„Nächster Halt: Rumänien. Geschichte und Folgen  einer ungewöhnlichen Hilfsaktion“

Rezension eines Bildbandes über das Wohltätigkeitsprojekt „Straßenbahnen für Rumänien“

Umgebaute Trieb- und Beiwagen des Wegmann-Stadtbahnwagens aus zweiter Hand befördern Fahrgäste auch heutzutage durch Temeswar. Foto: Renardo la Vulpo/Roland Puskaric/Wikimedia

„Nächster Halt: Rumänien – Straßenbahnen für ein leidendes Land. Geschichte und Folgen einer ungewöhnlichen Hilfsaktion“ von Andreas Mausolf, Railway-Media-Group, Wien: 2021.  Bildautoren: Silviu Dănescu, Günther H. Köhler, Andreas Mausolf, Hubert G. Königer, Ernst Lassbacher und Istvan Nagy. Hardcover, 171 Seiten, ISBN: 978-3-902894-88-5. 
Das Buch kann beim Erasmus-Büchercafe in Hermannstadt, von dessen Website www.buechercafe.ro oder direkt beim Verlag unter bestellung-rmg@aon.at oder info@rmg-verlag.at für 40 Euro bestellt werden.


In seinem ersten Band „Nächster Halt: Rumänien – Straßenbahnen für ein leidendes Land. Geschichte und Folgen einer ungewöhnlichen Hilfsaktion“ schildert der deutsche Sozialwissenschaftler und Publizist Andreas Mausolf, wie die Aktion „Straßenbahnen für Rumänien“ zustande gekommen und verlaufen ist, nachdem der deutsche Postoberamtsrat und Straßenbahnexperte aus Hofheim am Taunus, Günther H. Köhler, 1992 eine Studienfahrt mit einer Gruppe von Nahverkehrsinteressierten aus Deutschland, den Niederlanden und England nach Rumänien unternahm. Das Buch ist 2021 beim Verlag Railway-Media-Group in Wien mit einer Widmung an den Salvatorianer-Pater Berno Rupp (1935-2017), der die nach ihm benannte Stiftung und mehrere Caritas-Sozialeinrichtungen in Rumänien gründete, erschienen. Den Anlass dazu bot das 2020 begangene 25. Jubiläum des ersten Transports von geschenkten gebrauchten Straßenbahnen aus Bremen nach Temeswar/Timșoara.

Ehrenamtlich gegen erlebtes Elend

Günther H. Köhler besuchte einige rumänische Städte, in denen die Straßenbahn nur mühsam durch die Leistungsfähigkeit der Techniker und Ingenieure der Verkehrsbetriebe aufrecht erhalten werden konnte. Die Not der Menschen, die Jahrzehnte unter dem kommunistischen Regime gelitten hatten, die Hilflosigkeit der Stadtverwaltungen und der erbärmliche Zustand der überfüllten und im Winter ungeheizten Trams, zurückzuführen auf langjährige Misswirtschaft und ungenügende Materialqualität, sowie die dringenden Bitten aller Direktoren der 1992 besuchten rumänischen Verkehrsbetriebe um westliche Hilfe, hatten bei Günther H. Köhler tiefe Eindrücke hinterlassen. „So berührt sei er kein zweites Mal in seinem Leben von einer Studienreise zurückgekehrt“, erinnert sich der Autor. 

Für seine Verdienste wurde Günther H. Köhler 1996 zum Ehrenbürger Temeswars ausgezeichnet. Dieser erzählte damals der ADZ in einem Interview über die Anfänge der Hilfsaktion „Straßenbahnen für Rumänien“.

Er hatte sich verpflichtet gefühlt, für die Verbesserung der Lebensqualität, wenigstens auf dem Verkehrssektor, in dem er über vielfältige Kontakte verfügte, zu sorgen. So nahm Köhler den Kontakt zu Münchener und Magdeburger Verkehrsfreunden bezüglich möglicher Transferaktionen auf und fand Unterstützung beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), beim Internationalen Verband für Öffentliches Verkehrswesen (UITP), seiner rumänischen Landesorganisation URTP, beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), deren ehrenamtlicher Berater er wurde. Im Zusammenwirken der erwähnten Institutionen gelang es allmählich, auch Schulungen und Weiterbildungen für die Mitarbeiter der rumänischen Verkehrsbetriebe zu organisieren. 

Verlauf der Hilfsaktionen

Köhler initiierte bereits im Juli 1994 die Abgabe von zehn Frankfurter Großraumzügen an Bukarest. Die Münchener Trambahnfreunde schenkten der rumänischen Hauptstadt im selben Monat 14 Dreiachszüge und einige weitere Beiwagen.

Auch Großwardein/Oradea erhielt ab 1994 über 100 Trieb- und 70 Beiwagen aus zweiter Hand aus Magdeburg, Berlin und Dresden.

Reschitza wurde auch durch die Vermittlung von gebrauchten Trams aus Dortmund und Frankfurt als Verkehrsbetrieb gerettet, doch seit 2011 ist die örtliche Straßenbahn außer Betrieb. Die Erneuerung des Schienennetzes und der Oberleitungen der Reschitzaer Straßenbahn läuft bis in die Gegenwart.

