Im Niemandsland der Rechtlosigkeit

Bogdan Miricăs Spielfilmdebüt „Câini“ in den rumänischen Kinos

Gheorghe Visu (l.) und Dragoş Bucur in Bogdan Miricăs Film „Hunde“

Der Spielfilm „Câini“ (Hunde) des 38-jährigen rumänischen Regisseurs Bogdan Mirică wurde in diesem Jahr bereits mehrfach ausgezeichnet: beim Internationalen Filmfestival in Cannes mit dem FIPRESCI-Preis im Rahmen der Sektion „Un Certain Regard“, beim Internationalen Filmfestival TIFF in Klausenburg/Cluj mit dem „Trofeul Transilvania“ und beim Internationalen Filmfestival in Sarajevo gleich mit zwei Preisen, mit dem „Herz von Sarajevo“ für den besten Schauspieler (Gheorghe Visu in der Rolle des Polizisten Hogaş) sowie mit der „Special Jury Mention“ für Bogdan Miricăs gesamten Film. Seit Ende September ist der sehenswerte Thriller auch in den rumänischen Kinos zu sehen.

Der Film „Câini“ lebt von einer ungeheuren Spannung, die den Zuschauer von Anfang bis Ende in Atem hält. Es ist aber nicht die Spannung eines Action-Films, die durch schnelle Handlungssequenzen und sich überstürzende Ereignisse erzeugt wird, sondern vielmehr die Spannung eines latenten Gewaltzustandes, der jederzeit eruptiv in physische Gewaltakte übergehen kann und dies auch immer wieder unvermittelt und für den Zuschauer gänzlich unerwartet tut. Schon die erste Filmsequenz macht dies symbolisch deutlich. Aus einem mit einem grünen Algenteppich bedeckten Tümpel steigen zunächst Luftblasen auf, bis plötzlich etwas an der Wasseroberfläche erscheint, das wie ein Stück Fleisch aussieht. Der abrupte Schnitt verhindert ein genaues Erkennen des aus dem Teich aufgestiegenen Dinges. Erst viel später begegnet der Zuschauer dem Objekt wieder, das von einem Dorfbewohner in eine Plastiktüte gehüllt auf der Polizeiwache abgegeben wird. Es handelt sich um einen in einem Halbstiefel steckenden und oberhalb des Knöchels abgetrennten männlichen Fuß.

Die Welt des Verbrechens, die damit evoziert ist, wird von Bogdan Miricăs Film in der Dobrudscha/Dobrogea lokalisiert, und zwar im Grenzgebiet zwischen Rumänien und der Ukraine. Dorthin hat sich Roman (Dragoş Bucur) begeben, um die Ländereien zu verkaufen, die er von seinem verstorbenen Großvater Alecu geerbt hat. Ein Makler hat bereits einen Käufer für den weitläufigen Grundbesitz von über 500 Hektar gefunden, es geht nun nur noch darum, den Kauf zu besiegeln und in Tulcea notariell zu beurkunden. Doch im und um das Landhaus des Großvaters herum geschehen seltsame Dinge. Der Hund, der „Poliţia“ (Polizei) gerufen wird, ist von fast tollwütiger Aggressivität und schlägt ständig an. Nachts sieht man in der Ferne immer wieder Autoscheinwerfer, die dunkle Geschäfte oder böse Machenschaften wie Wilderei, Schmuggel, illegale Grenzübertritte oder Menschenhandel erahnen lassen. Als sich Roman und der Makler einmal in der Dunkelheit mit einem Gewehr an die Autos heranpirschen und einen Warnschuss abgeben, geraten sie selbst in Gefahr. Die Geländewagen rasen mit aufgeblendeten Scheinwerfern nur knapp an dem Gebüsch vorbei, in dem sich die beiden versteckt haben.

Am Tag darauf wird Roman von der Polizei kontaktiert, weil ganz in der Nähe ein führerloses Fahrzeug aufgefunden wurde und vom Fahrer jegliche Spur fehlt. Man vermutet, der verschwundene Fahrer sei Romans Makler, und in der Tat ist dieser auch fortan telefonisch nicht mehr zu erreichen. Als Roman aber durch Zufall das Handy des Maklers im Besitz jenes Dorfbewohners findet, der sich um Haus, Hof und Hund des verstorbenen Großvaters kümmert, kommt ihm zu Bewusstsein, dass die drohende Gefahr nun auch ihn selbst erreicht hat. In einer weiteren Schreckensnacht begibt sich Roman wieder mit einem Gewehr auf Pirsch, weil er erneut verdächtige Stimmen und Geräusche wahrgenommen hat, und gerät mitten in eine Wildschweinjagd, bei der ein Keiler in seiner unmittelbaren Nähe erlegt wird. Die drei Jäger nehmen Roman dann in ihrem Jeep nach Hause mit, wo sie Fleisch grillen, essen, raufen und Schnaps trinken. In einem Gespräch mit ihrem Anführer Samir (Vlad Ivanov) wird Roman unmissverständlich nahegelegt, er möge so bald als möglich aus dieser Gegend verschwinden.

