Von Kunst, Kultur und Politik

Interview-Buch mit der Luxemburger Politikerin Erna Hennicot-Schoepges

Die Ehrenbürgerin der Stadt Hermannstadt/Sibiu und Ehrendoktorin der Hermannstädter Lucian Blaga-Universität, Erna Hennicot-Schoepges, und die Chefredakteurin der „Hermannstädter Zeitung“, Beatrice Ungar, haben vor Kurzem gemeinsam im Hermannstädter Honterus-Verlag ein Buch veröffentlicht, das einen auf den ersten Blick rätselhaften Titel trägt: „Von Schubert bis Praid“! Was hat der österreichische Komponist Franz Schubert mit der in Siebenbürgen gelegenen Ortschaft Praid/Salzberg zu tun, die schon seit der Römerzeit wegen ihrer Salzbergwerke bekannt ist?

Das Rätsel erschließt sich demjenigen, der die heute siebzigjährige Luxemburger Musikerin und Politikerin Erna Hennicot-Schoepges kennt oder sie durch dieses soeben erschienene, lesenswerte und reich bebilderte Interview-Buch erst kennenlernt. Die in Düdelingen/Dudelange geborene und in Brüssel, Salzburg und Paris ausgebildete Pianistin Erna Hennicot-Schoepges strebte schon früh neben ihrer musikalischen eine politische Karriere an. Sie war in den achtziger Jahren Luxemburger Parlamentsabgeordnete, Anfang bis Mitte der neunziger Jahre Luxemburger Parlamentspräsidentin und zugleich Bürgermeisterin von Walferdingen/Walferdange, danach Kulturministerin, Erziehungsministerin und Parteivorsitzende der Christlich Sozialen Volkspartei.Im Regierungskabinett von Jean-Claude Juncker wirkte sie von 1999 bis 2004 als Arbeitsministerin, danach war sie Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Mitglied in dessen Kulturausschuss.

„Von Schubert bis Praid“! Der Titel markiert zwei wichtige Stationen der Begegnung der bedeutenden Luxemburgerin mit dem Land Rumänien und den in ihm lebenden Menschen und macht damit zugleich deutlich, dass es bei diesem Buch um kein allgemeines Politikerporträt geht, sondern um die Darstellung der besonderen Beziehungen einer Europäerin zu einem von ihr als seelenverwandt empfundenen europäischen Land –„Leseproben einer Seelenverwandtschaft“ lautet der sprechende Untertitel des Buches –, einem Land, das ihr aus der Schulzeit als „Kornkammer Europas“ bekannt war und das ihr nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur klischeehaft als „Armenhaus Europas“ präsentiert wurde.

Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ bildete für Erna Hennicot-Schoepges einen ersten Anknüpfungspunkt zu Rumänien und den Rumänen: Bei einem Konzert in Luxemburg im Juli 1980 war sie kurzfristig als Pianistin eingesprungen, um den rumänischen Sänger Ionel Pantea am Klavier zu begleiten. Aus dieser zufälligen Begegnung erwuchs dann eine lebenslange Freundschaft und damit auch eine erste „wunderbare Verbindung zu Rumänien“ (S. 10).

Als Bürgermeisterin von Walferdingen setzte sie sich Jahre später für eine kommunale Partnerschaft zwischen dem luxemburgischen Walferdingen und dem rumänischen Praid ein und machte damit deutlich, dass europäische Beziehungen auf allen politischen Ebenen wirksam sein müssen, um menschlich und gesellschaftlich produktiv sein zu können.

Das Interview-Buch, das mit der finanziellen Unterstützung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien erschienen ist und durch ein Grußwort des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker sowie ein Geleitwort des Hermannstädter Bürgermeisters Klaus Johannis präludiert wird, ist in sechs Kapitel aufgeteilt. „Musik“, „Politik“, „Kultur und Kunst“, „Kommunalverwaltung“, „Bildung“ und „Geschichte“ lauten die Überschriften der einzelnen Kapitel, die das breite Spektrum der Begegnungen zwischen Luxemburg und Rumänien im Allgemeinen und Luxemburg und Hermannstadt im Besonderen fächergleich auffalten und farbenreich beleuchten.

