Multikulturalität ist hier eine gelebte Wirklichkeit

Lucian Vărșăndan arbeitet seit 1999 am und für das DSTT | Foto: DSTT

Im Theater ist was los – dieses Zitat von Erich Kästner trifft auf die darstellenden Künste in Temeswar vollends zu, besonders aber auf das Deutsche Staatstheater, das im Europäischen Kulturhauptstadtjahr 2023 wieder einen großen Schritt näher zur Banater deutschen Gemeinschaft getan hat, mit Sondervorstellungen im Rahmen der Banater Heimattage, des internationalen Germanistenkongresses oder der 150-Jahrfeier der Nikolaus-Lenau-Schule. Am Tag nach der UNITER-Gala des Rumänischen Theaterverbands sprach Astrid Weisz mit DSTT-Intendant Lucian Vărșăndan. 

Zwei UNITER-Preise gingen auch ans Deutsche Staatstheater Temeswar. Wie haben Sie die Preisverleihung auf der Opernbühne erlebt? 

Es war eine Feststunde, es war ein ganz schöner Anlass und es war eine ausgezeichnete Show. Rein persönlich kann ich sagen: ich habe mich sehr gut gefühlt, ich habe diese Show sehr genossen. Dazu hat mich auch die Tatsache gefreut, dass ich aus diesem Anlass viele Künstler aus der rumänischen, aber auch internationalen Theaterszene wiedersehen konnte, unter ihnen auch viele Menschen, die die Geschicke dieses Hauses indirekt beeinflusst haben durch ihr Werk, durch ihre Präsenz im DSTT im Laufe der Zeit. Es war für Ida Jarcsek-Gaza eine wohl verdiente Auszeichnung und die Anerkennung eines Lebenswerks. Ihre Auszeichnung freut uns am DSTT und freut mich riesig. Es war ein hochemotionaler Moment, als dann der vollbesetzte Opernsaal mit lang anhaltendem Stehapplaus diese ganz besondere Leistung einer Schauspielerin gewürdigt hat. Es ist ganz gewiss schon etwas Besonderes, wenn man seit über 50 Jahren einem Hause verbunden ist und das auch nicht nur irgendwie, sondern auf eine im besten Sinne des Wortes prägende Art und Weise. Das DSTT wäre ganz anders gewesen und wäre auch heute ganz anders ohne das langjährige Wirken von Ida Jarcsek-Gaza. Der Preis an das Deutsche Staatstheater war wiederum eine Anerkennung dessen, dass dieses Haus einen wesentlichen Beitrag zur gelebten Multikulturalität dieser Stadt seit langer Zeit leistet. Was mir gestern auch wieder bewusst wurde: diese Multikulturalität, oft ein geflügeltes Wort in den Medien oder in der Politik, das ist hier eine gelebte Wirklichkeit. Das ist sowas von selbstverständlich, wenn man tagtäglich dieses Haus betritt und man Menschen in unterschiedlichen Sprachen untereinander reden hört oder Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen kommend hier antrifft, die mal dort, mal drüben, mal oben, mal unten, mal an der großen Bühne, mal im Studio, mal bei den Kollegen von der Oper arbeiten, dass man sich eigentlich dessen gar nicht mehr bewusst ist, welch Reichtum darin steckt. 

Was hat dem Deutschen Staatstheater Temeswar das Kulturhauptstadtjahr 2023 in Temeswar gebracht? 

Erst einmal hat uns das Kulturhauptstadtjahr eine große Herausforderung gebracht, die wir uns schon lange gewünscht hatten, und jetzt haben wir sie (lacht – Anm. d. Red.): die Gestaltung unserer zweiten Spielstätte, des zukünftigen Atelier-Saals des DSTT in der Temeswarer Fa-brikstadt. Andererseits hat es höhere Erwartungen gebracht. Man erwartet, dass die Kulturakteure, einschließlich dieses Haus, ein glanzvolles, aber zugleich auch nachhaltig angesetztes Angebot formulieren. Ich denke, das Kulturhauptstadtjahr hat uns gewissermaßen auch ein neues Publikum gebracht: es ist mir einige Male in den letzten Monaten aufgefallen, dass Zuschauer sich in unserem Foyer auf Englisch unterhielten. Das Kulturhauptstadtjahr hat uns einige neue Inszenierungen gebracht und einige neue Projekte. Und da freue ich mich regelrecht und aufrichtig, dass nach längerer Zeit an unseren derzeitigen Projekten ausnahmslos alle Schauspieler des DSTT beteiligt sind, so dass man mit voller Kraft und ja, fast mit Wucht, unter Beweis stellen kann, welch riesiges künstlerisches Potenzial dieses Haus hat. Wir haben dieses Jahr wieder den Abstecherbetrieb aufgenommen und sind nach langer Zeit wieder in Reschitza aufgetreten. Wir haben versucht, dort die Beziehung zum deutschsprachigen Schulwesen wieder aufzubauen, ebenso in Richtung Arad, aber auch darüberhinaus mit dem Publikum insgesamt, so dass wir auch versuchen wollen, unser Angebot auch über die Grenzen Temeswars hinaus zu formulieren. Und ich freue mich da auch ganz besonders, dass nach langer Zeit wieder dieses Jahr das Deutsche Staatstheater durch eine seiner repräsentativen Vorstellungen – „Leonce und Lena“ – im Programm der Heimattage der Banater Deutschen vertreten war. Und ja, da gab es nicht selten ein überraschend positives Feedback.

Sind die Vorstellungen der Spielzeit 2022/2023 unabhängig von diesem Kulturhauptstadtjahr entstanden oder sind sie auch diesem besonderen Ereignis der Stadt zu verdanken?

