Selbstporträt einer artigen Tochter

Ana Lungus Spielfilmdebüt in den rumänischen Kinos

Elena Popa als artige Tochter und Anca Puiu als Hundebesitzerin in Ana Lungus Spielfilmdebüt

Die polare Spannung zwischen Kunst und Leben, die sich in ganz verschiedenartigen Auffassungen von Literatur wie von den Künsten überhaupt niederschlägt, lässt sich auch im Genre des Spielfilms wahrnehmen und beobachten. Die Skala reicht hier von höchst manierierten, ins pur Artifizielle gesteigerten kinematogragfischen Werken bis hin zu Filmen, die scheinbar nur das bare Leben wiedergeben und sich mit dem oberflächlich Sicht- und Greifbaren begnügen. Wo sich Ana Lungus Debütspielfilm, der Ende September seine rumänische Premiere erlebte, im Rahmen dieses polaren Spektrums zwischen Kunst und Leben ansiedeln lässt, ist nicht leicht zu sagen.

Auf den ersten Blick gibt sich der Film „Autoportretul unei fete cuminţi“ (Das Selbstporträt einer artigen Tochter) ganz dem alltäglichen Leben der Protagonistin hin, einer jungen Frau, deren privates und öffentliches, intimes und gesellschaftliches Sein in all seinen Facetten von der Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Lungu akribisch nachgezeichnet wird. Cristiana (verkörpert von Elena Popa) ist eine junge Wissenschaftlerin, die über ein Thema aus dem Bereich des Erdbebeningenieurwesens promoviert. Man sieht sie im Film des Öfteren folgsam ihrem Doktorvater gegenübersitzen und hingegeben seinen Ausführungen lauschen. Auch in der Familie unterwirft sie sich der Autorität der Altvorderen, zumal sie sich in ökonomischer und finanzieller Abhängigkeit von ihrem Vater, einem Arzt und Kunstsammler, befindet, wenngleich sie auch nicht mehr bei ihren Eltern, sondern alleine in einer Wohnung in Bukarest lebt.

Hinter der unterkühlten, distanzierten Fassade ihrer Persönlichkeit wird Cristiana als Mensch für den Zuschauer kaum fassbar. Sie offenbart zwar ihrem Geliebten gegenüber ihre chronische Schlaflosigkeit, tut das aber in einem gleichsam unbeteiligten Berichtton, als handle es sich bei der Leidenden nicht um sie selbst, sondern um eine entfernte Bekannte. Der Geliebte, ein verheirateter Mann, mit dem sie sich heimlich trifft, verschreibt ihr zwar ein Schlafmittel, sieht das eigentliche Problem aber nicht in der Physis, sondern in Cristianas Psyche verankert, die alles, was sie persönlich angeht, kalt und distanziert verhandelt und letztlich verdrängt und von sich wegschiebt.

So wird auch der Liebesakt von Cristiana und ihrem verheirateten Freund gewissermaßen geschäftsmäßig angegangen, ohne jegliche Erotik, als würde sich das Paar nur zum Zwecke der Körperhygiene entkleiden, etwa um sich durch ein gemeinsames Duschbad zu erfrischen. Irgendwann wird der gelegentliche Beischläfer dann von Cristiana kalt abserviert, echt trendy durch ein kurzes Gespräch am Mobiltelefon.

Sexualität scheint für Cristiana kein Genusserlebnis zu sein, sondern ein zwischenmenschlicher Akt, mit dem sie ihre männlichen Freunde provoziert oder gar brüskiert: einem Freund, der zudem homosexuell ist, schlägt sie aus heiterem Himmel vor, er solle ihr jetzt gleich ein Kind machen, einen anderen fordert sie im Rahmen eines im Freundeskreis veranstalteten Partyspiels „Truth or Dare?“ (Wahrheit oder Pflicht?) auf, unverzüglich mitzukommen und im Nebenzimmer mit ihr zu schlafen, beide Male zwar ohne Folgen, aber auch ohne sichtbare Reaktionen der in ihren Wünschen unerhörten Protagonistin.

Allein ihr Hundewunsch öffnet die fest verschlossene Pforte zu Cristianas Seele gelegentlich einen kleinen Spalt, der aber von ihren Mitmenschen immer wieder schnell oder gar vorschnell zugedrückt wird: Der Vater verweigert ihr das dazu nötige Geld, der Liebhaber rümpft befremdet die Nase und die Freunde wundern sich, warum es denn gerade ein Bernhardiner sein muss, den sich Cristiana so sehnlich wünscht. Doch auch hier kommt es zu keinem offenen Konflikt, vielmehr nimmt die Protagonistin ständig alles in ihr Schweigen auf und zurück, indem sie, kettenrauchend auf dem Balkon stehend, ihren Blick über die Dächer von Bukarest schweifen lässt.

Ästhetischen Glanz verbreiten in diesem Film vor allem die Kunstgegenstände, die sich im Besitz von Cristianas Vater befinden: Chinoiserien, rumänische Volkskunst, japanische Holzschnitte, Gemälde aller Art, Kunstgewerbliches von musealer Qualität (in Wirklichkeit auch Leihgaben eines Bukarester Museums). Dieser Glanz strahlt aber nicht in Cristianas Leben hinüber und hinein. Symptomatisch dafür ist eine Szene, in der sie beim Aufhängen von Bildern in ihrer Wohnung eine wertvolle Glasikone zertritt, die ein Freund versehentlich hinter ihr auf dem Boden abgelegt hat.

Ein Song von Ada Milea, der im Film mehrfach erklingt, soll wohl zur Deutung von Cristianas Schicksal beitragen. Einige Liedverse daraus lauten: „Tata, facultatea-i gata; / Unde să mai meargă fata / Ratata şi stricata? / Tata, facultatea-i gata.“ (Vater, die Uni ist vorbei. / Wo soll die Tochter noch hin / so verpfuscht und so verdorben? / Vater, die Uni ist vorbei.). Aber ist es tatsächlich die Tochter, die hier versagt hat? Sind es nicht auch die freudlosen, ja bleiernen Verhältnisse, von denen man nicht weiß, ob es sich dabei um Cristianas subjektive innere Befindlichkeiten oder um objektive äußere Bestimmtheiten handelt? Wirkt in allem nicht die ubiquitäre strukturelle Gewalt, die, wie in so manchen rumänischen Filmen der Gegenwart, von der Metropole Bukarest verkörpert wird?

Von hier aus lässt sich auch die eingangs gestellte Frage beantworten. Ana Lungus Debütfilm schildert unprätentiös und gleichsam en passant das Schicksal einer allein lebenden, gesellschaftlich privilegierten, jungen Frau im Bukarest unserer Tage. Der beiläufige, geradezu unbeteiligt wirkende, filmische Stil erweist sich jedoch dabei gerade in seiner Distanziertheit als höchst manieriert, als äußerst artifiziell, als wolle die Regisseurin durch ihre unterkühlte Regie die Schocks abfangen, denen die Protagonistin des Films permanent ausgesetzt ist. Dass die Regisseurin ihre eigenen Eltern in der Rolle von Cristianas Vater und Mutter auftreten lässt und dass sie ihre eigene Produzentin und Mentorin Anca Puiu als Hundebesitzerin in ihr Spielfilmdebüt mit einbezieht, gibt zu denken und spricht Bände, genauso wie der Titel des Streifens, der eben nicht vom Porträt einer artigen Tochter spricht, sondern von ihrem Selbstporträt.