Goldene Flötentöne

Bukarester Duoabend mit Ion Bogdan Ştefănescu und Horia Mihail

Im Rahmen ihrer Tournee durch fünf rumänische Städte, die am 25. April 2012 in Kronstadt/Braşov begonnen hatte und am 7. Mai 2012 in Caracal ihren Abschluss fand, gastierten der Flötist Ion Bogdan Ştefănescu und der Pianist Horia Mihail Mitte vergangener Woche auch im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks in Bukarest. Veranstaltet wurde der Bukarester Konzertabend, ebenso wie die vier übrigen Konzerte der Tournee, vom rumänischen Kultursender „Radio România Cultural“ sowie von der Kulturvereinigung „Accendo“. Die Tournee stand unter dem Motto „Flautul de aur“ (Die goldene Flöte).

Damit wurde nicht nur metaphorisch auf die Meisterschaft der beiden Virtuosen angespielt, die mit ihrer musikalischen Alchemie die Stücke, die sie spielten, in akustisches Gold verwandelten. Vielmehr verbarg sich unter diesem Motto auch ein ganz konkreter Sinn: Der Flötist Ion Bogdan Ştefanescu spielte auf einem Instrument aus massivem 18-karätigem Gold, in Handarbeit verfertigt von der japanischen Flötenmanufakturfirma Muramatsu, deren Name in Flötistenkreisen einen ähnlichen Klang hat wie Steinway oder Bösendorfer in Pianisten- bzw. Stradivari oder Guarneri in Violinistenkreisen. Ion Bogdan Ştefănescu ist der einzige Flötist in Rumänien, der solch eine Goldflöte spielt. Wegen seiner besonderen Verdienste um die Flötenkunst wurde ihm die Ehre zuteil, sein speziell für ihn gefertigtes Instrument bereits nach 8 Monaten von Muramatsu entgegennehmen zu dürfen, und nicht wie üblich mehr als zwei Jahre auf das von Hand hergestellte Manufakturprodukt warten zu müssen.

Abgesehen von ihren Goldes werten Instrumenten – Horia Mihail spielte an diesem Abend auf dem großen Bösendorfer Konzertflügel – konnte jeder der beiden Duopartner mit dem reichen Kapital einer beeindruckenden musikalischen Karriere die Bukarester Konzertbühne betreten. Ion Bogdan Ştefănescu, der sein solistisches Debüt als Vierzehnjähriger im Bukarester Athenäum feiern konnte, ist gegenwärtig erster Flötist und Stimmführer im Philharmonischen Orchester „George Enescu“ und außerdem Solist der Banater Philharmonie in Temeswar/Timişoara. Er studierte am Bukarester Konservatorium und an der Universität Illinois in Urbana-Champaign. Zu seinen Lehrern zählen so berühmte Flötisten wie James Galway, Alexander Murray oder Wolfgang Schultz. Er hat viele nationale und internationale musikalische Wettbewerbe gewonnen und eine große Anzahl von Konzertreisen durch Rumänien und andere Länder in mehreren Erdteilen unternommen. Darüber hinaus hat er in zahlreichen Theater- und Ballettaufführungen sowie bei Filmen als Flötist mitgewirkt, etwa bei der Live-Musik von Violeta Dinescu zum Stummfilm „Tabu“ (1931) des deutschen Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau. Ion Bogdan Ştefănescu ist außerdem Gründungsmitglied mehrerer musikalischer Ensembles wie „Procontemporania“, „Profil“ und „Barock Orchestra“, daneben Mitglied des Trios „Contraste“ und des Bläserquintetts „George Enescu“.

Horia Mihail debütierte bereits als Zehnjähriger in seiner Heimatstadt Kronstadt mit einem Klavierkonzert von Joseph Haydn. Er studierte in Bukarest, Illinois und Boston. Bei allen Klavierwettweberben, an denen er teilnahm, errang er den ersten Preis. Konzertreisen führten ihn in 18 Länder auf vier Kontinenten. Horia Mihail ist Mitglied des bekannten kammermusikalischen Ensembles „Romanian Piano Trio“ (zusammen mit Alexandru Tomescu und Răzvan Zuma). Seine Solotournee „Auf den Spuren von Franz Liszt“ (2011) und sein Mitwirken beim „Duell der Violinen – Stradivari versus Guarneri“ im vergangenen Jahr sind dem rumänischen Publikum noch lebhaft in Erinnerung.

Das Programm des Bukarester Duoabends „Die goldene Flöte“ hatte einen klassischen und einen modernen Teil. Vor der Pause wurden Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Antonín Dvorák dargeboten: Bachs viersätzige Flötensonate in C-Dur (BWV 1033), die während einer Europareise der Familie Mozart in London entstandene Sonate A-Dur für Klavier und Violine oder Flöte (KV 12) des achtjährigen Wolferl sowie Dvoráks Sonatine op. 100 für Violine und Klavier in einer Transkription für Flöte und Klavier. In allen drei Werken ließ Ion Bogdan Ştefănescu jeweils andere Klangdimensionen seiner Muramatsu-Flöte zur Geltung kommen: bei Bach die kräftigen Tongebungen in den langsamen Sätzen und die im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Sechzehntelbewegungen des Presto-Satzes; bei Mozart die luftigen, nach oben entschwebenden Töne von graziler Leichtigkeit; und bei Dvorák die sehnsuchtsvollen und gefühlsschweren Klänge insbesondere im zweiten Satz seiner G-Dur-Sonate, die indianische Melodien verarbeitet.

Nach der Pause wurden dann drei Werke der zeitgenössischen musikalischen Moderne dargeboten: Francis Poulencs Sonate für Flöte und Klavier, die dieser 1957 für den berühmten französischen Flötisten Jean-Pierre Rampal schrieb; die Sonate für Flöte und Klavier des georgischen Komponisten Otar Taktakischwili aus dem Jahre 1968, die kompositorisch stark auf Melodien der georgischen Volksmusik zurückgreift; und die 1994 komponierte „Sonata latino für Flöte und Klavier“ des 1958 in England geborenen Mike Mower, die lateinamerikanische Tänze wie Salsa, Merengue, Rumba, Tango und Bossa Nova verarbeitet.

Vor allem in den Zugaben ließen die beiden Solisten ihrem feinen Humor und ihrem überbordenden Temperament freien Lauf: Ion Bogdan Ştefănescu wurde zeitweilig zum Pianisten, wobei Horia Mihail den musikalischen Eskapaden des Flötisten die beiden obersten Oktaven seines Bösendorfer-Flügels reservierte, und Horia Mihail verließ zeitweilig seine Sitzbank, um mit der linken Hand in die Saiten und mit der rechten in die Kontraoktave der Tastatur seines Flügels zu greifen. Ion Bogdan Ştefănescu stampfte, rief, klatschte, schnaubte und wartete zudem mit einem ganzen Arsenal moderner Flötenspieltechniken auf, von der Flatterzunge über Mehrklänge und Zungeneffekte bis hin zu Flüstertönen. Mit Klängen rumänischer Volksmusik wurde das begeistert applaudierende Bukarester Publikum dann in eine sommerlich warme Mainacht entlassen, im Gedächtnis Verse aus Brentanos „Abendständchen“: „Hör’, es klagt die Flöte wieder, und die kühlen Brunnen rauschen, golden weh’n die Töne nieder, stille, stille, lass uns lauschen.“