Der Film endet in einer teils explizit gezeigten, teils nur angedeuteten und damit nicht minder schrecklichen Gewaltorgie. Samir erschlägt in einem fahrenden Auto seinen Jagdkameraden mit einem Hammer, tötet später Romans Hund, darauf Romans Freundin und schließlich Roman selbst, wird am Ende aber vom Polizisten Hoga{ rücklings erschossen. Vieles in Bogdan Miricăs Film erinnert an den Film „No Country for Old Men“ (Kein Land für alte Männer) der Brüder Coen mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle als Sheriff, manches auch an die dystopische Endzeitatmosphäre des Films „The Road“ (Die Straße) von John Hillcoat mit Viggo Mortensen in der männlichen Hauptrolle. Beide Filme basieren auf den gleichnamigen Romanen von Cormac McCarthy, der darin die Welt als apokalyptischen Gewaltzustand und als gesetzlosen Überlebenskampf zur Darstellung gebracht hat. Die karge und spröde Dobrudscha-Landschaft, die von der Kamera Andrei Buticăs meisterhaft in Szene gesetzt wird, trägt maßgeblich dazu bei, den starken Eindruck eines gottvergessenen Niemandslandes heraufzubeschwören, in dem allein der Wille und die Faust des Mächtigeren herrschen, nicht aber Recht und Gesetz.

Bogdan Miricăs Film lässt sich nicht zuletzt auch als eine politische Parabel lesen. Der Polizist Hoga{, der sich lange genug mit dem Faustrecht abgefunden hat, das in seinem Polizeibezirk gilt, steht am Ende gegen den Machtherrscher Samir auf, tötet ihn und stellt damit, wenn auch seinerseits mit den Mitteln des Faustrechts, wenigstens für einen Moment Gerechtigkeit her. Der finalen Erschießungsszene geht eine andere Szene voraus, wo der schwer kranke Hoga{ auf die Knie sinkt, Blut spuckt, seine Pistole zieht und mit dem Gedanken spielt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er nimmt sich jedoch zusammen, rafft sich ein letztes Mal auf und begibt sich zum Haus Alecus, wo er auf den blutverschmierten Mörder Samir trifft, der seine Morde gesteht, danach aber unbehelligt wegzugehen sich anschickt. Als jener auf einen Warnschuss des Polizisten hin nicht stehen bleibt, schießt dieser ihm zunächst zweimal in den Rücken und danach zweimal in die Brust, bis Samir an der Tür seines Wagens zusammenbricht und stirbt. Die letzte Kugel, die er sich danach selber hätte geben können, feuert Hogaş jedoch in die Luft. Der Hüter von Gesetz und Ordnung hat sich also im Niemandsland der Rechtlosigkeit selbst noch nicht endgültig aufgegeben.

Mit sparsamsten Mitteln gelingt es Bogdan Mirică in seinem beachtenswerten Spielfilmdebüt, eine unheimliche Atmosphäre der Bedrohung und der Angst zu erzeugen. Dazu zählt etwa unter anderem eine dichte motivische Arbeit. Sämtliche drei Hauptpersonen, Hogaş, Roman und Samir, werden in verschiedenen Szenen in exakt derselben Positur gezeigt, wie sie nämlich auf die Knie fallen und dabei entweder Blut spucken, sich übergeben oder sterben. Das Verröcheln des Keilers wiederholt sich lautlich nahezu identisch im Verenden Samirs, der selbst im Todeskampf noch als letzten Willensakt seinen Kopf gegen das Auto schmettert, an dem er niedergesunken ist. Hervorragende Schauspieler wie Vlad Ivanov oder Gheorghe Visu machen den Film zusätzlich zu einem besonderen Erlebnis. Schließlich lässt sich auch der Titel des Films metaphorisch deuten, denn es sind nicht Hunde, die im Film zur Erscheinung kommen, sondern lediglich ein einziger Hund, die hervorragend trainierte Hündin Cara. Wo aber sind dann die Hunde, und wer sind sie, und wie lebt man eigentlich in einer Gesellschaft, die auf den Hund gekommen ist?