Es glöckelt im Salzkammergut

Zum Jahresbeginn werden böse Geister vertrieben

Aufmarsch im Kreis

Die Pass nimmt ihren Weg durch die Landschaft zu den verschiedenen Gehöften.

Der Komet läuft immer an erster Stelle. Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Beleuchteter Komet

Eine großzügigea Spende wird mit einem Kniefall bedankt.

Wenn es dämmert, gehen die Lichter an.

Am Brauchtum einer Gegend lässt sich das Bild einer reichen Kultur ablesen – mit zum Buntesten und Attraktivsten gehört im Salzkammergut das Glöcklerlaufen. 

Wer sich – vielleicht noch zum Abschluss des Weihnachtsurlaubs – am 5. Januar im Salzkammergut aufhält, erlebt ein faszinierendes Spektakel: Die Glöckler laufen durch Stadt und Land. Die Glöckler sind eine Gruppe junger Burschen, die sich in vielen Ortschaften in einer Pass, wie der Verein genannt wird, zusammenfinden. Sie sind weiß gekleidet, mit einem schwarzen Gurt um die Mitte, an dem hinten eine kleine Glocke befestigt ist. Ihr auffallendster Teil ist die Kappe, eine ein bis zwei Meter hohe beleuchtete Kartonskulptur, die auf dem Kopf und den Schultern getragen wird. 

Sie besteht aus einem Rahmen aus Holz, auf dem die Motive aus Karton aufgespannt werden. Die Stege aus schwarzem Karton bilden die Zeichnung, die entstandenen Flächen werden mit buntem Seidenpapier hinterklebt, und die Ränder der einzelnen Kappen werden mit kurzen, weißen Fransenschnüren eingefasst. Die Anfertigung einer Kappe kann schon einmal 500 Stunden beanspruchen. Neben ornamentalen Mustern, dem Fünfzack, dem Siebenzack und dem Sturmhut, sind im Laufe der Zeit viele christliche Themen eingeflossen. Bischof Wolfgang, der große Heilige des Salzkammerguts, gehört selbstverständlich dazu. Vor 1900 trugen die Glöckler Masken, danach wurden diese durch lange Seidenpapierfransen rund um den Kopf des Trägers an der Unterseite der Kappe ersetzt. Wenn es zu dämmern beginnt, werden über kleine Klappen Kerzen im Inneren der Figur angezündet und die ganze Skulptur beginnt wie ein gotisches Kirchenfenster zu leuchten. In federndem, leichtem Laufschritt setzt sich die Pass im Gänsemarsch in Bewegung, und die Glocken am Rücken verbreiten einen gleichzeitig hypnotisierenden wie aufreizenden Ton.

Ein uraltes Brauchtum

Zur Entstehung des Brauchtums gibt es verschiedene Versionen. Die heutige Form wurde in Ebensee 1850 wieder aufgenommen, und von da verbreitete sie sich als Heische- oder Einkehrbrauch im Salzkammergut weiter. Dem Namen nach kommt glöckeln nicht von den Glocken, sondern von „anklocken“, was anklopfen heißt. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Beheizung der Sudpfannen in den Salinen von der Holz- auf die Kohlefeuerung umgestellt wurde, waren 900 Salinen-Holzarbeiter plötzlich arbeitslos. So gingen sie „heischen“. Für diese Version spricht auch die weiße Kleidung der Glöckler, wie sie von den Salinenarbeitern getragen wird. Da sie nicht nur betteln, sondern auch etwas dafür bieten wollten, kreierten sie die bunten Kappen. 

Eine andere Version verlegt den Beginn des Brauches in die Barockzeit, wofür die farbenfrohe, lebenslustige Ausgestaltung der Kappen spricht. Oder es ist die Rede von einem jahrtausendealten heidnischen Brauch, der den Zweck hatte, mit Schönperchten die bösen Geister der Wilden Jagd zu vertreiben und die schlummernden Naturkräfte der Erde zu wecken. Auch die Dämonen der zwölf Raunächte, von denen der 5. Januar die letzte ist, wurden damit vergrämt und vertrieben. Von Perchten oder einem Totenheer mit Geisterschritt ist manchenorts die Rede, und einem mythisch veranlagten Gemüt mag auch vorkommen, es wäre ein urtümliches Fabelwesen wiedererwacht, das sich nun gebändigt durch die Landschaft windet und anstelle des bedrohlichen Brüllens mit dem belebenden Ton der Sopranglocken die Luft erfüllt. Wie auch immer: Heute sind die Glöckler Lichtgestalten, die Heil und Segen bringen. Und ihr Lauf dient einem sozialen Zweck. 

