Ein Taschenmesser namens Feitel

Der Taschenfeitel, ein männliches Ausrüstungsstück

Taschenfeiteln in allen Größen

Kleinpresse, Federplatthammer, Maschine zur Bearbeitung des Holzgriffs Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Es ist ungemein interessant, Günther Steindleggers Ausführungen zu lauschen.

Im Jahr 2015 wurde der Trattenbacher Taschenfeitel in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen

Schon vor 2,5 Millionen Jahren haben die Menschen der Steinzeit scharfkantige Steinsplitter als Schneidewerkzeug verwendet, um verschiedene Materialien zu zerkleinern – das zeigen entsprechende Funde. Da der Mensch kein Raubtiergebiss besitzt, ließ sich Fleisch nur zerkleinert genießen. Das Messer war damit sicher das wichtigste Werkzeug in der Geschichte der Menschheit, das auch zur Erweiterung des Nahrungsmittelangebots wesentlich beitrug.

Die in Kleinasien lebenden Hethiter hatten vor knapp viertausend Jahren schon verstanden, vergütetes Eisen herzustellen. Mit einiger Fantasie kann man sich vorstellen, welch lange Entwicklung es bedeutete, vom Steinsplitter zum Universalwerkzeug Messer und zum gehobenen Essbesteck zu werden. In Europa hatte man in der Hallstattzeit seit etwa 800 v. Chr. Eisen zur Verfügung. Das älteste Klappmesser keltischen Ursprungs wurde in Hallstatt (Österreich) gefunden – 550 v. Chr. hergestellt, hatte es eine Eisenklinge und einen Griff aus Knochen. Die Geburt des Taschenmessers.  

Wie der Taschenfeitel entstand

Das Tal der Feitelmacher ist heute fast ein Geheimtipp in den Eisenwurzen, einem Gebiet, das im Dreiländereck von Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark liegt. Man fährt südlich von Steyr das Ennstal aufwärts und bei der Trattenbachmündung ab dem Dorf Trattenbach in das enge Tal hinein. Hier lässt sich an den alten Gebäuden die Geschichte des Taschenfeitels anschaulich nacherleben: Johann Löschenkohls Manufaktur, das Museum in der Wegscheid, die Schleife am König, die Drechslerei am Erlach, der Rameishammer und die Messererzeugung Hack – die als Spezialität Hirschhornbesteck aus Edelstahl produziert.

Der Taschenfeitel ist ein Klappmesser. Der Name „Feitel“ kommt von falten, fälteln, das sich in der Mundartaussprache ungefähr wie „faidln“ anhört. Das „gefaltete Messer“ ist für jedermann gefahrlos in der Hosentasche zu tragen – und zwar schon seit dem Mittelalter!

Der sagenumwobene Messerer Barthl Löschenkohl soll 1520 mit sieben Söhnen aus Frankreich nach Steinbach an der Steyr eingewandert sein, um sich später mit seinem Modell-Klappmesser in Trattenbach anzusiedeln. Die Trattenbacher ihrerseits stellten schon Schermesser her. Ihr Material war der Scharsacher Stahl, ein besonders harter Stahl, der nur heiß geschmiedet werden konnte. Die Steinbacher und die Trattenbacher waren ein-ander gar nicht grün, konnten aber schließlich doch eine eigenständige Innung gründen, die Kaiser Leopold I. im Jahr 1682 mittels Unterzeichnung bestätigte. Etwa 18 Werkstätten gab es im Ort und in der Umgebung nochmals so viele, und alle achteten sie streng darauf, dass ihre Produktionsgeheimnisse auch wirklich geheim blieben. Verschiedene Feitelmodelle wurden entwickelt, Messer für bestimmte Berufssparten, Frauenmesser, Kindermesser, ungarische und französische Messer usw.

In der Weltwirtschaftskrise und nach dem Zweiten Weltkrieg erlitt das Handwerk so schwere Schläge, dass es sich davon nie mehr richtig erholen sollte: Ganze sechs Feitelmanufakturen blieben über. Heute produziert nur noch Johann Löschenkohl etwa 20.000 Feitel im Jahr. Am 23. September 2015 wurde die Herstellung des Taschenfeitels von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet.

