Gräfin Waldeck – ihr journalistischer Bericht aus dem Hotel „Athénée Palace“ in Bukarest

Hitlers neue Ordnung kommt nach Rumänien

R.G. Waldeck, Athénée Palace, Hitlers „Neue Ordnung“ kommt nach Rumänien. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Dagmar Dusil und Gerlinde Roth. Nachwort: Ernest H. Latham, Jr., Pop Verlag, Ludwigburg 2018

Matthias Buth, geboren 1951 in Wuppertal-Elberfeld, ist Lyriker und Essayist. Zahlreiche Gedicht- und Prosabände sind von ihm erschienen und wurden u. a. ins Rumänische, Polnische, Englische, Französische und Türkische übersetzt sowie vertont in Kammermusik- und Chorwerken. Buth gehört zur langen Reihe der Dichter-Juristen, bis Ende 2016 war er Justiziar bei der Beaufragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Kanzleramt. Seit 2016 stellt er in Deutschlandfunk-Kultur „Politische Feuilletons“ zur Diskussion. Über Rumänien ist von ihm 2020 der Band „Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“ erschienen (siehe ADZ-Online, 7. März 2021, „Rumänien ist das weiche Hier und Jetzt“).


Bücher haben ein Innenleben, sie verändern sich, werden gleich nach der Veröffentlichung anders gelesen als heute, wo der Putinische Krieg die Ukraine verwüstet und die Welt aus den Angeln hebt. Wer die Medien über den Vernichtungsfeldzug des Moskauer Diktators verfolgt, liest oft einen neuen Namen, zusammengesetzt aus russischem und deutschem Teil: Wladolf. Beide hielten sich für Weltenherrscher, getragen, ja getrieben von historischer Sendung und Verantwortung. Geschichtlicher Mystizismus ist dies mit austauschbaren Begriffen, ob nun germanische Rasse und Lebensraum im Osten oder heiliges Russland in denjenigen Territorien, die Urgebiete des Slawentums sein sollen: Russland, Belarus und Ukraine. Solschenizyn war einer der Eideshelfer. Diktatoren sind sich sicher: Ihre Herrenrasse habe zu herrschen, 1941 wie 2022.

Rumänien ist vielen in Deutschland „tiefer Balkan“, irgendwie weit weg. Und Begriffe wie Bessarabien, Transsilvanien, Dobrudscha und Transnistrien sind wenig geläufig, manchen eher aus einem Märchenbuch, denn zu Europa gehörig. Der Putinische Krieg lehrt uns, wie falsch solch Anmutungen, wie wenig kundig oder gar arrogant Zeitgenossen sind, die Budapest und Bukarest nicht unterscheiden können. Doch mit Deutschland und den Deutschen hat Rumänien viel zu tun. Das Schwarzmeer-Land spiegelt uns in weiten Bereichen.

Das Buch „Athénée Palace“ bezieht seinen Titel aus dem Grand Hotel in Bukarest, es gibt es immer noch, steht nun im Schatten von Ceau{escus Protzpalast, war aber 1941 Schauplatz für Wehrmachtsoffiziere und andere Herrenmenschen aus Industrie und Verwaltung. Die deutschen Streitkräfte hatten soeben Frankreich zu Boden geworfen und sammelten sich nun zum großen Coup, dem Unternehmen Barbarossa, das die Sowjetunion angreifen sollte. In der Lobby dieses Hotels, in der Welt der Demi-Mondaines, Spione, Propagandisten, Generäle und Zyniker erfasste die Autorin ein Stück Zeitgeschichte. Es schaut uns immer noch an.

Waldeck traf in Bukarest ein, als die Deutschen in Paris einmarschierten, also am 14. Juni 1940, sie blieb bis Ende Januar 1941. In sieben Monaten erfuhr sie viel von rumänischer und deutscher Geschichte, nahm wesentliche Bereiche hautnah wahr und schrieb auf, was sie erfuhr, bewertete und stellte Zusammenhänge her. Ihre eigene Lebensgeschichte machte sie dafür besonders empfänglich.

