Grafiken von Sieglinde Bottesch zu siebenbürgisch-sächsischen Sagen

Ausstellung in der evangelischen Kirche Bukarest mit über 40 Werken

Über 40 zwischen den Jahren 1979 und 2001 geschaffene Grafiken der rumäniendeutschen Künstlerin Sieglinde Bottesch werden zurzeit in der evangelischen Kirche Bukarest (Str. Lutherană 2) ausgestellt und erwarten neue Bewunderer, die sie zum Lächeln bringen oder sogar in Konfusion und Erstaunen versetzen können. Das Gotteshaus setzt in Partnerschaft mit dem Teutsch-Haus in Hermannstadt/Sibiu eine tatsächlich beeindruckende Reihe von Grafikausstellungen fort. Nach Druckgrafiken von Albrecht Dürer und Martin Schongauer ist nun der erste Teil der zweiteiligen Bilderschau „Transsylvania Mythologica. Siebenbürgisch-sächsische Sagen in Bildern“ der in Hermannstadt geborenen deutschen Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch zu sehen.

Sieglinde Bottesch hat nach Abschluss ihres Studiums an der Fakultät der Bildenden Künste am Pädagogischen Institut Bukarest 22 Jahre lang als Kunsterzieherin, Illustratorin und freischaffende Künstlerin in Hermannstadt gewirkt. Unter anderem hat Bottesch auch mit dem aus Kerz stammenden Journalisten und Schriftsteller Friedrich Schuster zusammengearbeitet und seit 1978 die von ihm gesammelten Sagen und Ortsgeschichten für die „Hermannstädter Zeitung“ (damals „ Die Woche“) illustriert. 1980 erfreute sich der von der „Woche“ herausgegebene Kalender mit grafisch gestalteten siebenbürgischen Sprichwörtern größter Beliebtheit und war innerhalb weniger Wochen ausverkauft. Ab 1983 erschien eine neue Sagen-Serie in der „Woche“ und im „Neuen Weg“, für die Sieglinde Bottesch wieder Linol- und Holzschnitte schuf.

Infolge der Umsiedlung 1987 in die Bundesrepublik Deutschland hat sie weiter in Ingolstadt geschaffen, wo sie auch heute noch tätig ist. Von ihrem Erfolg zeugen zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, darunter auch im Hermannstädter Brukenthal-Museum, im Dalles-Saal Bukarest, in Heilbronn, Esslingen, Ingolstadt, an der Bayerischen Staatsbibliothek und im Haus des Deutschen Ostens in München sowie in Kunstmuseen und -galerien in Lettland, Serbien, Ungarn und Österreich.

Die mittels Druckgrafik dargestellten Sagengestalten, welche neugierig von ihrer zweidimensionalen Fabelwelt auf die Besucher der Ausstellung blicken, beruhen folglich auf siebenbürgisch-sächsischen Volksmärchensammlungen von Friedrich Schuster und Claus Stephani, die in den 70er Jahren veröffentlicht wurden.

Die Inspiration für ihre Bilder entnimmt die Hermannstädterin ihrem Umfeld und der Natur im Allgemeinen. Doch ihre Vorliebe für die heimatliche Mythologie ist auf die Märchen ihrer Kindheit zurückzuführen, wie sie vor ein paar Jahren in einem Interview für die Zeitung „Donaukurier“ betonte. „Ich glaube, es ist diese Verflechtung von Bodenständigkeit und Fantasie, die vermutlich alle Sagen haben. Und im speziellen Fall die eigene Herkunft: Ich habe ja bei meiner Großmutter diese Menschen, von denen in Geschichten die Rede ist und die Geschichten erzählen, noch erlebt.“ Ähnlich äußerte sich auch eine Kunstliebhaberin in München zu den rund 120 Blättern und Linolschnitten der Grafikerin, welche die Bayerische Staatsbibliothek im Oktober 2001 beherbergt hat, und meinte, die Figuren strahlten Menschlichkeit aus, weil sie von Menschen, ihren Ängsten und Freuden sprächen. Daneben kommen auch die Vorstellungskraft und Herzlichkeit der Autorin sowie die siebenbürgische Volksweisheit zum Vorschein.

Vom Darstellungsvermögen her ist die Künstlerin zu einer stilisierenden Formvereinfachung erst einmal von der Technik des Schnittes gezwungen. Zu ihrer Schnitttechnik hatte der Kronstädter Verleger Hans Meschendörfer vor der Wende geschrieben, sie habe mit ihren grobschlächtigen Schnitten den Ton zu den Sagenmotiven der einfachen Volkssprache hervorragend getroffen. Außerdem reichen ihre Schnitte von den feinsten filigranen Linien bis hin zu scheinbar groben Schraffierungen.