Vor fünfzig Jahren waren es noch 100.000, und in der Blütezeit des Handwerks – von 1882 bis 1914 – ist von total 8 Millionen Feiteln die Rede, die in die ganze Welt exportiert worden waren. Damals war der Taschenfeitel ein selbstverständliches männliches Ausrüstungsstück; zum Brot- und Speckschneiden, generell bei jeglicher männlicher Tätigkeit in Feld und Wald war der Feitel nicht wegzudenken. Mit etwa sieben Jahren wurde ein Bub als alt genug für einen Feitel angesehen. „A jeder Bua / braucht an Taschenfeitel und a Schnur“, hieß es – und das ähnelte fast einer Kulturini-tiation. Das Geschicklichkeitsspiel „Messerln“ war damals gang und gäbe, und diese Art des Messerwurfs wird heute noch als lebendige Tradition in Feitlclubs gepflegt.   
Familienbetrieb Löschenkohl
Die Produktion der Taschenfeitel war von Anfang an ein Familienbetrieb. Mit seinen sieben Söhnen konnte Urahn Barthl schon „was weiterbringen“ ... Dazu kam, dass die Frauen die Holzarbeiten ausführten und die Männer die Eisenarbeiten. Die ganze Sippe inklusive der Kinder arbeitete zusammen, und jeder wusste, was er zu tun hatte. Das Bachwasser wurde von einem Haus zum anderen geleitet und betrieb die Wasserräder. Damit wurden die Maschinen angetrieben und erst im Jahr 1954 durch eine Francis-Turbine ersetzt, die ein ganzes Transmissionsnetz antreibt. Dadurch konnten die wuchtigen alten Maschinen für die einzelnen Arbeitsschritte – wie Bretter spalten, Rohlinge für die Messergriffe stanzen, drechseln, färben, polieren, Klingenschlitze fräsen, den Metallring zum Befestigen des Messers montieren sowie die Messer stanzen, schleifen und polieren – die Handarbeit zwar erleichtern, aber nicht ersetzen. Löschenkohls historischer Maschinenpark ist eindrucksvoll!
Johann Löschenkohl (geb. 1958), gelernter Schlosser, Schmied und Messerschmied, heute der einzige und letzte Feitelhersteller in Trattenbach, bezieht nur die Holzgriffe aus einer Drechslerei, die anderen 18 Arbeitsgänge erledigt er selber und allein. Sein Markenzeichen, ein kleines Gewehr, wird, wie bei allen Messerern üblich, durch einen Stanzvorgang an der Klinge eingeprägt. Seine Urgroßmutter, Cäcilie Löschenkohl, hatte nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1879 den Betrieb selber weitergeführt und ihn 1919 ihrem Sohn übergeben, der ihn seinerseits wieder weitergab.

Eine Sonderstellung in der Feitelerzeugung hatten die Schleifer. Das Schleifen der Messer war eine gefährliche, ungesunde und unbeliebte Arbeit. Bis etwa 1900 wurde direkt neben dem Bach am Bauch liegend nass geschliffen, und der Arbeiter war jeden Abend mit einer Schlammschicht aus Stahl- und Steinstaub bedeckt. Die Arbeit war zwar sehr gut bezahlt, und am gemeinsamen Mittagstisch bekam der Schleifer als einziger Rindfleisch zu essen, aber es hieß: „Kein Schleifer wird älter als vierzig Jahre.“

Ein faszinierendes Museumsdorf

Schon im 16. Jahrhundert stand an der Weggabelung im Trattenbachtal eine Schmiede und Schleife, wo seit 1998 das Museum in der Wegscheid eingerichtet ist. Im unweit entfernten Drechslereimuseum am Erlach ist Günther Steindlegger (geb. 1940), gelernter Techniker und Motorenbauer, der selbst aus einer alten Feitelfamilie stammt, ein universal versierter Museumsbegleiter. Jeder einzelne Arbeitsgang der Feitelerzeugung wird von ihm mit den nötigen Maschinen und den entsprechenden Erklärungen vorgeführt – und das mit so viel Begeisterung, dass man sich am liebsten gleich als Mitarbeiter engagieren ließe. Zudem weiß er auch über das Leben und Brauchtum im Tal Bescheid – von der Feitelmusik der Musikkapelle bis hin zu traditionellen Kochrezepten.  

Die Menschen im Tal sind hier stark verwurzelt und heimatverbunden, aber ebenso flexibel und weltoffen für andere; das mussten sie schon durch ihre weltweite Handelstätigkeit sein. Selbstbewusst, standfest und weltoffen – genau genommen wohnt in dem kleinen Tal ein Vorbild für den idealen Europäer.