Die Projekte des Deutschen Staatstheaters dieses Jahr sind zum Teil auch mit dem Kulturhauptstadtjahr verbunden. Auffallen dürfte die Tatsache, dass wir da viel mehr mit internationalen Künstlern und mit internationalen Partnern zusammenarbeiten als sonst. Ich denke auch, dass die Bereitschaft der Finanzierer dieser Einrichtung, allen voran der Stadt Temeswar, in diesem Jahr oder ab nun größer ist, gerade in solche Projekte, die auch zusätzliche internationale Sichtbarkeit bringen, zu investieren, so zum Beispiel auch für die anstehende Koproduktion mit dem Theater Altenburg-Gera.

Was halten Sie von dem Kulturhauptstadtjahr-Programm in Temeswar, von dem Kulturangebot, das es in der Stadt bis dato Mitte Juni gibt?

Meine persönliche Meinung als Kulturliebhaber, als Zuschauer, als Genießer: ich muss gestehen, ich hatte schon lange nicht mehr dieses Gefühl des Verwöhntwerdens. Ich habe es nicht nur ein Mal erlebt, dass ich mich entscheiden musste, ob ich in jenes Filmfestival oder in jenes Theaterstück gehe oder Überlegungen anstellte wie „an dem Abend kann ich nicht in das Konzert des Orchestres National de France gehen,  dann gehe ich am Abend darauf, aber verpasse ich etwas anderes“. Also das ist schon manchmal eine Herausforderung für den eigenen Terminkalender. Ich persönlich finde es großartig.

Ich würde mich auch freuen, von dem einen oder anderen Ereignis noch zeitiger zu erfahren und wenn es irgendwo eine gebündelte Informationsquelle diesbezüglich gäbe. Sonst finde ich, dass das Kulturangebot äußerst reichhaltig ist, nicht nur quantitativ, sondern auch vom Genre her sehr divers, so dass so gut wie jeder auf seine Kosten kommen kann. Und auch, was die Gattungen und was die Ausdrucksformen der Kunst betrifft, denke ich, dass man eine immense Auswahl zur Verfügung hat, von experimenteller Kunst, unabhängigem Theater und zeitgenössischem Tanz bis hin zu der Vielzahl von Festivals, Filmreihen, Freilichtveranstaltungen und Konzerten.  

Und auf welche Ereignisse freuen Sie sich?

Als Nächstes erwarte ich mit Interesse die kommende Premiere des Nationaltheaters:  „Exodus“ unter der Spielleitung von Oskaras Korsunovas (22. Juni). Aus Anlass der Präsenz von Koršunovas in Temeswar kamen wir auch ins Gespräch über eine mögliche Zusammenarbeit des DSTT mit ihm in einigen Jahren.

Was gibt es noch Ende dieser Spielzeit am DSTT und womit soll die Spielzeit 2023/2024 beginnen? 

Ab dem 7. Juli werden unter dem Titel „Donauschicksale“ einige Persönlichkeiten beleuchtet, die diese Region in unterschiedlichen Zeitabschnitten geprägt haben. Das wird künstlerisch ausgewertet aufgrund eines Projektes, das wir zusammen mit dem Donaubüro in Ulm und mit der Kulturreferentin für den Donauraum am Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm veranstalten. 

Am 28. Juli haben wir Premiere mit „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz unter der Spielleitung von Yuri Kordonsky aus den USA. Das ist seine dritte Inszenierung an diesem Hause. Die zweite Vorstellung dieses Stückes ist zugleich die letzte dieser Spielzeit am 29. Juli.

Den Auftakt der kommenden Spielzeit am 14. September macht die Premiere „Das Theater“, eine Zusammenarbeit mit dem Französischen Institut unter der Spielleitung des internationalen Regisseurs Pascal Rambert, der schon in diesen Wochen die Proben begonnen hat. Er inszeniert ein von ihm verfasstes Theaterstück basierend auf den Erfahrungen der Spieler dieses Hauses. Vom 20. bis zum 30. September folgt das Europäische Theaterfestival „Eurothalia“. Diese Auflage steht unter dem Motto „Perspektiven“. Meine Kollegen Rudolf Herbert und Andrea Wolfer, die die Auswahl getroffen haben, haben Vorstellungen aus Deutschland, Nordmazedonien, Griechenland, Spanien und Belgien nach Temeswar eingeladen, die den Zuschauer in die heutige Theaterwelt begleiten und die versuchen wollen, auch eine Perspektive für den Gegenwartsmenschen zu bieten. Am 4. November planen wir die Premiere einer ersten Koproduktion mit dem Jüdischen Stadtstheater Bukarest. Dabei geht es um ein Dokumentationstheaterstück basierend auf einer Begebenheit, die sich in diesem Gebäude im Jahre 1938 ereignet hat: ein antisemitischer Anschlag aus Anlass der Tournee der damals sehr bekannten jüdischen Schauspielerin mit Bukowinaer Wurzeln, Sidy Thal. Den Text dazu verfasst der deutsche Autor Thomas Perle. Mitautor und zugleich Autor der Inszenierung ist der Spielleiter Clemens Bechtel. Und dann steht vom 23. zum 25. November die Veranstaltung zur 70. Jahresfeier seit der Gründung des Deutschen Staatstheaters an. Aus diesem Anlass wird dieses Haus die Produktion „Niederungen“ von Hertha Müller wieder aufnehmen. Niki Wolcz wird die Inszenierung wieder auffrischen, teilweise mit neuer Besetzung.