Die räumliche Perspektive ist in ihren zweidimensionalen Druckgrafiken nicht im üblichen Sinne vorhanden. Auch verfolgt sie dies nicht. „Mein Bild soll überall gleich nah bleiben. (…) Ich versuche, damit eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Es ist ein Raumempfinden, das Raumtiefe ohne eigentliche Perspektive vermittelt“, erklärte Bottesch einmal in der Wochenzeitung „Karpatenrundschau“. Dies kann leicht anhand der Grafik mit dem Titel „Das Pesthemd“ veranschaulicht werden. Die Geschichte bezieht sich auf ein Hemd, das soll von neun Witwen genäht und danach an den Dorfeingang gehängt worden sein, um die Gemeinde vor der schrecklichen Seuche zu schützen. In der Grafik der Künstlerin sitzen die schwarzgekleideten Witwen auf langen Bänken um das Hemd in einer rechteckigen ausgewogenen Komposition, obwohl die Gestalten nicht in drei gleichen Gruppen verteilt sind. Erst beim Zählen der Frauen bemerkt man, dass eine von ihnen allein im unteren Teil des Bildes, mit dem Rücken dem Betrachter zugewandt, auf einem Stuhl sitzt. Dieses Element verleiht der Illustration Raumtiefe einfach durch die Auffächerung der Ebenen. Bewundernswert sind noch die feinen schrägen Linien, wodurch auf die Stofftextur des Hemds hingewiesen wird.

Wenn man vor den Grafiken steht, erkennt man Sieglinde Bottesch’ Meisterschaft in erster Linie im Kontrastspiel. Mit sehr begrenzten Mitteln, wie die weiße Leere des Papiers und das Schwarze der Drucktinte, projizierte die Künstlerin komplizierte Ereignisse der siebenbürgisch-sächsischen Vorstellungswelt in der Art und Weise der Schattenspiele in unsere fassbare Gegenwart. Immer schon setzten sich Künstler mit dem schwierigen Vorgang der Übertragung figürlicher Inhalte der von Platon beschriebenen allumfassenden Ideenwelt ins begrenzte sinnlich Wahrnehmbare auseinander. Dies gleicht dem linguistischen Übersetzungsverfahren. Ungeachtet der sowieso beschränkten Ausdrucksmittel, verzichtet die Kunstschaffende auch noch auf Farbe und die Illusion des Dreidimensionalen, um den Bildern von den Volkssagen einen archaischen Charakter zu verleihen, welcher, laut Kunstwissenschaftlerin Karin Bertalan, auf den entfernten und meist unbestimmten Zeitpunkt der Entstehung dieser Geschichten verweise.

Bezüglich der Komposition sind alle ihre Werke von einer gewissen Geschlossenheit geprägt, die auf eine klassische Einheit der Bildelemente, auf Traditionsverbundenheit und symbolisch auch auf die geschützte geografische Lage Siebenbürgens hinter dem Karpatenbogen und vor allem auf die Einigkeit, Verbundenheit und das Gemeinschaftsgefühl der einheimischen Bevölkerung anspielt. Insbesondere bei „Die Wetterdrachen“, der Grafik, welche die Künstlerin für das Ausstellungsplakat gewählt hat, ist die geschützte Kreisform Siebenbürgens ersichtlich. Vor dem dreiköpfigen Wetterdrachen, der auf einer Wolke sein Unwesen treibt, flieht eine erschrockene Bäuerin mitsamt Vieh, um sich vor dem kommenden Unwetter zu retten. Die Ansicht des Stalls und des umzäunten Bauernhofes hinterlässt jedoch den Eindruck eines geborgenen Lebens auf dem eigenen Landgut. Hinter den Illustrationen von Sieglinde Bottesch verbirgt sich auch Humor und feine Selbstironie. Somit lösen die Wechselbeziehungen zwischen Gestalten wie Räubern, Truden, Drachen, Riesen, Hexen, Regen- und Milchfeen und einfachen Menschen, die verschiedenen ineinanderfließenden Welten angehören, und auch ihr Treiben oft ein Schmunzeln bei Kennern des siebenbürgischen Erzählguts sowie bei Nicht-Kennern aus.

Interessierte können den ersten Teil der Ausstellung bis Ende September in der evangelischen Kirche in Bukarest dienstags und freitags von 14 bis 18 Uhr und samstags von 12 bis 18 Uhr besichtigen. Die zweite Etappe folgt 2020. Besuche können unter Tel. 0731-312405 geplant werden und weitere Angaben können unter evkb@evkb.ro erfragt werden. Der Eintritt ist frei.