Wie Bilder Bücher machen und umgekehrt...

Die Bedeutung von gut illustrierten Publikationen auf dem heutigen Buchmarkt

Stela Lie und ein von ihr illustrierter Buchtitel (unten)
Foto: Florin Pantilimon

Erst durch die bildhaften Veranschaulichungen des in Textform beschriebenen Gedankenganges wird ein Buch zu einem vollkommenen Werk. Hinzu kommt das taktile Erlebnis: Lässt man die Seiten durch die Finger fließen, verinnerlicht man die anhand von Worten und Bildern dargebotenen Inhalte viel stärker als vor einem Bildschirm. Die gedruckten Publikationen führen immer noch vor den digitalen E-Books. Doch gerade weil heutzutage alles per Klick zugänglich ist, müssen Verlage umso mehr darauf achten, dass gedruckte Werke auch entsprechend attraktiv sind. Dabei spielt die grafische Gestaltung eine wesentliche Rolle. Je fesselnder sie ist , desto eher erregt das Buch die Aufmerksamkeit des potenziellen Käufers. „Das Visuelle übertrifft das Wortliche“ lautet der Grundsatz fast aller Herausgeber, egal ob es sich um Kinderbücher, Wissenschaft oder Belletristik handelt. Stela Lie, Universitätsprofessorin an der Nationalen Kunstuniversität in Bukarest und Gründerin des Clubul Ilustratorilor (Club der Illustrierenden), die in der Schweiz und Rumänien im Bereich der Buchgrafik langjähige Erfahrung gesammelt hat, verrät mehr über dieses Thema im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Irina Radu.

Frau Lie, Sie unterrichten seit langer Zeit an der Abteilung für Grafik im Rahmen der Nationalen Kunstuniversität in Bukarest. Wie viele Studierende wählen denn nach dem Studienabschluss die Buchillustration als Karriereweg?

Übrigens sollte die Abteilung ja „Grafische Künste“ heißen, wie Sie wissen, ist sie mit „Grafik“ nicht so richtig übersetzt. Vielleicht ist es kein Zufall, nomen est omen: „graphein“ bedeutet auf Griechisch „schreiben“. In den letzten Jahren habe ich Themen eingeführt, die Zeichnen und Schreiben miteinbeziehen, schließlich ist Schreiben auch eine Art Zeichnen. Und jetzt werde ich zur Antwort springen: Nicht nur das Schreiben interessiert uns als Illustrierende, sondern auch der inhaltliche Wert des Geschriebenen, also die Literatur. Einmal vor Jahrzehnten kursierte im Institut für Kunst ein Gerücht, dass die Grafikstudierenden schlauer seien, weil sie die Bücher, die sie illustrieren sollen, gründlicher lesen. Daher - und damit schließe ich die Einleitung zur Frage - war die Buchillustration schon immer ein Thema in der Grafikabteilung. Nach einer Stagnation des rumänischen Buchmarktes wegen dem Eintritt der Revolution 1989 erholte sich endlich die Lage wieder und wir hatten Studierende, die sich für eine Karriere im Bereich Buchillustration entschieden. Nicht viele - das ist die kurze Antwort - nicht immer, aber immer wieder. Nicht viele, aber immer mehr.

Es gibt heutzutage vielerlei stilistische Dimensionen im Hinblick auf  Buchillus-trationen. Wie würden Sie eine wirklich gelungene Illustration schildern?

Es wäre eine Illustration, die den Text ergänzt, die zeigt, wie der Autor gezeichnet hätte, wenn er könnte. Es gibt natürlich Illustrationen, die einen Text visuell exakt umsetzen und die sind sehr bemerkenswert. Eine gute Illustration erfüllt beide Zwecke, sie versinnbildlicht zum einen die im Text geäußerten Ideen und spiegelt zum anderen auch die Persönlichkeit des Künstlers wider, deshalb kann ein Illustrator seine Arbeit nicht delegieren, wie es zum Beispiel ein Designer könnte.

In welchen Ländern ist die Kunst der Buchillustration am besten entwickelt? Wie sieht es im Vergleich dazu in Rumänien aus?

