Festival „George Enescu“: neue Folge, alte Probleme

Eröffnungskonzerte mit dem Residentie Orkest aus Den Haag

George-Enescu-Festival

Christian Badea dirigierte das Residentie Orkest aus Den Haag.
Fotos: festivalenescu.ro

Die 20. Folge des Internationalen Musikfestivals „George Enescu“ wurde auch in diesem Jahr wieder mit der Darbietung eines Werkes von George Enescu eröffnet: Nicht, wie in der vergangenen Folge des Festivals, mit der Enescu-Oper „Oedipe“, sondern diesmal mit Enescus Erster Sinfonie in Es-Dur (op. 13).

Im Großen Saal des Palastes spielte das Philharmonische Orchester Den Haag „Residentie Orkest“ unter Leitung von Cristian Badea, der nach der Enescu-Sinfonie im ersten Teil des Konzerts in dessen zweitem Teil Dmitrij Schostakowitschs Zehnte Sinfonie in e-Moll (op. 93) dirigierte.

Die beiden Sinfonien wurden durch drei Ansprachen präludiert: auf den künstlerischen Direktor des Festivals Ioan Holender folgte der Kulturminister Rumäniens Kelemen Hunor und auf diesen wiederum der rumänische Kulturphilosoph Andrei Ple{u, der sich in launiger Weise, gegenüber der durch seine beiden Vorredner verkörperten austro-ungarisch-imperialen Tradition, als urrumänischen Vertreter des Altreichs präsentierte und seine humoristische Ansprache mit den beiden letzten Worten Pristandas aus der Caragiale-Komödie „Der verlorene Brief“ beschloss: „Muzica! Muzica!“

Die schließlich einsetzende Musik war denn auch die eigentliche Hauptsache des Eröffnungsabends, und die Erwartungen des Festivalpublikums wurden durch den Klangzauber, den Cristian Badea mit den Den Haager Philharmonikern entfaltete, in vollem Umfang erfüllt, wenn nicht gar übertroffen. Der in Bukarest geborene Dirigent, der auf eine lange und erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken kann, arbeitete in Enescus impressionistischem Werk feinste Nuancen heraus, und das Residentie Orkest, das nicht bloß wie ein Orchester, sondern darüber hinaus wie ein Ensemble von Solisten spielte, brachte in der Darbietung der dreisätzigen Sinfonie des rumänischen Komponisten ungeahnte und überraschend neue Klangwirkungen hervor.

Auch die Aufführung von Schostakowitschs Zehnter Sinfonie, deren Entstehungszeit in die Monate nach dem Tode Stalins fällt und die den Charakter des sowjetischen Diktators in ihrem zweiten Satz mit heftigen Akkordschlägen und brutaler Rhythmik musikalisch porträtiert, barg wunderbare Momente, wie etwa die verhaltenen Soli des ersten Hornisten oder des ersten Fagottisten oder auch den Ausbruch der geballten Gewalt des Klangkörpers der Streicher. Insbesondere die beiden letzten Sätze, die das von den Initialen des russischen Komponisten gebildete musikalische D-S(Es)-C-H-Motiv vielfältig variieren, wurden zu einem eindrucksvollen Klangerlebnis, in dem das ganze Spektrum musikalischer Expressivität, von pessimistischer Verzweiflung bis zu triumphaler Freude, auf eindringliche Weise präsent war.

Die Den Haager Philharmoniker taten jedenfalls alles, um den Eröffnungsabend des Enescu-Festivals zu einem reinen Genuss werden zu lassen. Nicht so zumindest ein Teil der Zuhörer! Neben dem obligaten Handygeklingel und dem permanenten Lärm der Zuspätkommenden war es vor allem das Klatschen zwischen den einzelnen sinfonischen Sätzen, das insbesondere dann störte, wenn es die vom Komponisten aufgebaute innere Werkspannung, beispielsweise zwischen dem dritten und vierten Satz der Schostakowitsch-Sinfonie, mutwillig zerstörte.

Dabei ist soziologisch interessant, dass die unzeitig Applaudierenden den Konzertsaal offenbar nicht als einen kulturellen Raum betrachten, in dem bestimmte Regeln gelten, die möglicherweise erst noch zu erlernen wären, sondern als Terrain, das sie, legitimiert durch den Kauf einer Eintrittskarte, nach ihren eigenen Vorstellungen besetzen.

