Temeswarer Künstler Ion Oprescu feiert 60.

„retro/spectiva“: Glaskunst, Objekte, Zeichnungen, Malerei

Ion Oprescu
Foto: Andreea Medinski

Ion Oprescu: „Die Enthauptung (Selbstbildnis)“, Öl auf Holz, 1989

Ion Oprescu: „Anas Bal-Lade“, Terrakotta, Holz, 2006

Ion Oprescu: „Unter Stefans Zeichen“, Holz, Glas, Metall, 2014. Im Hintergrund: „Debila blue“, Glas, Holz, 2011
Fotos (3): Cosmin Damian

Klein, aber fein, so kann man mit Recht die Pygmalion-Galerie im Haus der Künste des Temescher Kulturamtes, die wohl kleinste Kunstgalerie in der Banater Hauptstadt, bezeichnen. Im Laufe der Zeit hat sie zahlreiche Ausstellungen junger oder erfahrener, in- oder ausländischer Künstler beherbergt. Eine davon ist die unlängst über die Bühne gegangene „retro/spectiva“ („Retro/spektive“) des Temeswarer Glaskünstlers Ion Oprescu. Anlass zu dieser erst vierten Einzelausstellung - sein 60. Geburtstag. Dies, da – eigenen Aussagen zufolge -  für den Kunstschaffenden eine rege Ausstellungstätigkeit nicht von Bedeutung ist.

„retro/spectiva“ ist ein Wortspiel des Künstlers, der das Betiteln seiner Ausstellungen und Arbeiten keinesfalls dem Zufall überlässt: „Die Titel sind wichtig. Ich spiele mit den Wörtern. Ich betrachte die Arbeit, überlege, was sie vermittelt und was mit dem Material nicht ausgedrückt wird, versuche ich, mit dem Titel zu ergänzen.“ Mit „retro/spectiva“ meint der Künstler eine „Retro-perspektive“, einen Blick aus der Gegenwart auf die bisher, in den vergangenen 40 Jahren, entstandenen Werke. Gezeigt werden Kreationen aus verschiedenen Schaffensperioden: von den Studienjahren über das reife Alter, als der Künstler für seine Arbeiten ausgezeichnet wurde, bis in die Gegenwart. Die Werke entstammen nicht nur verschiedenen Schaffenszeiten, sondern auch mehreren Kunstgattungen: Objekte, Glaskunst, Zeichnungen und Malerei.

Modellieren im frühen Kindheitsalter

Ein Rundgang mit Ion Oprescu durch seine Ausstellung kommt einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich: jede Arbeit hat eine Geschichte und jede Geschichte ist mit einem Lebensabschnitt des Künstlers verbunden. Eines der ersten Werke ist „Die Enthauptung (Selbstbildnis)“ von 1989. Wie ein orthodoxes Heiligenbild ist das Autoporträt des Künstlers dargestellt: auf einem goldfarbenen Hintergrund, der bei den Ikonen der Ostkirche den Himmel bzw. das „göttliche Licht“ symbolisiert. Ein Hinweis auf die Enthauptung Johannes des Täufers, so der Künstler dazu. „Mit Ölfarbe auf Holz gemalt, patiniert, gespielt. Es sind Spiele. Ich habe nie Malerei ausgestellt. Ursprünglich, als ich im Lyzeum war, wollte ich Malerei studieren, dann habe ich mich aber anders entschieden...“

Der 1956 in Vaideeni (Kreis Vâlcea) geborene Künstler absolvierte das Kunstlyzeum in Hermannstadt/Sibiu und studierte zuerst Keramik, dann Glaskunst am „Ion Andreescu“-Kunstinstitut in Klausenburg/Cluj-Napoca. „Es war ein Volltreffer für Hermannstadt: drei Absolventen des Kunstlyzeums, des Jahrgangs 1975, haben damals die Aufnahmeprüfung bestanden“, sagt Ion Oprescu stolz. „Einer hat Bildhauerei, einer Grafik und ich habe Keramik-Glaskunst studiert. Ursprünglich Keramik, dann habe ich mich auf Glaskunst spezialisiert, es gefiel mir besser.“ Mehrere Tuschezeichnungen, die der Künstler in einer Mappe aufbewahrt hat, illustrieren die während der Studienzeit im Botanischen Garten in der Stadt an der Somesch angefertigten Skizzen. Nur der darunter angeführte Jahrgang, 1976 und das gelbliche Papier verraten die verstrichenen vier Jahrzehnte. Bekannte rumänische Künstler wie Ana Lupaş und Mircea Spătaru unterrichteten ihn an der Klausenburger Kunsthochschule im Modellieren. „Bezüglich des Modellierens gibt es da eine Geschichte“, erinnert sich der Glaskünstler schmunzelnd.

