Kulturhauptstadt Temeswar 2023: „Du bist mein anderes Ich – eine Kathedrale des Körpers“

Adina Pintilie untersucht Intimität, Nacktheit und Körper /

Seit fast einem Jahrzehnt befasst sich die rumänische Künstlerin Adina Pintilie mit dem Thema der Sexualität. Ihre Kunstinstallation ist in der Kulturhauptstadt Temeswar bis Ende April zu sehen. Foto: Kunsthalle Bega

Was ist Intimität? Wie stehen wir zu unserem Körper? – Die Öffentlichkeit wird zu unterschiedlichen Fragen, Gedanken, Körpererfahrungen und Weltanschauungen aufgefordert. Im mit dem Goldenen Bären der Berlinale 2018 preisgekrönten Film „Touch me not“ erkunden verschiedene Charaktere ihre Intimität und Sexualität. Die seit fast einem Jahrzehnt angefangene Untersuchung der rumänischen Künstlerin und Filmemacherin Adina Pintilie geht weiter. Die Installation „Du bist mein anderes Ich - eine Kathedrale des Körpers“ / You Are Another Me - A Cathedral of the Body“ ist die Fortsetzung des Filmes, mit dem Adina Pintilie als Vertreterin Rumäniens auf der Kunstbiennale in Venedig 2022 präsent war. Nun wird diese multimediale Installation und filmische Skulptur zum ersten Mal auch in Rumänien gezeigt. Sie kann bis Ende April in den Räumen der Kunsthalle Bega in Temeswar/Timișoara gesehen und erlebt werden.

Der Raum in der Kunsthalle Bega ist dunkel. Sechs überdimensionale Leinwände lassen den Besucher in eine eigenartige Welt – jene von sechs unterschiedlichen Gestalten - eintauchen. Ihre Blicke sind auf dich gerichtet, eindringlich und penetrierend. Ein unbequemes Gefühl. Dann taucht man tief in die Intimität der Gestalten ein und man wechselt die Rollen. So dringt der Besucher in die intimsten Gedanken dieser Gestalten ein, die sowohl ihre Kleider, als auch ihre Hemmungen und Vorurteile ablegen.

Körper akzeptieren, Tabuthemen überwinden und Vorurteile abbauen: Das Projekt Adina Pintilies schlägt neue Möglichkeiten des Sehens, Denkens und der Beziehung vor, die die visuelle Rhetorik und die konventionelle Politik des Sehens destabilisieren und neue Perspektiven und transformative Erfahrungen schaffen. Umgeben von Bildschirmen und einem sehr präsenten Soundsystem, sorgt die Art der Beziehung zwischen dem eigenen Körper und den Körpern auf der Leinwand für eine eindringliche Erfahrung. Ganz verschieden von einem Kinoerlebnis, wo Zuschauer auf eine Leinwand schauen, werden diesmal die Betrachter von den Gestalten auf der Leinwand beobachtet.

Wie fühlt man sich auf der anderen Seite der Leinwand? Versucht man, die Protagonisten zu verstehen oder man beurteilt sie trotzdem? Die Übertragungen auf den sechs Leinwänden sind komplementär, genauso die Akustik. Für dutzende Minuten steht man vor der multimedialen Installation da und man versucht, die beunruhigende Stimmung zu verstehen. Tausende Gedanken gehen einem durch den Kopf. Sexualität unabhängig von Alter, sexueller Ausrichtung und Behinderung werden zu Haupthemen und dabei laut ausgesprochen und sichtbar gemacht. Nach diesen höchst visuellen Szenen im dunklen Raum kommt der plötzliche Übergang in einen hellen Raum und lädt zur Reflexion und auch dazu ein, Ordnung in die eigenen Gedanken zu schaffen.  

Adina Pintilie versucht dabei, neue Wege zu finden, damit sich die Menschen gegenseitig verstehen. So wurde die Künstlerin selbst zu Protagonistin ihres Werkes. Ähnlich wie in ihrem Streifen „Touch Me Not“ spielt sie auch in ihrer Kunstinstallation. Ihre Ansicht wiederspiegelt sich in einem Teleprompter-Gerät, ihre Aussagen erscheinen an den Wänden im Ausstellungsraum und sie tauscht sogar den Platz mit ihren Protagonisten. „Es ist gar nicht so leicht wie man denkt“, sagt die Künstlerin, wenn sie nun vor der Kamera steht. Und das Gleiche sollen auch die Besucher der Kunsthalle tun. Die Ausstellung endet mit einer VR-Erfahrung für die Teilnehmenden. Sie alle können von einfachen Betrachtern zu Gestalten werden und dabei in die Haut einer oder mehrerer Charaktere aus der Installation eindringen.

Die Ausstellung „Du bist mein anderes Ich - Eine Kathedrale des Körpers“ wird in Temeswar bis zum 30. April 2023 in der Kunsthalle Bega (Circumvala]iunii-Straße 10) zu sehen sein. Danach wird die Ausstellung in Deutschland, im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, von Oktober 2023 bis Februar 2024, gezeigt. Details zum Projekt kann man online u.a. von der Webseite cathedralofthebody.com oder von den gleichnamigen Facebook- und Instagram-Seiten  abrufen.