Auch der zweite Abend mit Cristian Badea und dem Residentie Orkest im Großen Saal des Palastes brachte gewichtige sinfonische Werke mit großem Orchester zur Aufführung: zunächst Dan Dedius einsätziges Werk „Atlantis“ in einer Welturaufführung im Beisein des Komponisten, dann Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll (op. 16) mit Dan Grigore als Solisten und schließlich die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz, ein Werk der Programmmusik mit seinen fünf Sätzen als fünf „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“.

Auch hier entfaltete sich das instrumentale Können der Den Haager Philharmoniker mit Bravour, man denke etwa an die Klarinettensoli im „Hexensabbat“ überschriebenen Schlusssatz oder an die variantenreiche Durchführung des Dies irae-Themas im selben Satz.

Was klanglich und musikalisch ein erster Höhepunkt des Festivals hätte werden können, wurde jedoch mitunter zur Qual, auch für die Musiker, die trotz widrigster Bedingungen ihr Allerbestes gaben. Wenn Dan Grigore die letzten Töne im Griegschen Klavierkonzert leise verklingen lässt und dann keine Stille eintritt, sondern ein durch die Technik verursachter Ton hervortritt, der in seinem dumpfen Eigenleben weiter vor sich hinbrummt, dann klaffen Anspruch und Wirklichkeit des Festivals doch gewaltig auseinander.

Wenn das Piano des Orchesters permanent mit dem Wummern der Klimaanlage in akustische Konkurrenz tritt, wenn plötzlich während einer lyrischen Stelle in der „Symphonie fantastique“ aus der Tonanlage für quälend lange Sekunden ein unbeschreiblich lautes Geräusch hervorbricht, wenn es an einer anderen Stelle der Sinfonie mit einem Mal heftig aus den Lautsprechern knackt, wenn dann auch noch aufgrund von akustischen Rückkopplungen mehrfach Mikrofonheulen hörbar wird, dann fühlt man sich nicht auf einem Festival von europäischem Rang, sondern wie in einer von Amateuren betriebenen Dorfdisco.

Dabei stellt der große Saal des Palastes als solcher immer schon ein akustisches Problem dar: Er ist eben nun einmal kein Konzertsaal, sondern ein für musikalische Aufführungen zweckentfremdetes Parteitagsgelände.

Der künstlerische Direktor des Festivals Ioan Holender brachte dies in der Pressekonferenz vor der Festivaleröffnung mit den Worten zum Ausdruck: „Die Akustik im Palastsaal wird niemals gut sein, allenfalls weniger schlecht!“ Er konterkarierte damit die Aussagen des Kulturministers Kelemen Hunor und des Bürgermeisters Sorin Oprescu, die sich beide zuvor für eine akustische Sanierung des Palastsaales in naher Zukunft ausgesprochen hatten. Allein der Bau eines neuen und ebenso großen Konzertsaals könne, dagegen Holender, die einzig angemessene Alternative für eine Kapitale wie Bukarest darstellen.

Wer sich vom anstrengenden Hörprozess im Großen Saal des Palastes, wo sich der Raumklang beständig zu entziehen droht und das musikalische Geschehen dadurch gleichsam in die Ferne rückt, erholen wollte, konnte dies nach dem Grieg- und Berlioz-Abend zu später Stunde im Athenäum tun, wo die Austrian Baroque Company zusammen mit der Sopranistin Nuri Rial den Zuhörern nicht nur die Barockmusik, sondern überhaupt die Musik wieder nahebrachte.

Das aus Händel-Arien und italienischen Barock-Ciacconas wohl komponierte und meisterlich präsentierte Programm in der Spätabendreihe des Festivals (Beginn: 22.30 Uhr) ließ die Zuhörer auch noch nach Mitternacht Zugaben fordern, und sie wurden mit der wunderbaren Händel-Arie „Lascia la spina, cogli la rosa“ (Lass die Dornen, pflück die Rose) auch belohnt und mit diesem wohlmeinenden musikalischen Rat in die angenehm kühle Bukarester Nachtluft entlassen.