Sie wurde als Rosa Goldschmidt 1898 in Mannheim geboren, kam aus dem jüdischen Patrizier-Milieu als Tochter eines erfolgreichen Bankiers (man sagte noch nicht Banker) des Bankhauses Marx und Goldschmidt. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs machte sie in Mannheim ihr Abitur, begann in München Kunstgeschichte zu studieren, um dann 1919 nach Heidelberg zu wechseln. Max und Alfred Weber lehrten dort. Mit einer hochgerühmten Arbeit zur Soziologie des Theaters („Bedingungen für die Gründung eines Minoritäten- Theaters“) promovierte sie 1920 bei Alfred Weber, wurde indes nicht Wissenschaftlerin, machte in Berlin beim Bankhaus Carsch, Simion & Co. ein Volontariat, um einmal die väterliche Bank übernehmen zu können und lernte im Spree-Athen den bekannten Gynäkologen Ernst Gräfenberg kennen (er war 17 Jahre älter), den sie heiratete und dem sie aber nach zwei Jahren den Laufpass gab. Das klingt vielleicht wenig charmant, jedoch sie war –ausnehmend hübsch und gebildet – eine Femme fatale, die schon in der Schwabinger Bohčme von München als intellektuelle Sozialistin mit Begeisterung für ältere Männer auffiel. Das Ende dieser Ehe eröffnete ihren Beginn als Journalistin und Reiseschriftstellerin. Fixpunkt wurde Paris, wo sie die „Pariser Presse Agentur“ gründete, begleitet von einigen Affären. Eine führte sie nach Berlin zurück zu einem italienischen Adeligen. „Treue war damals für mich eine Sache der Geographie“, schrieb sie später. Und sie reiste viel. Durch die Sowjetunion, Nord- und Westafrika. Der Ullstein Verlag publizierte sie, sehr erfolgreich. Mittlerweile hatte sie den 63-jährigen Franz Ullstein kennengelernt, sie nahmen sich wahr, bis er ihr die Heirat vorschlug: die 31-Jährige schlug ein. Die Ullstein-Familie stand Kopf. Spionagevorwürfe setzte der Ullstein-Clan in Umlauf, sie wurden indes gerichtlich abgewehrt und bald dann die Scheidung mit guter Abfindung erreicht. Das war 1931. Dieses Jahr ist auch der Ausgangspunkt für ihre Zuwendung und Interesse an den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort begann sie in Englisch politische Essays zu publizieren als Dr. Rosie Gräfenberg und über sich selbst frank und frei zu erzählen in der 1934 erschienen Autobiographie „Prelude to the Past: The Autobiography of a Woman“. Malcom Cowley schrieb dazu im Dezember 1934 unter „Valuta Girl“: „Wenn man ihr Buch gelesen hat, gefällt einem Hitler keineswegs besser, aber man kann verstehen, wa-rum viele Menschen ihn als Retter betrachteten. Es gibt Epochen, die so heillos unter das Niveau des Menschen gefallen sind, dass sogar ein falscher und teuflischer Messias für den Augenblick besser erscheint als gar keiner.“

Das sind Zeilen, die weh tun und zugleich denkt man an das Russland der Gegenwart. Die Jüdin wurde bereits 1931 formal katholisch, die sich in New York niederließ; sie wurde allerdings erst spät von der Nazi-Regierung ausgebürgert (eine Affäre zu einem NS-Beamten half und so auch der Zeppelin-Flug kurz zuvor nach Deutschland) und – sie heiratete rasch 1935 erneut, diesmal keinen älteren Mann, sondern den elf Jahre (1909 geborenen) jüngeren Armin Wolrad Wiedekind Bela Erich Maria Gottschalk von Waldeck aus dem ungarischen Zweig dieser bekannten Fürsten- und Grafensippe. So wurde die Jüdin ungarische Staatsbürgerin und war in der Lage, geschützt zu reisen. Die geistige Zuwendung zum Katholizismus erfolgte erst in den 50er Jahren, wohl auch angeleitet durch die bekannte Broadway-Autorin Claire Boothe Luce, der ersten US-Botschafterin in Rom, die auch Konvertitin war.

Mit ihrer Autobiographie setzte sie Maßstäbe; sie verschaffte ihr den Zugang zu großen Medien, so zu „Foreign Affairs“ mit dem großen Essay „The Great New Migration“ und zu Blättern wie „Newsweek“ und „New Republik“, wo sie 1939 feststellte, das „andere Deutschland“ sei eine Illusion, die Nazi-Repressionen seien allgegenwärtig und – wie weitsichtig – erst nach dem Sieg der Alliierten könne ein anderes Deutschland zum Frieden beitragen.

Als freie Newsweek-Korrespondentin kam sie 1940 nach Bukarest und schrieb ihr Menschen-im-Hotel-Buch, das 1942 in den USA erschien, ein Bestseller, der die Augen öffnete. Erst 2018 übersetzten überaus modern Dagmar Dusil und Gerlinde Roth das Buch für den Ludwigsburger POP-Verlag (die ADZ hat berichtet: siehe Online-Ausgabe vom 4. Dezember 2018, „Nein, diese neue Ordnung wird niemals funktionieren“), das wie kein anderes die kulturhistorischen Spuren von Rumänien und des östlichen Europas freilegt.

