammen immer wieder rumänische Namen entdeckt. So zum Beispiel die Geigerinnen Sarah und Deborah Nemţanu. Sie stammen aus Rumänien, haben die ersten Noten unter Anleitung ihres Vaters Vladimir Nemţanu spielen gelernt und sind trotz ihres jungen Alters (32, bzw. 30 Jahre) angesehene Interpretinnen, nicht nur in ihrer neuen Heimat Frankreich. Sarah Nem]anu ist schon seit elf Jahren Konzertmeisterin des Orchestre National de France, Deborah Nem]anu, die unter anderen bei Itzhak Perlman Unterricht genommen hat, ist seit 2005 Konzertmeisterin des Orchestre de Chambre de Paris.

Dass sie zusammen auch viel Kammermusik machen, wird deutlich, sobald sie im Duo spielen.
Im Duo spielten sie unlängst in Hannover – als Solistinnen der von Eivind Gullberg Jensen geleiteten NDR Radiophilharmonie. Auf dem Programm stand ein selten aufgeführtes Werk der Moderne, das Konzert für zwei Violinen und Orchester in D-Dur von Bohuslav Martinu (1950). Das Stück ist nicht avantgardistisch, es bleibt der Tonalität und dem klassischen Aufbau treu. An dem Temperament und der aufbrausenden Energie der Orchestertutti erkennt man Böhmen, während die virtuosen Soloparts und die anspruchsvolle Kadenz eher dem abstrakten 20. Jahrhundert nahe stehen.

Der melancholische zweite Satz und das eifrige, schwungvolle Finale runden ein Konzert ab, in dem die beiden Sologeigen oft wie ein kräftiges Quartett klingen. Wild, direkt, furchtlos spielten die Schwestern Nem]anu. Sie waren nicht nur technisch perfekt koordiniert, sondern vor allem da, wo es schwierig wird: in den musikalischen Absichten und Klangdosierungen, im dynamischen Aufbau, im Fluss der Modulationen. Unterstützt wurden sie maßgeblich von einem exzellenten Orchester und einem aufmerksamen, einfühlsamen Dirigenten, der selber ein Violinstudium hinter sich hat. Insgesamt eine mehr als angenehme musikalische Überraschung.

Im Großen Sendesaal des Niedersächsischen NDR-Landesfunkhauses trat anschließend ein weiteres Schwesternpaar auf, diesmal aus Norwegen: Ragnhild und Eldbjorg Hemsing. Noch jünger als ihre rumänisch-französischen Kolleginnen (25, bzw. 23 Jahre), teilen sie sich die Zeit zwischen Klassik, zeitgenössischen Werken, Uraufführungen und norwegischer Volksmusik. In Hannover spielten sie  „Amitie”, ein „Poeme“ für zwei Violinen und Orchester von Eugene Ysaye (1926) – der die allermeisten seiner Werke für Geige geschrieben und seine dritte Sonate seinem Vorbild George Enescu gewidmet hat. Die freie, lyrische Form, die mit Martinus Konzert kontrastierte, füllten die Geigerinnen in ihrem Dialog mit geschmeidigen Klängen, großzügiger Phrasierung, wunderbar geflüsterten Pianissimi und viel Seele.

Herzstück des Abends war mit Sicherheit die Uraufführung des Konzerts für vier Violinen und Kammerorchester von Marc-Andre Dalbavie, das in diesem Jahr im Auftrag des NDR komponiert wurde. Der Komponist ist 1961 geboren, hat bei Pierre Boulez studiert und gilt heute als einer der führenden Köpfe der zeitgenössischen Musikszene. Er setzt sich in seinen Werken mit Genres vergangener Epochen auseinander und überführt deren Stilmerkmale in seine eigene Klangsprache. Er bezieht sich gerne musikalisch auf Tradition und Vorbilder, scheut keine Konsonanzen, bringt aber dabei eine sehr originelle, persönliche Lesart zur Geltung.

Sein Auftragswerk für den NDR steht in der Nachfolge von Vivaldis Konzerten für vier Violinen, genauer dem Konzert in h-Moll. Dalbavie realisiert hier, wie er erklärt, eine „Übertragung, Kommentierung und rhythmische Steigerung“, indem er eine Mischform aus Concerto grosso und Solokonzert aufgreift und absolut Neues mit absolut Eingesessenem verbindet. Das Kammerorchester ist klein gehalten, die vier Geigerinnen sind meistens integriert, gelegentlich treten sie mit solistischem Glanz hervor. Der Komponist nimmt nicht ohne Ironie die rein tonalen Akkorde Vivaldis unter die Lupe, pflückt sie auseinander, spielt mit ihnen, fügt ihnen spätromantische Kommentare hinzu oder beharrt beispielsweise Takte lang auf einengenden Sekunden, sodass die erste Terz wie ein Ereignis und eine Erlösung wahrgenommen wird. Ein Fest der Violinmusik.

Die Radiophilharmonie des Norddeutschen Rundfunks verabschiedete sich vom begeisterten Publikum mit Igor Strawinskys Burleske „Petruschka“, gefüllt mit bunten Gestalten, Jahrmarktstimmung und mal grotesken, mal liebenswürdigen Marionetten. Das Konzert wurde aufgezeichnet und wird am 10. Januar 2014 um 21 Uhr rumänischer Zeit auf NDR Kultur  gesendet.