Vom Ernst des Lachens

Interview mit der Berliner Choreografin Antonia Baehr

Antonia Baehr betritt in hochgeknöpftem Herrenanzug die abgedunkelte Bühne, blättert in ihren Noten und beginnt ihre Show: Sie lacht. Mal kichert sie leise, mal donnert sie laut aus sich heraus –  doch mit Kontrollverlust oder Komik hat die Performance dennoch wenig zu tun. „Lachen“ ist eine Komposition von Partituren verschiedener Facetten ihres eigenen Lachens, die sich die Berliner Choreografin einst von Freunden schreiben ließ. Vor Kurzem führte Antonia Baehr ihr Selbstporträt im Rahmen des Festivals „Krumme Tage“, veranstaltet von Căminul Cultural, dem Goethe-Institut und dem National Dance Centre, in Bukarest auf. Antonia Baehr sprach für die ADZ mit Andrea Rüthel über ihr ungewöhnliches Konzept.

Frau Baehr, im Programm des Goethe-Instituts wurde Ihr Auftritt als „Tanzaufführung“ angekündigt. Sind Sie mit der Bezeichnung einverstanden?
Jedenfalls lenkt die Bezeichnung das Denken in eine interessante Richtung. Ich würde sagen, mein Stück liegt irgendwo zwischen Choreografie und Komposition. Das Lachen ist eine Manifestation von Körper und Klang, man kann nicht wirklich trennen, was Bewegung ist und was Klangbewegung.

Was ist der Hintergrund des Stückes?
Ich wollte ein Stück machen, das etwas mit dem Theater zu tun hat. Meine Überlegung war, dass das Theater, vor allem das westliche Theater, diese „vierte Wand“ hat. Das heißt, es gibt eine unsichtbare Wand zwischen dem Publikum und der Bühne. Die Leute auf der Bühne tun so, als würden sie nicht angeguckt werden und das Publikum ist Voyeur und blickt durch diese unsichtbare Wand hindurch. Normalerweise lacht das Publikum im Theater. Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn das, was auf der Bühne passiert, das ist, was normalerweise das Publikum macht – lachen. Es ist wie ein Spiegeleffekt.

Wollen Sie die Wand durchbrechen?
Nein, mein Stück ist eher eine Forschung. Lachen wirkt in der Gruppe – wie übrigens auch das Gähnen – ansteckend. Ich war sehr neugierig darauf herauszufinden, ob Lachen auch dann noch ansteckt, wenn es diese Konvention der vierten Wand gibt.

Und was ist die Antwort?
Jede Aufführung ist absolut anders, ich bin immer wieder erstaunt. In Bukarest beispielsweise gab es viele unterschiedliche Reaktionen. Es gab das ansteckende Lachen im Publikum und dann gab es aber unter den Zuschauern selbst eine komische Lache, die dann die anderen wiederum zum Lachen gebracht hat. Es ist sehr schön, wenn das passiert.

Glauben Sie, dass es global gesehen unterschiedliche Lachkonventionen gibt?
Ich glaube, dass wir große Missverständnisse darüber haben, was Kultur heutzutage bedeutet. In unserer globalisierten Welt begegne ich dem „Lachen aus der Büchse“, diesem künstlichen, aufgenommenen Lachen, im Flugzeug, im Fernsehen, überall. Ich glaube, dass wir davon sehr beeinflusst sind.

Inwiefern fällt Ihr Stück aus dem konventionellen Umgang mit dem Lachen heraus?
Ungewöhnlich ist, dass ich vom Publikum nichts erwarte. Das Ziel einer Comedy-Show ist es, dass das Publikum lacht und dass es an ganz bestimmten Stellen lacht. In „Lachen“ ist das nicht so. Es geht um den choreografischen Umgang mit Lachen als alltäglicher Gestik, die losgelöst von einer Situation oder Geschichte betrachtet wird.

Haben Sie eine politische Botschaft?
Lachen an sich ist politisch. Mir geht es mit dem Stück nicht um die Frage, warum wir lachen. Mir geht es um das Lachen als körperliche Ausdrucksform und die ist immer politisch. Es geht darum, wie konstruieren wir uns selbst, und um die Feststellung, dass wir uns durch Imitation erschaffen. Lachen hat viele gesellschaftliche Komponenten. Das Lachen von Mädchen in der Pubertät zum Beispiel ist ein ganz bestimmtes Lachen. Lachen als Mund-Aufmachen hat auch etwas Dreckiges an sich, das ist der Grund, warum Models meistens nur lächeln. Lachen kann auch gut als Selbstverteidigungswaffe benutzt werden.

Ihr Auftritt in Bukarest fand im Rahmen der „Krummen Tage“ statt. Das Ziel des Festivals ist es, durch heikle Ausdrucksformen Spannung in der rumänischen Gesellschaft zu erzeugen. Was denken Sie über das Konzept?
Ich finde das Festival großartig. Zum einen trifft man nicht immer dieselben „Westkünstler“ wie überall. Es ist eine Gruppe aus Chişinău da, Künstler aus Ungarn oder Marokko. Es ist, als sei Bukarest das Zentrum der Welt. Zum anderen denke ich, dass hier im Vergleich zu Berlin noch viel mehr passieren kann. In Berlin gibt es eine Übersättigung an kulturellen Ereignissen. Auch politische Fragen zum Beispiel zu Gender sind schon viel länger behandelt. Hier habe ich das Gefühl, das Festival bewegt wirklich etwas.