„Bewegen wir uns alle nur noch in unseren Blasen?“

Eine liberale Juristin und Buchautorin rät zu reflektierter Empörung

Hermannstadt - „Es geht längst nicht mehr um die Konfliktlinie zwischen links und rechts – die Welt ist deutlich komplexer“, stellt die bundesdeutsche Juristin Karoline M. Preisler (Jahrgang 1971) im Nachwort ihres Buches „Demokratie aushalten! Über das Streiten in der Empörungsgesellschaft“, 2021 vom aktuell exakt 170 Jahre alten S. Hirzel Verlag auf den Markt gebracht, noch ein letztes Mal auf diesen knapp 160 kartoniert gebundenen Seiten richtig. „Ich weiß, es ist nicht leicht, aber wir alle müssen nüchtern anerkennen, dass wir uns schon mal geirrt haben. Wir werden uns auch wieder irren, und selbst in den Bereichen, die wir glauben verstanden zu haben, werden wir uns wieder irren“, versichert die in Ost-Berlin zur Welt gekommene und in der DDR aufgewachsene Politikerin, seit 2013 Mitglied der FDP, ihren Lesern. „Sobald wir dann damit aufhören, über uns und andere zu richten, beschreiten wir den Ausweg aus der Empörungskultur.“ Samstag, am 28. Oktober, liest sie abends um 19 Uhr im Deutschen Kulturzentrum von Hermannstadt/Sibiu daraus vor.
Im zweigeteilten Deutschland sympathisierte Karoline M. Preisler mit der „Kirche von unten“, einer klar oppositionellen Bewegung evangelischer Motivation in der DDR, und wurde bereits im Alter von 13 Jahren durch die Stasi beschattet. Sie war absichtlich nicht Mitglied der Freien Deutschen Jugend und trug als Schülerin ihre Zahnbürste an einer Schnur um den Hals hängend. „Für den Fall der Verhaftung.“ Ein altes schwarzweißes Porträt von sich selbst zum Beweis hierfür teilte Preisler Februar 2020 auf ihrem Twitter-Account. Zum Äußersten für sie als Jugendliche im sowjetischen Deutschland kam es nicht. Und Anfang Juni 2020 nahm sie gegen eine ihrer Meinung nach ungeeignete Verbeamtung einer dritten Person als Verfassungsrichterin von Mecklenburg-Vorpommern öffentlich protestierend Position vor dem betreffenden Behörden-Gebäude ein, dabei ein weißes T-Shirt tragend, auf dessen Rücken sie mit schwarzem Stift geschrieben hatte, was der 1951 in Moskau hingerichtete ostdeutsche Liberaldemokrat Arno Esch zeitlebens betonte: „Ein liberaler Chinese steht mir näher als ein deutscher Kommunist.“ Ab 2014 war Karoline M. Preisler neun Jahre lang die Vorsitzende der 2009 gegründeten FDP-nahen Arno-Esch-Stiftung. Auf Twitter schreckt sie auch nicht davor zurück, die Rückblende vom „Leben in Frieden in der DDR“ zu entzaubern, da sie selber östlich der binnendeutschen Grenze „viel Unfrieden“ erlebt habe. „Zeitzeugen berichten von Folter im Stasi-Knast, Zwangsarbeit von Minderjährigen, SED-Mauertoten, Überwachung, Ausreiseverbot, Zwangsausbürgerungen, Enteignungen, Zwangsadoption, Not und Furcht.“

Dem Ukraine-Krieg, der im Jahr nach dem Erscheinen ihres Buches ausbrach, gewinnt Karoline M. Preisler – September 2022 hielt sie vor dem Brandenburger Tor auf der ukrainischen Flagge sitzend ein einfaches Transparent mit der Parole „Putin go home!“ in die Höhe – ebenso publizistisches Potential ab. „Demokratie aushalten, all die Meinungen und Haltungen aushalten, die durch den Äther unser offenen Gesellschaft gespült werden, ist seit dem Angriff auf die Ukraine noch schwerer geworden, oft unerträglich. Ich versuche es dennoch“, gesteht sie als Autorin im nachträglich unverzichtbar sich aufdrängenden Zusatzkapitel „Krieg und Demokratie“, das ab sofort jeder Bestellung ihres populärwissenschaftlichen Handbuchs beigelegt wird, solange der Vorrat beim S. Hirzel Verlag reicht. Der Eintritt zum Lesetermin von Karoline M. Preisler in Hermannstadt ist frei.