An wen werden 76.000 Ziegelsteine gehen?

Geschichte und Geschichten um den Kronstädter Schlossberg

Skizze von Stadtarchitekt Ing. Gustav Treiber mit dem inneren Kern der Bastei. Hervorgehoben mit schwarz sind der hufeisenförmige Turm, ebenso die ersten drei angebauten Türme. Die Skizze zeigt noch nicht die spätere, sternförmige Außenmauer. (Aus „Mitteilungen des Burzenländer Sächsischen Museums“, 2. Jahrgang, Kronstadt 1937, Heft 1-4, Seite 32)

Im Hof der Bastei fanden bis 2015 regelmäßig Ritterspiele statt, hier die Ritter des Burzenlandes.
Foto: der Verfasser

Die Bastei, vom Schneckenberg aus gesehen
Foto: KR Archiv

Eigentlich sind es viel mehr Ziegelsteine, Bausteine, Dachziegel, Anlagen, Einrichtungen, alles in einem Gebäudekomplex, gelegen auf einem Grundstück von 5002 Quadratmetern in der Mitte Kronstadts, eingetragen als Nr. 130755 im Grundbuch unter der topografischen Nummer 2068/1/2. Den Kronstädtern – und nicht nur ihnen – ist der Komplex als „das Schloss am Schlossberg“ bekannt und seit 2015 wird es immer wieder durch Nachrichten über ein endloses Gerichtsverfahren in Erinnerung gebracht. So auch durch den nächsten Gerichtstermin, vorgesehen für den 23. März.

Die Vorgeschichte

Mit Beginn des wirtschaftlichen Aufstieges von Kronstadt wurden Wehreinrichtungen gebaut: Die Stadt wurde nach und nach mit Mauern, Basteien und Türmen umgeben und außerhalb dieser wurden befestigte Punkte angelegt. Der Martinsberg war ein solcher und hatte seine Bedeutung zur Überwachung der Zugänge in Richtung Innere Stadt. Über die Beschaffenheit der ersten Anlage gibt es keine Angaben, außer dass sie hölzern war. Zu dieser Schlussfolgerung kam 1937 Dr. Erich Jekelius in seinem Beitrag „Daten zur Geschichte des Schlosses auf dem Kronstädter Schlossberg“ (Mitteilungen des Burzenländer Sächsischen Museums, 2. Jahrgang, 1937, Heft 1-4, S. 35-42). Diese Anlage wurde 1529 zerstört, wie aus mehreren Quellen bekannt ist: „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ (G.D. Teutsch, 1899, Bd. I, S.199) oder „Aus Kronstadt´s Vergangenheit und Gegenwart (Friedrich Philippi, 1874, S. 36). 1529 wurde „in die hölzernen Verteidigungswerke auf dem Schlossberg Feuer geworfen“, die Anlage eingenommen und zerstört, und zwar während eines Einfalls der Moldauer unter dem Woiwoden Petru Rareş. Noch genauer ist die Beschreibung in den „Barcenser Memorabilien“ eines unbekannten Verfassers um 1800: „1529. 1. Nov. Abends ward das hölzerne Wachthaus (unsere Alten nannten es Bastei) von dem ins Burzenland eingefallenen Moldauer Woiwoden Peter erobert und die Besatzung, etlich 20 Personen gefangen genommen. Dies Hölzerne Wachthaus war auf dem Skt. Martinsberge, wie der jetzige Schlossberg heißt, nach Demolierung des Castells auf dem Gesprengberge und des Castells auf der Zinne erbaut worden“ (Mitteilungen des Burzenländer Sächsischen Museums, 2. Jahrgang, 1937, Heft 1-4, S. 36).

1524 hatten die Kronstädter jedoch auch auf dem Martinsberg mit einem steinernen Bau begonnen, für welchen es genaue Angaben in den Stadtrechnungen gibt, darunter auch eine über die Anzahl der verwendeten Ziegelsteine: Am 8. April 1524 wurde der Transport von 48.550 Stück mit 18 Florin und 36 Aspen verrechnet (am Ende wurden mehr als 70.000 Ziegelsteine verbaut). Die Arbeiten an der Anlage wurde vom Prior des Dominikanerklosters, Doktor Dominicus, überwacht und diese als propugnaculum, Posthey oder turris montis Martini bezeichnet (propugnaculum: Bollwerk). Das damalige Bauwerk, ein in seinem Grundriss hufeisenförmiger Turm mit 1,80 m dicken Mauern, bildet das Kernstück der heutigen Bastei, welche  später aus dem Martinsberg den Schlossberg machte. Erich Jekelius schlussfolgert aus den sich ergebenden Ungereimtheiten der Jahre und Angaben, dass es sich um zwei unterschiedliche Anlagen handelt, wobei die hölzerne eher auf dem Gesprengberg zu suchen ist.

