Angstverlagerungen

Europäische Hauptstädte gibt es viele, genauer gesagt 46. Vielleicht gibt es auch eine europäische Hauptstadt der Sicherheitsdienste und wenn ja, wie heißt diese?
Parallel zu der staatlichen Präsenz von Jandarmerie und Poli]ie existiert hier in der Metropole eine atemberaubende Vielfalt unterschiedlichster Sicherheitsdienste und Einrichtungen zum Schutze von allem und jedem. Ist man in der Stadt unterwegs, fällt es einem schwer, sie nicht zu sehen. Sie verzerren in hohem Maße das Alltagsbild des Geschehens und erinnern oft an eine real gewordene Trash-Kopie amerikanischer TV-Krimiserien und an animierte Computeraction.
Mal im „Ernst“: Anaconda, Cyber, DNA, Flash, Force 1, Mission, Positive, Shelter, Scorseze, Tiger, Tysson Security etc., es hat den Anschein, man würde sich durch eine Filmstadt bewegen.

Die Liste ihrer Logos und Symbole reicht weit über die erwähnten Beispiele hinaus, scheinbar bis ins Nirwana. Selbst ein Martin Scorsese müsste sich irritiert oder gar inspiriert fragen, ob er denn einen seiner eigenen Filme verpasst hätte. Man könnte problemlos ein Alphabet der Sicherheitsdienste erstellen. Die unzähligen Unternehmen müssten wohl mehrere Casting-Durchläufe über sich ergehen lassen, um sich die fletschende Konkurrenz vom Leibe zu halten. An allen Ecken und Enden der Stadt sind sie anzutreffen. Ihre Fahrzeuge, meist Geländewagen, sind beklebt mit typografischer Propaganda, die Entschlossenheit, Macht und natürlich Sicherheit symbolisieren soll. Überwiegend handelt es sich hierbei um Wachmänner, selten Wachfrauen, jeglicher Altersschichten, die entweder ein Aufmerksamkeitsdefizit, zu viel Anabolika geschluckt oder zu viele Actionfilme konsumiert haben. Treffender scheint es wohl bei vielen, sie gehörten schon in früheren Zeiten staatlichen Sicherheitsdiensten und Apparaten an und haben nach deren Sturz lediglich einen Schritt nach ... gemacht und die Seiten gewechselt. Die Politikerriege des Landes reihte sich teils nahtlos in ähnliche Schemata mit ein.

Marktwirtschaftlich orientierte Privatisierungsprogramme wurden nach der „Revolution“ in großem Maße angeschoben, was bis heute der Fall ist. Mit den Programmen wurde auch verstärkt eine innere Panik in Gang gebracht, die den Bedarf an Sicherheit drastisch nach oben schnellen ließ, welche nun, in fortgeschrittenem Stadium, scheinbar schwer zu händeln ist. Dies hatte zur Folge, dass es zu krassen Verständigungsproblemen, in sämtlichen Bereichen, kam, was zum Teil nachvollziehbar ist, da ja alles „Neue“ bekannt-lich seine Zeit braucht. Aber anstatt sich die Vergangenheit zur Brust zu nehmen, wurden in den Sicherheitsorganen vielerorts lediglich die Uniformen ausgetauscht. Dies führte in der Öffentlichkeit, nach und nach, immer mehr zu einem Erscheinungsbild gestörter Wahrnehmungen, OVI (Optic-Visual-Impact). Die Fokussierung auf eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Sicherheitspräsenz hielt vielerorts zunehmend Einzug. Mit dem Resultat, dass deren öffentliches Erscheinungsbild nach einer gewissen Zeit verschwommen erscheint und man das Gefühl bekommt, als würden die meisten Positionen in solchen Sicherheitseinrichtungen überwiegend nur noch von eineiigen Zwillingen besetzt werden. Diese Erscheinungsbilder wiederum tragen starke Züge von Inszenierungen in sich.

Die meisten von ihnen stehen oder sitzen, platziert wie Skulpturen, vor jedem noch so bedeutenden oder unbedeutenden Gebäude oder Platz in der Stadt. Vor Autohäusern, Banken, Boutiquen, Kindergärten, Schulen, Supermärkten, Wochenmärkten, Restaurants, öffentlichen und privaten Domizilen bis hin zu Tankstellen und Toilettenhäuschen. Es passiert ja ständig etwas Schlechtes, könnte man meinen. Diese flächendeckende Ansammlung gilt natürlich auch für sämtliche Innenräume der Stadt. Und dennoch, jedes Exemplar trägt Züge eines Originals und was wäre ein Original ohne einen originellen Dreh- und Angelplatz?!

Mit ihren Firmen-Logos auf dem Rücken und den qualmenden Zigaretten als Lebenszeichen zwischen den Fingern schlagen sie physisch wie psychisch natürlich nicht nur die Zeit tot,  während die Flamme ihrer Feuerzeuge sich symbolisch zum nächsten Einsatz rettet und somit zu so etwas wie dem Licht am Ende des Tunnels wird. Ihre zusammengezogenen dunklen Brauen mit den reglosen, öligen Augen darunter unterstreichen eine pathologische Ernsthaftigkeit, die ihren Gesichtern hin und wieder die Härte und Kälte vergangener Dienstzeiten verleiht, oder an ein Wachsfigurenkabinett erinnert. Es grenzt bisweilen an eine Ironieschleife, die mutiert ist, in der sich die Sicherheitsdienste selbst überwachen, damit auch jeder ja alles mitbekommt. Die Skala des potenziellen Verbrechens und der Bedarf an präventiver Anwesenheit muss wohl derart hoch sein, dass das „wahre Verbrechen“ nun kaum noch auffällt, wobei die Überwachungspriorität in den sechs Bezirken auch hier lediglich dem altbekannten System von Macht und Geld unterliegt. Regierungsgebäuden und staatlichen Institutionen fällt das Prädikat „sehr ernst,“ „sehr wichtig,“ „sehr sicher“ zu. Klappe, und „Action“! Danach reihen sich auch schon die Unmengen von privaten Sicherheitsunternehmen in die Hierarchie ein, die sich an den bereits erwähnten Modellen einer Crime-Time-Show mit Realitätscharakter orientieren.

Gelangt man aber nun aus irgendwelchen Gründen in die Randgebiete der Bezirke, vornehmlich der südlich gelegenen, so wähnt man sich in einem zum Teil unterweltartig anmutenden Szenario, in dem sich in erster Linie jeder selbst schützen muss. Es existieren hier Viertel, in die kein Taxifahrer nach Einbruch der Dunkelheit freiwillig fahren würde, nicht einmal auf Bestellung. Wohin sich selbst Ordnungskräfte von Jandarmerie und Poli]ie nur mit einer bestimmten Anzahl von gut ausgerüsteten Beamten hineinbegeben würden. Nie-mals nur zu zweit, niemals nur mit einem Fahrzeug! Denn schließlich besteht immer die Gefahr, dass ein jeder zu jeder Zeit im Singular sowohl stark als auch schwach gebeugt werden kann.
Was wäre wenn... Ach, es würden Stunden, Tage, Jahre vergehen, bis...man sich irgendwann wirklich fragen muss, was hier eigentlich bewacht wird!?
Wie war das doch gleich noch?!
„Nur wer das Dunkel begreift, der wird seine Nächte bestehen.“ (C. G. Jung)
Bis dahin ist es aber noch...
Ich möchte nicht wissen, wie viele Sicherheitsdienste hier in Zivil unterwegs sind!