„Am ersten Tag im Kindergarten, überwältigt von den vielen Spielsachen, sammelte ich sie alle zusammen, um damit zu spielen. Meine Eltern waren einfache Leute und ich hatte kein Spielzeug zuhause und plötzlich so viele Spielsachen zu sehen, war unglaublich. Und als dann ein anderes Kind kam, um damit zu spielen, wollte ich keines abgeben“, erklärt Ion Oprescu sein damaliges Verhalten, für das die Kindergärtnerin jedoch kein Verständnis entgegenbrachte. Er wäre ein „Problemkind“, unfähig, in einer Gemeinschaft zu funktionieren und die Eltern sollten ihn zum Arzt bringen oder ihn am besten zu Hause behalten, lautete das Urteil. „In Vaideeni, am Fuße der Brücke, die über die Luncavăţ führte, gab es klebrige Tonerde. Dort spielte ich mit einem gleichaltrigen Freund, der auch zu Hause blieb, als er hörte, dass ich nicht mehr in den Kindergarten gehen musste,“ erzählt der Künstler lächelnd. „Aus dem Lehm modellierte ich dann Autos, Traktoren, Flugzeuge und Tiere, damit wir spielen konnten. Auf der Grundschule habe ich dann mit Zeichnen und Malen weitergemacht.“

Im Herstellungsfehler steckt der Funke

„Die Klausenburger Kunsthochschule hatte in den 1979-1980er Jahren eine als hervorragend angesehene Abteilung für dekorative Kunst, sogar die Bildhauereistudenten kamen zu uns, um sich anzusehen, wie wir die uns zugeteilten Themen bearbeiteten“, betont Oprescu, der als Primus das Kunstinstitut in Klausenburg absolvierte. Seine Professoren, Ana Lupaş und Mircea Spătaru, wollten, dass er an derselben Fakultät ein Lehramt ausübt: „Die Stellen wurden aber reduziert und da fragten sie mich, ob ich in Klausenburg bleiben wollte, denn es gab hier die Fabriken ‚Iris` und ‚Napochim`. Ich entschied mich aber für das Banat, für Temeswar.“ So folgte eine dreijährige Beschäftigung als Designer an der Glasfabrik in Tomeşti (Kreis Temesch). „retro/spectiva“ enthält u.a. auch Skizzen von Glasgegenständen, die in Tomeşti hergestellt wurden. In seinen Objekten kombiniert Ion Oprescu verschiedene Materialien: Glas mit Holz, Metall oder Leder. Er arbeitet je nach aufkommender Idee - tatsächlich diktiert jedoch das Material, sei es Leder oder Glas: „Die Idee habe ich, nur den Ausgang des Werks sehe ich noch nicht, aber ich weiß, wohin ich gelangen muss und dann experimentiere ich. In der Glasfabrik war ich ständig dabei, als meine Projekte umgesetzt, geblasen wurden, und wo die anderen einen Herstellungsfehler sahen, stand für mich der Funke und dies war der Ausgangspunkt“, meint der Künstler zwinkernd und schnippt mit den Fingern.

Von der Glasfabrik  zum Museum

Nachdem er als Designer in Tomeşti tätig war, arbeitete Ion Oprescu als Museologe und Restaurator bis 1991, als er schließlich eine selbstständige Künstler- und Restauratorlaufbahn wählte. Arbeiten wie die „Idole“ entstanden unter dem Einfluss der archäologischen Funde der Kollegen am Banater Museum, wie der Künstler selbst berichtet. Seine gläsernen „Idole“, Frauenfiguren mit üppigen Formen, erinnern an uralte weibliche Statuetten, wie etwa die Venus von Willendorf aus der jüngeren Altsteinzeit.  Eine Arbeit, die vor Jahren den ersten „Primus inter pares“-Preis des Temeswarer Künstlerverbands erhielt, ist „Bal-lada Anei“ („Anas Bal-Lade“). „Es war sehr interessant. Ich hatte sie seit Jahren im Studio, seitdem ich mit Keramik zu arbeiten begann“, erzählt der Künstler. „Es ist eine ältere Geschichte“, Ion Oprescu stockt plötzlich, ein Schatten huscht über sein Gesicht und seine Stimme klingt ernster: „Meine Schwester Ana starb in einem furchtbaren Autounfall, als ich im zweiten Studienjahr war und als ich von der Schule nach Hause kam, zeigte mir meine Mutter ihr Gesicht und ihre Wangenknochen waren tatsächlich hier betroffen“, und der Künstler weist auf die Stelle des Keramikgesichtes, wo er die Spuren des Unfalls verewigt hatte. „Sie stand in meinem Atelier und es war, als ob etwas, jemand, mir zuflüsterte, sie auszustellen und ich tat es.“ Das Werk ist wie ein Kleinod in einer Holzschachtel verborgen, die man je nach Bedarf schließen oder öffnen kann. Der Künstler brachte die Schachtel geschlossen und zusammengebunden zur Ausstellung, sodass die Jury erstmals dachte, es sei bloß ein Sockel. Als sie sich danach erkundigten, die Schachtel hochhoben und deren Seiten plötzlich herunterfielen, meinten sie alle: „Diese Arbeit bekommt den Preis.“ Oprescu fügt hinzu: „Sie hat also ihr Recht beansprucht.“

Das Werk „Sub semnu` lu` Ştefan“ („Unter Stefans Zeichen“) versteht sich als eine Hommage an den 2014 verstorbenen Temeswarer Bildhauer Ştefan Călărăşanu, mit dem Ion Oprescu befreundet war. Das Bronzezeichen auf der hölzernen Glocke ist ein Werk des Bildhauers und zugleich dessen letztes Geburtstagsgeschenk an den Glaskünstler, der es in seine Arbeit mit einband, auch als Hinweis an eine gemeinsame Ausstellung, die die beiden Künstler im Laufe der Zeit organisiert hatten. Ion Oprescu ist auch Restaurator und hat im Laufe der Jahre die bedeutendsten Barockdenkmäler in Temeswar restauriert und konserviert: u.a. die Dreifaltigkeitssäule oder Pestsäule am Domplatz, das Mariendenkmal am Freiheitsplatz und die älteste Nepomuk-Statue (1722) im Banat, die derzeit vor der Millenniumskirche in der Fabrikstadt aufgestellt ist.