Die Bastei auf dem Schlossberg wurde 1554 mit einer ersten Mauer umgeben, 1557 kam noch ein Turm hinzu und 1611 ein Schutzgraben. Am 17. Oktober 1618 brannte die damals „Neues Schloss“ genannte Anlage aus Nachlässigkeit des Wächters aus, 1625 wurde sie neu aufgebaut und 1630 eine neue Mauer um das Schloss gebaut. 1623 wurde der 81 Meter tiefe Brunnen im Innenhof gegraben und 1688 wurde während des sogenannten Schusteraufstandes sogar der Stadtrichter hier eingesperrt. Ihm folgten die Anführer des Aufstandes und später diente die Bastei den Kaiserlichen Offizieren als Unterkunft. Nach und nach verlor die Bastei an militärischer Bedeutung und ihre Instandhaltung wurde zu einer Last für die Stadt, also diente sie als Lager, Gefängnis und kurzzeitig wieder als Kaserne. Während der Kurutzenkriege erlangte sie wieder militärische Bedeutung und bekam 1773 durch den Anbau eines sechseckigen Gebäudes an den ursprünglichen Turm ihr heutiges Aussehen. Danach diente sie fast durchgehend – bis 1954 – als Militärgefängnis und zeitweilig auch als Zwischenarrest für politisch Verfolgte.

Die neue Geschichte

Von 1954 bis 1975 befanden sich in der Bastei lokale Bestände des Staatsarchivs. Danach begannen umfassende Bauarbeiten, welche sechs Jahre dauerten. Erneuert wurden die Dächer, die Innenräume wurden nach Untersuchung des Mauerwerks wieder auf ihre ursprüngliche Form und Größe und die gesamten Leitungen auf den damals neuesten Stand gebracht. Ebenso wurde eine Heizanlage eingebaut, Starkstrom und Kanalisation für ein Gastronomieunternehmen, welches 1981 in Betrieb ging, angelegt. Der Komplex „Cetate“, die „Burg“, war gefragt, sehr gut besucht, hatte drei Hauptsalons, einen Weinkeller und diente mehrmals als Kulisse für TV-Aufnahmen. Der Komplex war Eigentum des nationalen Tourismusunternehmens ONT und gewinnbringend. Nach 1990 blieb der weiterhin gut besuchte Komplex in Betrieb, doch die Auflösung des Unternehmens ONT und die Spaltung der Lokalfiliale in zwei Gesellschaften, Aro Palace und Postăvarul, leitete den Niedergang ein. Aro Palace erhielt zusammen mit vielen anderen Hotels und Gaststätten auch den Komplex „Cetate“ und hatte von Anfang an als Teilhaber die Treuhandgesellschaft „SIF Transilvania“, welche Gewinne auszahlen wollte und weniger an laufenden Kosten oder gar Investitionen interessiert war.

Auf diese Zeitspanne, kurz nach der „Privatisierungswelle“ Anfang der 90er Jahre, passt sehr gut eine Bemerkung von Architekt Johannes Bertleff zum Thema Bausubstanz in Kronstadt: „Es gab diese Zeit der ersten Rückerstattungen von Immobilien unterschiedlicher Größe an Privatpersonen, aber auch an Behörden, Unternehmen und Gesellschaften. Die Bauobjekte befanden sich in unterschiedlichem Zustand, doch die meisten waren vernachlässigt worden und die Bausubstanz war schon angegriffen. Den neuen Besitzern fehlte es an Mitteln, die Objekte instand zu halten, sie zu warten, wie es notwendig ist. Der Verfall setzte sich somit weiterhin fort und heute haben wir es auch mit Einstürzen zu tun.“ Bei der Bastei am Schlossberg sind viele irreparable Schäden entstanden: Die mehr als 76.000 Ziegelsteine bröckeln langsam, aber sicher und in der Außenmauer klaffen zahlreiche Löcher. Der Mauerputz ist nur stellenweise vorhanden und brüchig.

Unter diesen Umständen machte der Kreisrat Kronstadt schon vor 2010 den Vorschlag, Teilhaber zu werden, um Sanierungskosten übernehmen zu können, da die Finanzierung eines Objektes in Privatbesitz gesetzlich verboten ist. Die Verhandlungen mit dem Betreiber Aro Palace und dem Hauptbesitzer SIF Transilvania zogen sich hin, die politisch gewählte Kreisleitung war sich nicht immer einig und die guten Absichten verliefen im Sand. 2011 wurde eine Fachstudie erarbeitet, welche die Sanierungskosten auf geschätzte 3,5 Millionen Euro ansetzte, die aus europäischen Mitteln kommen sollten. Vorgesehen war eine neue Schrägbahn für leichteren Zugang, auf demselben Standort, wo es eine Anlage gegeben hat, mit welcher zeitweilig Baustoffe hinauftransportiert worden waren. In der damaligen Begründung des Projektes unterstrich der amtierende Kreisratsvorsitzende Aristotel Căncescu „die moralische Pflicht, das historische Erbe der Stadt zu bewahren“, doch zur Umsetzung des Vorhabens kam es nie.

