Literatur, Sprache und Kultur zur Zeit der Weimarer Republik

Germanistisch-kulturwissenschaftliche Tagung an der Universität Bukarest

Vorige Woche fand im Ratssaal der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest ein mehrtägiger internationaler Kongress statt, der vom Department für Germanische Sprachen und Literaturen der Universität Bukarest in Verbindung mit der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens veranstaltet wurde. Diese nunmehr zweite multidisziplinäre Tagung der Bukarester Germanistik mit zahlreichen Gästen aus dem europäischen Ausland befasste sich, anlässlich des hundertsten Jahrestages der Ausrufung der Weimarer Republik am 9. November 1918, mit deren literarischen, sprachlichen, medialen, kulturellen, politischen und historischen Dimensionen.

Diese ertragreiche internationale Bukarester Konferenz war im Kontext der von den Germanistischen Seminaren rumänischer Universitäten veranstalteten Tagungen in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich. Zunächst einmal gab es auf dieser Konferenz rein zahlenmäßig mehr Teilnehmer von ausländischen als von rumänischen Universitäten. Die meisten ausländischen Gäste stammten aus Deutschland, viele waren aber auch aus Österreich, Tschechien, Luxemburg, Großbritannien und Portugal nach Bukarest gekommen. Genauso außergewöhnlich war, dass neben der deutschen auch die englische Sprache als Tagungssprache zugelassen war. Zwei der insgesamt 24 Vorträge dieser Tagung wurden auf Englisch gehalten.

Eine weitere Besonderheit dieser Bukarester Konferenz war gewiss auch die breit aufgefächerte Multidisziplinarität der unter dem Rahmenthema der Tagung präsentierten Vorträge. Das inhaltliche Spektrum der Beiträge reichte von literatur- und sprachwissenschaftlichen, film- und theaterwissenschaftlichen, medien- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen über komparatistische und kunsthistorische Gegenstandbereiche bis hin zu Themen aus der Gender- und Antisemitismusforschung.

Das vielleicht wichtigste Spezifikum dieser Bukares-ter Konferenz war aber, dass ausnahmslos alle Beiträge präzise auf das Rahmenthema Bezug nahmen und damit insgesamt eine disziplinierte, konzentrierte und fokussierte Tagungsarbeit ermöglichten. Eine vielleicht letzte Besonderheit dieser Bukarester Germanistiktagung war darin zu sehen, dass zahlreiche ausländische Gäste sich nicht aufgrund vorheriger persönlicher Kontakte mit Rumänien oder mit rumänischen Wissenschaftlern für eine Teilnahme entschieden hatten, sondern vielmehr aufgrund der anregenden, detailliert formulierten und klar strukturierten Ausschreibung der Tagung im Internet. Dass die Bukarester Konferenz ein voller Erfolg wurde, war also nicht zuletzt der glänzenden inhaltlichen und thematischen Vorbereitung geschuldet, für die das Organisationskomitee, bestehend aus den Bukarester Germanisten Ioana Crăciun-Fischer, Gabriel H. Decuble und Raluca Rădulescu, verantwortlich zeichnete.

Eröffnet wurde die Bu-karester Tagung zur Weimarer Republik durch einen filmhistorischen Keynote-Vortrag der Bukarester Germanistin Ioana Cr˛ciun-Fischer, die sich mit Verbrechergestalten in den Stummfilmen der Weimarer Zeit, insbesondere in der Verfilmung des berühmten expressionistischen Dramas „Von morgens bis mitternachts“ durch Karlheinz Martin, auseinandersetzte. Daran schloss sich der Vortrag von Carsten Rommel (Bonn) zur Gestalt des Hochstaplers in den Kriminalgeschichten Walter Serners an, während sich Ana Karlstedt (Bukarest) in ihrem Beitrag mit der die ausgehenden Zwanziger Jahre beleuchtenden TV-Serie „Babylon Berlin“ (2017) sowie mit dem dieser preisgekrönten Serie zugrunde liegenden Roman „Der nasse Fisch“ (2007) von Volker Kutscher beschäftigte.