Ein traditioneller Ablauf

Der den Läufern vorangehende Klingler kündet in den Häusern die Ankunft der Passe an und sammelt in seinem Klingelbeutel Spenden für in Not geratene Mitmenschen der Region. Bei der hohen Vertrauenswürdigkeit der Passen wird fleißig gespendet. Die Glöckler selber bekommen kein Geld, bei den Häusern und Höfen gibt es höchstens eine kräftigende Stärkung, Krapfen oder ein Schnapserl. Das ist mitunter sehr nötig, denn die Kappen wiegen bis zu fünfzehn Kilo, und die Läufe dauern manchmal stundenlang, gehen über zwanzig Kilometer bis Mitternacht. 

Als erste Figur läuft immer der Komet. Vor einem Haus angekommen, wird Position bezogen und im Kreis oder in Achterschleifen gelaufen, bis der für die Choreografie verantwortliche Pfeifer einmal pfeift. Dann bleiben alle stehen. Beim zweiten Pfiff gehen alle in die Knie, aus Dankbarkeit für die wohlwollende Spende, und beim dritten Pfiff geht es im Laufschritt wieder weiter. Die Ortschaften im Salzkammergut, in denen das Glöcklerlaufen praktiziert wird, haben dem übernommenen Ablauf einiges an Variationen hinzugefügt. So ist zum Beispiel in Bad Ischl der Dreikönigsritt dabei, wo die Heiligen drei Könige, von Fackelträgern flankiert, hoch zu Ross einreiten. In Gmunden kommen die Heiligen drei Könige in einem Schiff über den Traunsee gefahren und schreiten den Rathausplatz ab, bevor die verschiedenen Passen eintreffen und ihre Schleifen und Kreise tanzen. 

Mancherorts wurde bei den Umzügen gesungen oder Musik gemacht. Die Ebenseer haben dem bisher strikt den Männern vorbehaltenen Glöcklerlaufen eine Damenpass hinzugefügt – auch nicht zur Freude aller. Und in St. Wolfgang sind es gar drei Tage, wo gelaufen wird. An einem einzigen Abend könnte man vermutlich gar nicht alle interessierten Häuser und Höfe besuchen. Aber nach dem Dreitagelauf brauchen auch die stärksten Burschen wenigstens zwei Tage Erholung.

Die St. Wolfganger Glöckler 

St. Wolfgang hat drei Passen. Die Wantlerpass trifft sich beim Wantlerbauern. Dort hat die Pass ihr Depot der Kappen. Schon einige Wochen vorher wurde vom Obmann der Pass, Jägermeister Georg Eckschlager, inspiziert, ob vielleicht die eine oder andere Kappe einen Schaden abbekommen hat, der dann repariert gehört. Gegen 16 Uhr sind alle 33 Mitglieder der Pass eingetroffen, auch die Klingler und der Pfeifer sind da. Bevor es losgeht, wird noch aus fünf Stutzern mit Schwarzpulver und ohne Patronen Salut geschossen, denn „schießen ist festlich“, heißt es hier. Die richtige Stimmung ist erreicht, wenn alles in Rauch eingehüllt und der ohrenbetäubende Knall verklungen ist, die Kappen werden geschultert und mit dem Trillerton des Pfeifers setzt sich die Pass in Bewegung.

Die Wantlerpass kann auf einige Glöcklersenioren in ihren Reihen stolz sein: Gerhard Graf ist 47 Jahre dabei, Hermann Graf und Sepp Bara 45 Jahre und der Obmann Georg Eckschlager 46 Jahre. Mitlaufen tun nur „junge, unverheiratete Männer“ ab 18 Jahren, die Senioren übernehmen andere Aufgaben in der Gemeinschaft. Ab 10 Jahren sind auch Buben einbezogen, die sich für heimatliches Brauchtum inte-ressieren. So wächst der Nachwuchs heran. 

Viele Begeisterte, zu denen auch der Direktor des Tourismusbüros, Mag. Patrick De Bettin, gehört, unterstützen die farbenprächtige Tradition. Heute ist natürlich niemand mehr der Ansicht, dass die Glöckler den Winter oder böse Geister vertreiben. Aber durch das gemeinsame Handeln wird das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in einem kulturellen und regionalen Raum gestärkt. Und sich dankbar der guten Kräfte der Erde zu erinnern oder der Menschen, denen das Leben manchmal bös mitgespielt hat, ist ein guter Trend. Faszinierender kann man ja kaum zum Spenden animiert werden …