Die am 22. Mai 2012 im Kreisrat beschlossene Assoziierung mit Aro Palace ermöglichte die ersten Mittel, von denen das wild wachsende Gestrüpp um die Bastei gerodet wurde, die einzige Arbeit, welche aus öffentlichen Mitteln auf öffentlichem Grund durchgeführt werden konnte, und im selben Zug wurde auch die Flutlichtanlage, welche die Bastei nachts anstrahlt, repariert. Bis 2015 wurden der Innenhof und die Gaststätte noch für das jährlich abgehaltene Stadtfest an Vereine vermietet, welche hier Konzerte, Aufführungen und Ritterkämpfe veranstalteten. Die Einnahmen reichten knapp, um die Kosten zu decken, von umfassenden Reparaturen war jedoch keine Rede. Um die Bastei sanieren zu können, selbst schrittweise und aus eigenen Mitteln, müsste diese wieder in Besitz der Stadt übergehen, und das verfolgte das Bürgermeisteramt 2015, als dem Betreiber und Inhaber das Tauschgeschäft „Bastei gegen Grundstücke“ vorgeschlagen wurde. Im Tausch kamen Parzellen vor dem Aro Hotel oder an anderen Standorten in Frage, doch die Forderungen des Betreibers gingen zu hoch. Als Zeichen guten Willens legte die Stadtverwaltung Alleen mit Bänken und Laternen an, baute die Zufahrtsstraße aus und führte andere Landschaftsgestaltungsarbeiten durch, während der Betreiber Aro Palace die Bastei im Jahr 2015 ganz stilllegte.

Zu diesem Zeitpunkt kündigte SIF Transilvania, der Hauptaktionär von Aro Palace, an, die Bastei verkaufen zu wollen, da diese keinen Gewinn mehr bringe. Es folgte sofort ein Angebot seitens der Stadt, die sich genauso wie der Kreisrat des Vorkaufsrechts erfreut, doch Angebot und Forderungen klafften weit auseinander. Bis Juli 2015 folgten Wertgutachten und Schätzungen, die sich auch widersprachen, weil einige Sanierungskosten einschlossen, andere nicht.  Die Stadtverwaltung entschloss sich endlich, klare Verhältnisse zu schaffen, und zog mit der Forderung vor Gericht, die Bastei aufgrund urkundlicher Belege zurückzuerlangen. Hauptbegründung waren die unklaren Übernahmebedingungen, unter welchen diese – unentgeltlich – aus staatlichem Eigentum, als sie Staatsarchiv war, in den Besitz von ONT gelangte und nach 1990 – auch unentgeltlich – von ONT an Aro Palace übertragen worden war. Die Bastei stand und steht nämlich weiterhin auf der Liste der Geschichtsbaudenkmäler von nationaler Bedeutung, was eigentlich Übertragungen von einer eingehenden Überprüfung abhängig macht. Solche Überprüfungen, begleitet von Gutachten und Zusagen der zuständigen Ministerien, in diesem Fall des Tourismus- und des Kulturministeriums, liegen jedoch nicht vor.


Mit dieser Begründung zog die Stadt ihr Angebot zurück und forderte vor Gericht die Rückerstattung der Bastei. Die Überraschung – und zwar eine böse – kam am 3. Oktober 2016, als das Gericht entschied, dass der rechtmäßige Besitzer der Bastei das Kulturministerium ist. Im selben Urteil, welches noch nicht endgültig ist, verfügte das Gericht die Überschreibung der Eigentumsrechte für den gesamten Komplex an den benannten Eigentümer. Aro Palace ging sofort in Berufung, doch der Paukenschlag kam im Dezember 2016, als völlig unerwartet gleich zwei andere Ministerien Ansprüche auf das Objekt erhoben: das Wirtschaftsministerium (MEC) am 16. Dezember und das Ministerium für Regionalentwicklung und öffentliche Verwaltung (MDRAP) am 20. Dezember. Inzwischen taute das Eis auf den kalten Mauern, andere Ziegelsteine fielen herab und die Frage bleibt weiterhin dieselbe: Wem stehen die 76.000 Ziegelsteine zu? Wenn es diese bei der Verkündung des endgültigen Urteils noch geben wird, denn der Termin am 23. März wird kaum der letzte sein.