Es ist ein überaus faktenreiches Sachbuch, eine Darstellung, die zwischen Reportage, Roman, Autobiographie und Geschichtsessay oszilliert und trotz mancher Übertreibung und Irrtum – vom US-amerikanischen Ex-Diplomaten und Historiker Ernest H. Latham durch wenige Fußnoten richtiggestellt und durch ein kundiges Nachwort erhellt – eine Geschichtsquelle ersten Ranges ist.
Für Rumänen und Deutsche aufschlussreich zeichnet das Buch das Beziehungsgeflecht auf zwischen Rumäniens totalitär agierendem König Carol II., dem faschistischen Führer („Capitanul“) Corneliu Zelea Codreanu (1899-1938) der „Legion Erzengel Michael“, aus der sich ab 1930 die „Eiserne Garde“ entwickelte, seinem Nachfolger Horia Sima (ab 1938 nach der Ermordung Codreanus) und Ion Antonescu (1882-1946), der die Eiserne Garde vernichtete und sich von 1940 bis 1944 zum Diktator aufschwang durch tatkräftige Unterstützung Hitlers.

„Was Hitler für die Deutschen war, Mussolini für die Italiener, Stalin für die Russen, war Rumäniens König Carol II. für die Rumänien“, schrieb Waldeck und fügte an, der König habe als „persönlicher Diktator“ agiert. Die Regierung sei eine Ein-Mann-Show gewesen; Carol II. war der dritte Hohenzol-lern als rumänischer König und der erste, der dort geboren war. Und wie in einem Spionageroman werden in diesem atemberaubenden Essay die wirkmächtigen Aktionen von Frauen eingewoben, an der Spitze jene der Dauermätresse Carols, Magda Lupescu (1896-1977), die er 1947 in dritter Ehe dann doch heiratete sowie der sehr attraktiven Edit von Coler (1895-1949), die als Gestapo-Agentin und Sonderbeauftragte die Gleichschaltung der rumänisch-deutschen NS-Organisationen zu realisieren hatte. Auch sie residierte im Hotel „Athénée Palace“. Sie war die Cousine von Margarete Himmler, Ehefrau des sog. Reichsführers SS Heinrich Himmler. Rumänien war als Erdölland (und Kornkammer) von hohem strategischem Interesse der Reichsregierung und so gelang ihr der Zugang zu Nicolae Malaxa (1884-1965), einem Großindustriellen, dessen Firmengruppen sich ab 1935 in den Dienst der „Reichswerke Hermann Göring“ stellten. Malaxa förderte von Coler nachhaltig und – wenig überraschend – auch die „Eiserne Garde“. Colers politisches „Gesellenstück“ war die rasche Befriedung der „Deutschen Volkspartei“ (Alfred Bonfert) und der „Deutschen Volksgemeinschaft in Rumänien“ (Fritz Fabricius) mit Unterstützung von Helmut Wolff vom „Deutschen Volksrat in Siebenbürgen“. Denn Rumänien musste auf Kurs gebracht und vorbereitetet werden auf den Angriff auf die Sowjetunion.
Durch ihre Begegnungen mit Wehrmachtsoffizieren, die durch die Installierung der deutschen „Militäradministration“ in Bukarest ins Land genommen waren und es so dominierten, konnte  Waldeck ein Bild der deutschen Herrenmenschen zeichnen, das fast anziehend und doch irritierend ist. So erklärt sie, die preußische Offizierskaste und der Nazismus hätten sich vollkommen verstanden. Der preußische Offizier sei niemals mit der aristokratischen oder kapitalistischen Klasse identisch gewesen. Wohlstand und Luxus seien verachtet worden; sozialistisch und nationalistisch hätten sich begrifflich verbunden. Der preußische Sozialismus sei durch den Kontrast von Befehl und Gehorsam definiert; die individuelle Freiheit habe dem preußischen Offizier wenig bedeutet, stattdessen sei sein Ideal die Disziplin und die Gemeinschaft von „alle für einen und einer für alle“.

Eine ferne Lebens- und Soldatenmaxime? Man schaut in das Selbstverständnis der Bundeswehr als Parlamentsarmee von Bürgern in Uniform und fragt sich, was diese im Innersten zusammenhält und zudem: Wovon lassen sich die Ukra-iner leiten, die in ihrem verzweifelten Überlebenskampf alle zu den Waffen greifen? Was würde geschehen, wenn ein solcher uns Deutschen bevorstünde, reicht „die Demokratie“ als Beschwörungsformel aus?

Im Epilog zu ihrem rasanten Buch resümierte Waldeck im Januar 1941 ihre Beobachtungen in der rumänischen Hauptstadt, ein halbes Jahr, bevor der Vernichtungsfeldzug der Deutschen zusammen mit Rumänien nach Moskau führen sollte: „Hier beklagte sich niemand über `das Ende der Zivilisation`, weil Hitler versuchte, ein bloß tausend Jahre altes Reich zu gründen. Ein Volk, das das Römische Reich kommen und gehen sah und alle möglichen Barbaren, die sein Land überfielen und trotzdem überlebte, glaubt nicht, dass es ein definitives Ende für irgendwas gibt… Die Rumänen verfügen im höchsten Maße über die Fähigkeit, Schicksalsschläge entspannt zu empfangen. Sie fallen raffiniert, weich und locker in jedem Gelenk und in jedem Muskel, wie es nur die im Fallen Geübten tun können.“

Schrieb die Autorin nur von Rumänien?