Der Autor des Bandes wirkte selbst bei den Hilfsaktionen mit, nachdem ihn Günther H. Köhler, mit dem er noch weitere gemeinsame Projekte durchgeführt hatte und den er für einen großartigen Eisenbahn- und Straßenbahnfachmann hielt, unerwarteterweise im Frühjahr 1995 anrief. 

Da bei Andreas Mausolf eine große Zueignung zu Land und Leuten entstand, zog er mit seiner Frau für drei Jahre nach Schäßburg/Sighi{oara. Dort lebten sie unter Siebenbürger Sachsen und in enger  Verbindung mit der Evangelischen Kirche A.B., „die sich stets als Motor gesellschaftlicher Entwicklung der Deutschen in Siebenbürgen verstehen konnte und noch immer kann“. Die Wohltäter haben außerdem stets einen engen Kontakt zu den Banater Schwaben, den Siebenbürgen Sachsen und zu ihren Organisationen, insbeson-dere zum Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) gepflegt.

Die neue alte Tram

Aufgrund des 1995 zwischen der Bremer Straßenbahn AG und der Regia Autonom˛ de Transport Timi{oara (RATT) unterzeichneten Schenkungsvertrags über knapp 50 Stück Triebwagen und ebenso viele Beiwagen wurde der erste Transport aus Bremen vorbereitet. Ein weiterer Transport erreichte die Bega-Stadt im selben Jahr. Bremen war nur eine der ersten deutschen Städte, die Trams nach Rumänien abgaben. Zuvor wurden bereits Fahrzeuge aus Frankfurt, Karlsruhe, Ludwigshafen, Magdeburg, München und Stuttgart an Rumänien gespendet. 

Die geschenkten Fahrzeuge waren ursprünglich als Übergangslösung für maximal acht Jahre gedacht, doch sie prägten das Stadtbild Temeswars und anderer Städte für fast drei Jahrzehnte. 

Bis 1998 erreichten weitere 42 Trieb- und 39 Beiwagen des Hansa-Kurzgelenkwagens, darunter auch das 1982-Modell aus Bremerhaven, die Banater Metropole. 2002 folgten 38 Trieb- und 39 Beiwagen des Wegmann-Stadtbahnwagens. 

Heute fährt eine weiß und lila gestrichene Straßenbahn durch Temeswar , die jene Wegmann-Stadtbahnwagen nicht nur in die Erinnerung der Temeswarer zurückruft, sondern tatsächlich immer noch daraus besteht! Dies lässt sich dadurch erklären, dass 30 Wegmann-Stadtbahnwagen zwischen 2014 und 2019 einen Umbau in den Werkstätten der Waggonfabrik Astra Arad erhielten, wobei die Fahrgestelle und Rahmen behalten wurden und alles andere neu ist.

Die Hilfsaktionen verliefen selbstverständlich nicht ohne Hindernisse und He-rausforderungen. Andere solche überraschende Anekdoten, Telefonate, die Legendenstatus erreichten, Erlebnisse aus der Ich-Per-spektive sowie die kurz gefasste, gründlich recherchierte Geschichte des Nahverkehrs in den Trambahnstädten Temeswar, Reschitza, Großwardein, Arad und viele mehr erwarten Neugierige und Straßenbahnbegeisterte in dem reich bebilderten Band. 

Nach ein paar fotografischen Eindrücken zum Land präsentiert der Autor einige Blicke auf die Eisenbahnkunde Rumäniens und viele Straßenaufnahmen, in denen die bunten deutschen Geschenk-Trams im Vordergrund stehen. Auch das Temeswarer Verkehrsmuseum „Corneliu Miklosi“ und das Reschitzaer Dampflok-Freilichtmuseum spielen eine Rolle im ersten Band. Für den zweiten Band werden unter anderem Inspektionsreisen in die übrigen Trambahnstädte Rumäniens unternommen, die jeweiligen Erlebnisse erzählt und zusammenfassend erfolgt eine Auflistung der Fahrzeugabgaben.

Das Besondere am vorliegenden Bildband ist jedoch die Kunst des Autors, seine Verdienste und jene von Günther H. Köhler für den Nahverkehr in Rumänien hinter den dokumentierten Etappen der Hilfsaktion und interessanten Details über die einzelnen Modelle der abgebildeten gespendeten Straßenbahnen bescheiden zu verstecken. 
Was Köhler stets besonders wichtig war: auf den privaten Charakter der Initiative hinzuweisen. Diese gehe „vollständig unbürokratisch ohne Einschaltung von Politikern“ vonstatten, hieß es in einem Brief vom Oktober 1994. Mit der Überzeugung, dass die Initiative nur auf diese Weise unabhängig und schlagkräftig sein könne, verließ sich Köhler nur auf engagierte Entscheidungsträger jenseits parteipolitischer Grenzen für die Verwirklichung seines Hilfsprojekts. Das gemeinsame Projekt von Köhler und  Mausolf endete nach einem Jahrzehnt mit dem frühen Tod Köhlers 2005. 

Andreas Mausolf hat weitere ähnliche Bände, etwa „Geschichte der Bremerhavener Straßenbahn“, „Die Geschichte der Bremer Straßenbahn (1876-2010)“, „Kleinbahn im Karpatenbogen. Schäßburg-Agnetheln-Hermannstadt“, „Bilder von der Bremer Straßenbahn“, „Die Straßenbahn in Kiel“ und „100 Jahre Lokalbahn Arad-Podgoria (1906-2006)“ veröffentlicht.