Ich denke, Deutschland ist das erste Land, was mir in den Sinn kommt. Aber wenn wir zur Bologna Fiere, einer riesigen Buchmesse in Italien gehen würden, dann würden wir sehen, was für wundervolle Stände viele andere Länder haben. Wir können damit nur sagen, dass die Buchillustration eigentlich auf der ganzen Welt floriert und das gedruckte Buch ist nicht zugunsten des digitalen Buches gestorben. In Rumänien gab es vor der Revolution nur einen Verlag für Kinder, Ion Creangă, der aber viele und schön illustrierte Bücher zu akzeptablen Bedingungen in fast unzähligen Auflagen veröffentlichte. Es gab spezialisierte Buchverleger, Illustrierende, beispielweise der unvergleichliche Silviu Băiaş. Dann gab es eine Pause, die staatlichen Verlage stürzten, deren neue Vorsitzende wählten die bequeme und wirtschaftlich günstige Lösung: den Import von Kinderbüchern, die mitgelieferten Übersetzungen, Text und Bild. Die Verlage ließen Originalprojekte nur noch selten entstehen. Doch in den letzten zehn Jahren haben wir uns wachgerüttelt. Es erschienen Verlage, die versuchten, originelle rumänische Projekte mit rumänischen schriftstellerischen Werken und Illustrationen zu erstellen. Ich glaube, zu den ersten gehörte der Verlag Cartea Copiilor, der sich bis heute noch gehalten hat. Dann der Verlag Art, der eine Kinderabteilung namens Arthur hat, so auch der Verlag Nemira mit Nemi oder die Verlage Litera und Cartier in Chişinău gaben Bücher heraus, die von vielen rumänischen Illustrierenden bebildert wurden. Und es gibt auch viele andere in Siebenbürgen oder im Banat. Auch gute Bücher in ungarischer Sprache habe ich gesehen. Die AER (Asociaţia Editorilor din România/Rumänischer Verlegerverband) trug außerdem dazu bei, indem sie Platz beim Bookfest für lokale Buchillustrationen schuf, wie z. B. der Stand des Clubul Ilustratorilor bewies. Es wird doch immer besser.

Dank Ihrer Initiative, Clubul Ilustratorilor ins Leben zu rufen, hat sich ein großes kreatives Kollektiv gebildet. Wie ist dieses Projekt entstanden?

Ich habe Clubul Ilustratorilor mit Absolventen gegründet, die auch Buchillustratoren werden wollten, aber die nicht wirklich wussten, wo sie  anfangen sollten. Ich war fest davon überzeugt, dass wir am Ende eine Antwort von den Verlagshäusern bekommen werden, daher haben wir uns organisiert. Wir nahmen an Buchmessen, Workshops und Ausstellungen teil. Die von Ioana Grünwald (Leiterin BIZ - Buch Informationszentrum) vorbereiteten Workshops am Goethe-Institut trugen entscheidend zur Gründung von Clubul Ilustratorilor bei. Eingeladen waren deutsche Top-Illustrierende wie Henning Wagenbreth, Thomas Mueller oder Designer wie Uta Schneider. Diese Erfahrungen haben uns geprägt und wir wollten dann alle selbst Buchillustrationen machen. Gleichwohl hatten wir noch keinen Auftrag. Aber ich glaube wirklich, dass wir zum „Erwachen“ der Verlage gewinnbringend beigetragen haben; wir hatten die Geduld, bis es an der Zeit war, von ihnen entdeckt zu werden.

Ihre eigenen Zeichnungen sind in mehreren Publikationen zu sehen. Wie würden Sie Ihren Aufstieg in dieser Domäne schildern?

Anfangs versuchte ich mein Bestes, um Buchillustration zu machen, aber die Zeit war einfach noch nicht gekommen. Entweder hatten die Verlage, mit denen ich zusammengearbeitet habe, nicht die Erfahrung und Technik, und die Bücher wurden dadurch unangemessen gestaltet, oder sie behaupteten sich nicht auf dem Markt, oder aber die zu illustrierenden Themen passten nicht zu mir. Ich selbst hatte damals auch noch keine große Erfahrung, ich hatte vielleicht ein paar Seiten oder eine Zeitschriftenseite erstellt.