Carmen Vioreanu (Bukarest) erörterte in ihrem englischsprachigen Vortrag den Einfluss des aus Österreich stammenden und lange Jahre auch in Berlin tätigen Theaterregisseurs Max Reinhardt auf die Entwicklung der modernen Bühnenregie in Schweden, während sich Godela Weiss-Sussex (London/Cambridge) in ihrem ebenfalls englischsprachigen Beitrag mit Elisabeth Landaus Einschätzung der Situation der deutschen Juden nach dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzte. Es folgten zwei genderwissenschaftliche Beiträge: Christel Baltes-Löhr (Luxemburg) widmete sich den Geschlechterverhältnissen in der Weimarer Republik und Anna Sator (Freiburg) den Konstruktionen von Männlichkeit in Ernst Tollers Dramen.
Drei theaterwissenschaftliche Vorträge setzten die Beschäftigung der Bukares-ter Tagung mit der Kultur der Weimarer Republik fort. Melanie Dannhorn (Freiburg) referierte über Lothar Schreyers Konzept eines expressionistischen Bühnengesamtkunstwerks, Gabriel H. Decuble (Bukarest) sprach über den Antiaristotelismus vor allem in Bertolt Brechts frühem Werk „Trommeln in der Nacht“, und Robert Hermann (München) untersuchte Brechts Erstlingsdrama „Baal“ unter dem Gesichtspunkt des darin zutage tretenden Abgesangs auf den Ästhetizismus. Zwei motivgeschichtliche Vorträge beschlossen den ersten Kongresstag: Ulrike Zitzlsperger (Exeter) untersuchte das Motiv des Auges in Literatur, Film und Kunst der Zwischenkriegszeit, und Raluca Rădulescu (Bukarest) beschäftigte sich mit dem Motiv des Tieres im malerischen Werk Franz Marcs einerseits und im lyrischen Werk Gottfried Benns andererseits.

Der zweite Kongresstag wurde von Klaus Schenk (Dortmund) als Keynote-Speaker eröffnet. Sein Interesse galt dem Hörspiel der Weimarer Republik im Vergleich zur deutschen Hörspielkunst der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Die politische Publizistik des österreichisch-jüdischen Schriftstellers, Journalisten und Stegreifredners Anton Kuh stand im Mittelpunkt des Vortrags von Markus Grill (Prag), während Mario Huber (Graz) sich mit der im Berliner Verlag „Die Schmiede“ herausgegebenen Reihe „Außenseiter der Gesellschaft – Die Verbrechen der Gegenwart“, einer Art Pitaval der Weimarer Republik, und insbesondere mit deren letztem Band, einem Kriminalbericht von Hermann Ungar, auseinandersetzte.

Ruxandra Cosma (Bukarest) stellte mit ihren Betrachtungen über einen Sprachführer des Deutschen in Rumänien aus den Zwanziger Jahren unter Beweis, dass gerade auch linguistische Untersuchungen einen wertvollen Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Aufarbeitung der Weimarer Zeit leisten können. Lúcia Bentes (Lissabon) befasste sich mit Hans Falladas Gesellschaftsroman „Wolf unter Wölfen“, der das Inflationsjahr 1923 literarisch verarbeitet, so wie sich auch Falladas vielleicht bekanntestes Werk „Kleiner Mann – was nun?“ mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929 romanhaft auseinandersetzt.
Bernd Braun, der Stellvertretende Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, beleuchtete in seinem literatur- und geschichtswissenschaftlichen Vortrag das Wirken des aus Ostgalizien stammenden österreichischen Schriftstellers Joseph Roth als eines Chronisten der Weimarer Republik, während Fabian Wilhelmi (Düsseldorf) ausgewählte historische Romane der Weimarer Zeit über den Jüdischen Krieg (66-70 n. Chr.) auf antisemitische Elemente und Konzeptionen hin befragte. Erich Maria Remarques Roman „Drei Kameraden“, der im Jahre 1938 in Amsterdam erschien, jenem Jahr, in welchem dem durch die Bücherverbrennung 1933 bereits geächteten Schriftsteller die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, war Gegenstand des Vortrags der Bu-karester Literaturwissenschaftlerin Alexandra Nicolaescu.

Den Abschluss der Bu-karester Tagung bildeten drei Vorträge zu drei bedeutenden Autoren deutscher Sprache, die alle zur Zeit der Weimarer Republik literarisch tätig waren, deren schriftstellerisches Werk aber nicht gänzlich in dieser Epoche der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts aufgeht. Maria Irod (Bukarest) untersuchte mythische und religiöse Aspekte in Hans Henny Jahnns Romantrilogie „Fluss ohne Ufer“, Annika Schmitz (Wien) befasste sich mit religiösen Grenzüberschreitungen in Hermann Hesses Erzählung „Siddhartha“ und Mihaela Zaharia (Bukarest) untersuchte abschließend komparatistisch den Einfluss von Arthur Rimbaud auf den künstlerisch vielfach geehrten und politisch höchst umstrittenen deutschen Diaristen, Romancier, Essayisten und Entomologen Ernst Jünger.