Unterschiedliche Freiheitsgrade

Gruppenausstellung in der Kunsthalle Bega

Gibt es verschiedene Freiheitsarten oder ist Freiheit einfach nur Freiheit? Auf diese und andere Fragen versucht die moderne Kunstausstellung, die derzeit in der Kunsthalle Bega zu sehen ist, Antworten zu liefern. Foto: Kunsthalle Bega

Was ist Freiheit? Was versteht man darunter? Gibt es denn verschiedene Arten von Freiheit oder ist Freiheit einfach nur Freiheit? Die Temeswarer Kuratorin Diana Marincu stellte sich all diese Fragen und kam auf eine Antwort. Der Begriff hat eine doppelte Bedeutung, sagt sie. „Einerseits hängt in der Physik und Mathematik der Freiheitsgrad eines Punktes im Raum von den Parametervariablen des kartesischen Systems ab, die seine Position definieren können. Andererseits ist der Freiheitsgrad, den wir uns von einem Individuum, aber auch von einem System vorstellen können, in einem metaphorischen Sinne eng mit den Szenarien und Projektionen verbunden, die sich auf die Unabhängigkeit von den Normen, auf die sie sich beziehen, und die Möglichkeiten des ‘Ausbruchs’ in Bezug auf diese beziehen. Im gegenwärtigen Kontext der extremen Gewalt, der Polarisierung der politischen Systeme, der Radikalisierung der Menschheit und der Verschärfung der Wirtschaftskrise ist die Freiheit eine Reflexion, die die Kunst hervorbringen kann, auf diese beiden grundlegenden Aspekte ausgerichtet: die körperliche und die geistige Freiheit“. So erklärt die Kuratorin Diana Marincu die Gruppenausstellung „Diferite grade de libertate / Different Degrees Of Freedom“ (auf Deutsch: „Unterschiedliche Freiheitsgrade“), die seit dem 17. März in der Kunsthalle Bega in Temeswar/Timișoara zu sehen ist. 

Für die Idee und den Titel der Ausstellung inspirierte sich die Temeswarer Kuratorin an einem Werk der österreichischen Künstlerin Judith Fegerl, in dem die physische Struktur einer Kunstinstitution auseinandergenommen und „entmystifiziert“ wird, wobei auch die „Freiheitsgrade“, die ihr zugeschrieben werden können, getestet worden sind. Ausgegangen davon brachte Diana Marincu 13 Künstler aus dem In- und Ausland (aus Rumänien, Deutschland, Frankreich, Österreich und der Ukraine) zusammen - Andreea Albani, Ștefania Becheanu, Andrei Bucovanu, Mircea Cantor, Ștefan Curelici, Judith Fegerl, Adrian Ganea, Marie-Claire Messouma Manlanbien, Sebastian Moldovan, Ciprian Mureșan, Cristian Rusu, Sinta Werner und Anna Zvyagintseva - und ließ sie sich mit diesem Thema befassen. Installationen, Gemälde, Skulpturen oder Performances entstanden dabei. Sie alle laden die Besucher im experimentellen Kunstraum dazu ein, die verschiedenen Grade der Freiheit auf der eigenen Haut zu erleben. Die Ausstellung ist bis zum 1. Juli in der Kunsthalle Bega, in der Circumvalațiunii-Straße 10, zu sehen und ist Teil des Kulturprogramms „Temeswar 2023 - Kulturhauptstadt Europas“.

Was man vor Ort erleben kann

Ausgehend von dieser Idee der Konfrontation mit einem bestimmten Raum wurde der Künstler Cristian Rusu mit dem im vergangenen Jahr eingeweihten Projekt „Ghost Geometry“ vor die Herausforderung gestellt, den gesamten physischen und sensorischen Rahmen zu dekonstruieren und neu zu konstruieren. Für die Kunsthalle Bega entschied er sich für einen direkten Dialog mit dem Ausstellungsraum, mit seiner architektonischen Identität und mit unseren eigenen Vorurteilen oder Wahrnehmungen. Innerhalb der von Cristian Rusu vorgeschlagenen räumlichen Strukturen scheinen die eingeladenen Künstler von den Zwängen des Raums befreit zu sein und bevölkern all seine Ecken, Winkel und Ebenen mit Nonchalance, wobei sie sich sowohl horizontal, als auch vertikal entfalten. 

