Schreiben und Leben

Versuch eines Nachrufs auf die Schriftstellerin Christa Wolf

Was nun, nach ihrem Tod, bleiben wird, sind einerseits ihre bekannten Texte: „Der geteilte Himmel“ (1963) etwa, „Kein Ort. Nirgends“ (1979) und „Kassandra“ (1983), die sich alle auf ihre Weise mit der deutsch-deutschen Teilung auseinandersetzen und beiderseits der Mauer auf großes Echo stießen. Hier erscheint Wolf als eine stilsichere, ausdrucksstarke Schriftstellerin, die mit einfachen Worten Großes ausdrücken konnte.

Der andere, wesentlich unbequemere Teil der Erinnerung lässt sich kaum mit künstlerischen Kriterien beschreiben und betrifft Christa Wolf nur exemplarisch. Es geht vielmehr um eine ganze Generation, die erst Weltkrieg, Flucht und die deutsche Teilung miterlebte, um sich dann durch ein unauflösbares Wirrwarr aus Mitspielen und Verweigerung in den sozialistischen Alltag der DDR einzuleben, ohne dass ihnen – trotz aller Versuche – Nachgeborene mit späteren Moralvorstellungen beikommen könnten. Christa Wolf geriet nach 1990 nicht in die öffentliche Kritik, weil sie sich sonderlich anders verhalten hätte als Dutzende Intellektuelle, Hunderttausende Ostdeutsche auch, sondern weil sie im Kulturbetrieb der DDR eine besonders exponierte Stellung eingenommen hatte – gern wird sie als „moralische Instanz“ bezeichnet –, weil sie an einen Wandel der DDR glaubte und sich trotz aller Kritik an Staat und System als überzeugte Sozialistin zu erkennen gab.

Besonders ihre publik gewordene Zuarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit als Inoffizielle Mitarbeiterin wurde ihr nun vorgeworfen, auch wenn die lediglich drei Berichte der „IM Margarete“ derart positiv ausfielen, dass Wolf anschließend selbst bespitzelt wurde. Die Debatte um Wolf wurde durch die zeitnahe Veröffentlichung ihrer Erzählung „Was bleibt“ verschärft. Der Text hätte zu einem früheren Zeitpunkt mehr bewirken können, unkten die einen, andere warfen Wolf vor, sich als Opfer darstellen zu wollen.

Insgesamt wurden in jenen hitzigen Tagen nach der Wende die ostdeutschen Literaten auf den Prüfstand gestellt und für zu unkritisch befunden. Wolf zog sich, darüber auch gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen, aus der Öffentlichkeit vorübergehend in die USA zurück und es wurde ruhiger um sie. Umso überraschender wurde ihr 2010 der Thomas-Mann-Preis verliehen, der Christa Wolf als Gegenwartsautorin von Wert ehrte. Wolf habe, so die Juroren, „in ihrem Lebenswerk die Kämpfe, Hoffnungen und Irrtümer ihrer Zeit kritisch und selbstkritisch befragt, mit tiefem moralischem Ernst und erzählerischer Kraft geschildert und bis in die grundlegenden Auseinandersetzungen um Mythos und Humanität hinein erkundet“. Zuletzt überwogen also zumindest in der Welt der Literatur die versöhnlichen Worte.