Übrigens gestaltete ich gerade zu einer Zeit, als ich noch nicht mal einen Scanner hatte, ein interessantes Buch und schickte die Zeichnungen per Post nach Deutschland. Es war der kleine, Rumänien gewidmete Kalender 2002 vom Gustav-Adolf Verlag, ein kleinformatiges Buch, aber mit vielen Informationen über Rumänien und vielen Schwarz-Weiß-Zeichnungen. In den letzten zehn Jahren habe ich nur Buchumschläge für die Verlage Baroque Books und Art erschaffen. Es ist eine Freude, mit Dana Moroiu, der Herausgeberin des Verlags, zu kollaborieren. Sie ist ein Profi, sie weiß, was sie will und hat die visuelle Linie des Verlags beibehalten, indem sie von Anfang an nur Bucheinbände mit Originalillustrationen herausgibt. Und was meine persönliche Herangehensweise angeht, ist Dana aufgefallen, wie gerne ich schreibe und sie macht deswegen Platz für meine Handschrift, oft entscheidend, auf den meisten Umschlägen.

Ihre Illustrationen verschönerten neben Bücherseiten auch Galerieräume.  Erzählen Sie uns über die nationalen und internationalen Ausstellungen, an denen Sie teilgenommen haben.

Für meine Generation kam die Revolution etwas spät. Wir waren in den 90er Jahren zu UAP gekommen und da die ersten privaten Galerien noch später gegründet wurden und ihr Interesse auf junge Künstler oder auf etablierte Künstler gerichtet war, hatten wir unsere Rollen quasi ausgespielt. Ich hatte das Glück, zwei Residency-Stipendien zu erzielen, die mein Leben verändert haben, also mein Verständnis von Kunst, und zwar 1995 in Boswil, einem Dorf in der Schweiz, und 2007 in der Cite des Arts, Paris. Seitdem bin ich mit Bruno Landis befreundet, einem Schweizer Künstler mit einer kleinen Galerie neben seinem Haus. Dort stellte ich nicht nur selbst aus, sondern auch mit meinen ehemaligen Absolventen. Ich setzte darüberhinaus mit Bruno einen Kulturaustausch in Gang, d.h. zwei größere Gruppenausstellungen; die eine in Rumänien war im Literaturmuseum beheimatet. Unter meinen persönlichen Ausstellungen erinnere ich mich gerne an diejenige in Mogoşoaia im Jahr 2012, sie hieß „Ce rămâne...“ und enthielt Zeichnungen, Objekte und Künstlerbücher und die eine Ausstellung von Galateca von 2003. Auch die Ausstellung von LANDisGALERIE in Moeriken in der Schweiz von 2019 zählt dazu. Und von den Gruppenausstellungen, an denen ich teilgenommen habe, sind wahrscheinlich diejenigen, die von MNAC veranlasst worden sind, am wichtigsten. Ich hatte zwei Initiativen, Gruppenausstellungen zu organisieren, ein kuratorischer Impuls, sagen wir mal. Vor einigen Jahren hatte ich drei Ausstellungen in den UAP-Galerien, „Mama şi copilul“, „Colecţia“ und „Lucrul de mână“. Vor Kurzem, als mir der Raum der Cafeteria im MNAC anvertraut wurde, konnte ich einige Ausstellungen mit jungen Kunstschaffenden realisieren. Überdies habe ich in der Universitätsgalerie (UNAgaleria vor dem Umzug nach Combinat) eine Ausstellung des Clubul Ilustratorilor, „Şapte ani de ilustraţie“ veranstaltet.

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft der rumänischen Buchillustration aus?

Nachdem sich die Buchillustration von der „Ohnmacht“ der nachrevolutionären Jahre erholt hatte, lief es gut. Es gibt heute gute Druckereien, Bücher, die „wie im Ausland“ aussehen. Ich glaube, dass es trotzdem nicht genügend Aufträge gibt, um mittels des von Illustration erworbenen Ertrags mühelos zu leben. Man muss sich redlich abarbeiten, jeden Auftrag annehmen, den Verlag von seinen gestalterischen Fertigkeiten überzeugen und ein Beziehungsnetzwerk auf dem Buchmarkt pflegen. Junge Illustrierende haben jetzt Zugang zu Informationen, reisen nach Bologna, sehen die gegenwärtigen Tendenzen. Verlagshäuser haben schon begonnen, mit Grafikdesignern, die etwas anderes als Desktop Publishing machen, zusammenzuarbeiten und die Bücher sehen damit immer besser aus. Es gibt nicht wirklich ausreichenden Platz für alle Illustrierende, aber es gibt noch Platz.

Herzlichen Dank für das Gespräch!