Sebastian Moldovan ist daran interessiert, die physischen, materiellen oder geistigen Freiheiten zu testen und sein eigenes Universum zu schaffen, in dem das Paradoxe und das Erhabene die Strukturen von Zeit und Raum bestimmen. Sinta Werner arbeitet mit visuellen Methoden, die aus dem Zusammenspiel von Negativ und Positiv, Spiegelungen, Drehungen, Verschiebungen oder Doppelungen entstehen und das Auge täuschen und optische Täuschungen erzeugen können, insbesondere in Bezug auf die Idee der Transparenz in der städtischen Architektur. Der Maler [tefan Curelici hinterfragt die Idee des städtischen Industrieraums mit all seinen Paradoxien. Adrian Ganea schlägt zwei Werke vor, in denen die Grenze zwischen Kultur und Natur in mögliche Szenarien mündet. Die räumlichen Zeichnungen von Anne Zvyagintseva verwandeln Linien in Skulpturen, und die kriegsversehrte Realität erhält in der Ausstellung einen neuen visuellen Ausdruck, indem ein weißer Vorhang überdimensioniert wird, der ein visuelles Tagebuch des vergangenen, äußerst dramatischen Jahres enthält. Andrei Bucovanu setzt seine Forschungen in Bereichen wie Klangkunst, ortsspezifische Installationen und Skulptur fort, und zwar in Richtung dessen, was er als „instabile Medien“ bezeichnet. Jede Bewegung oder Geste des Publikums trägt dazu bei, die Klangschwingungen zu formen, aus denen die Installation des Künstlers aufgebaut ist.

Als Kontrapunkt zur Ausstellung wurde bei der Vernissage eine Performance von Ștefania Becheanu, einer rumänischen Künstlerin, die aber seit mehreren Jahren in Paris lebt, dargeboten. Die neue Konfiguration ihres Werks „Fragile“ basiert auf einem ausgeprägten Klangraum, der von der Manipulation einer überdimensionierten Gitarre ausgeht und in die Choreografie des Körpers übergeht, die eine hypnotisierende Wirkung auf das Publikum erzielt. 

Das Potenzial des Diskurses zum Thema „Freiheit“, eine echte Wirkung und authentischen Widerstand zu erzeugen, wird in der Arbeit „Auto-da-fé“ des Künstlers Ciprian Mureșan zur Diskussion gestellt, in der Fragmente des Romans von Elias Canetti in Graffiti umgesetzt werden - ein ausführlicher Monolog der Figur Peter Kien, der von seinen eigenen utopischen Projektionen, aber auch von der Faszination der Rhetorik überwältigt ist. Andreea Albanis Arbeit „Writing at the speed of thought“ geht von der Idee aus, dass es kein Schriftsystem und kein Alphabet gibt, welche mit unserer Denkgeschwindigkeit mithalten können, und die entstehenden Formeln sind Zeichnungen, die die Formen von Gedanken, Emotionen, Absichten und vielleicht auch verschiedenen Rhythmen annehmen.

Das Werk „Heilige Blumen“ von Mircea Cantor lässt uns, wie in einem abgrundtiefen Kaleidoskop, endlos auf die Waffen blicken, die sich in symmetrische und ästhetische Blumen verwandeln, auf das versteckte Zeichen der militärischen Währung, die sich in einen giftigen, aber immer noch tolerierten Teufelskreis verwandelt. Und das während der Pandemie produzierte Video „Am I Really Free“ deckt eine äußerst empfindliche Wunde auf, unter der die gesamte Menschheit leidet - die Illusion der Freiheit im Gegensatz zu den heimtückischen Zwängen, die in den Alltag eingefügt wurden. 

Die Textilarbeiten der Künstlerin Marie-Claire Messouma Manlanbien stellen Verbindungen zwischen Kulturen, Generationen, Sprachen, Materialien und Genealogien her. Sie wurden aufgrund ihrer Fähigkeit ausgewählt, eine Reihe persönlicher und sozialer Landkarten sowie multiple weibliche Identitäten vorzuschlagen, die sich in dem von ihr gezeichneten poetischen Raum manifestieren. Das von der Künstlerin Judith Fegerl während der Pandemie gefilmte Video „Unbraid“ steht im Dialog mit den in ihren Werken verwendeten Materialien und zeigt die sich wiederholende Geste der Künstlerin, ein Kupferkabel zu „zerlegen“, die unweigerlich mit der Geste des Entwirrens langer Haare verbunden ist, die im Leben von Frauen so häufig und präsent ist. 

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Juli geöffnet.