Zahlreiche Fotos von Erna Hennicot-Schoepges, zum Beispiel eines mit dem damaligen rumänischen Präsidenten Iliescu bei einem Staatsempfang, eines mit dem luxemburgischen Großherzogpaar und dem Hermannstädter Bürgermeister Johannis auf dem Großen Ring der Stadt am Zibin oder eines bei der Eröffnung des Kulturwege-Büros im Hermannstädter Luxemburghaus illustrieren die vielfältigen politischen Begegnungen während mehrerer Jahrzehnte ihres engagierten Wirkens.

Neben diesen dokumentarischen Schwarzweißfotos finden sich in dem Interview-Buch aber auch sechs artistische Farbfotos von Stephanie Hennicot und Beatrice Ungar, die Motive aus Kunst und Natur beleuchten, aber im Gegensatz zu den dokumentarischen Fotos keine Bildunterschriften tragen. Man erkennt die Nadelbaumallee im Park der Brukenthalschen Sommerresidenz in Freck/Avrig, aber bei den anderen Natur- und Kunstmotiven ist man auf Vermutungen angewiesen.

Jedem der sechs Kapitel des Buches haben die beiden Autorinnen einen oder zwei Witze rumänischer oder luxemburgischer Provenienz vorangestellt, die der „Auflockerung“ dienen und die „Fallhöhe zwischen Ideal und Wirklichkeit“ illustrieren sollen, wie dies auf dem Rückumschlag des Buches erläutert wird.

Einer der hier abgedruckten Witze lautet: „Konzert im Rippweiler Kulturzentrum. Am Eingang hängt ein Plakat mit der Aufschrift: ‘Hunde nicht zugelassen’. Nach dem Konzert steht darunter: ‘Ein Tierschützer’“ (S. 65).

Um das Leben eines Menschen durch Befragen zum Sprechen zu bringen, bedarf es nicht nur erzählenswerter Begegnungen, erwähnenswerter Ereignisse und erwägenswerter Gedanken, sondern auch eines Interviewpartners, der seinem Gegenüber die richtigen Fragen stellt und ihm durch die Kunst seiner Befragung die Gelegenheit bietet, sich in der Darstellung der Vielfältigkeit seiner Biografie umfassend zu entfalten.

Dies ist der Hermannstädter Journalistin Beatrice Ungar in beeindruckender Weise gelungen, auch und gerade durch Fragen, die über den konventionellen Rahmen hinausgehen und dadurch neue, ungewöhnliche Horizonte eröffnen.

„Was würden Farbharmonie, Kunst oder Gefühl in der Politik bewirken? Welche Rolle kommt in diesem Kontext den Frauen zu?“ (S. 32); „Sie haben es sich zum Ziel gesetzt zu gewährleisten, dass Kultur als Politikbereich aus eigenem Recht anerkannt wird. Können Sie dies etwas ausführen?“ (S. 44); „Hätten Sie es begrüßt, wenn sich aus der Partnerschaft zwischen Luxemburg und Hermannstadt im Projekt ‘Europäische Kulturhauptstadt 2007’ eine Städtepartnerschaft entwickelt hätte?“ (S. 69); „Wie stehen Sie zu der Aussage von Wissenschaftlern, Luxemburger und Siebenbürger Sachsen hätten keine gemeinsamen Wurzeln, wohl aber Luxemburger und Banater Schwaben?“ (S. 84).

Die Antworten von Erna Hennicot-Schoepges auf diese und andere ihr von Beatrice Ungar gestellten Fragen finden sich in dem interessanten und lehrreichen Interview-Buch „Von Schubert bis Praid“, dem am Schluss noch eine Zeittafel zu den rumänisch-luxemburgischen Beziehungen (S. 87f.) sowie ein Personenregister (S. 89f.) beigegeben ist.

Erna Hennicot-Schoepges / Beatrice Ungar: „Von Schubert bis Praid. Leseproben einer Seelenverwandtschaft“, Hermannstadt, Honterus Verlag 2011, 90 S., ISBN: 978-973-1725-70-3