Auf dem Weg zum Plastikplaneten...

Fokus-Talk am Goethe-Institut über eines der komplexesten Umweltprobleme

Auf dem Podium: Raul Pop (Mitte), Ionuț Iordăchescu, Irina Breniuc Foto: George Dumitriu

„Ich würde nur blaue Plastiktüten zulassen.“

„Plastikmüllvermeidung“ Karikaturen: nelcartoons.de

Sind wir uns bewusst, dass Plastik ein Milliardengeschäft darstellt? Wissen wir, dass Plastik katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt hat? Erkennen wir nicht, dass sich unsere Erde langsam in einen Plastikplaneten verwandelt? Womit könnte man Plastik ersetzen? Mit diesen Fragen forderte das Bukarester Goethe-Institut Umweltinteressierte am 11. Juli zu einer Diskussion im Rahmen der Reihe Fokus-Talk heraus. Als Ansprechpartner vom Fach standen der ehemalige Staatssekretär im Umweltministerium, Gründer der Koalition für Kreislaufwirtschaft, Raul Pop, zur Verfügung, sowie Ionuț Iordăchescu von „Let‘s do it, Romania“, einer NGO, die Müllsammelaktionen mit Freiwilligen organisiert. Die Diskussion moderierte die Journalistin und Umweltaktivistin Irina Breniuc. Aktueller Aufhänger war der internationale „plastikfreie Juli“, wo Umweltaktivisten versuchen, einen ganzen Monat lang auf Plastik zu verzichten. Aber - geht das überhaupt noch, so ganz ohne Plastik?

Zuerst die schockierenden Fakten, die ein einleitender Film vermittelt: Wo Plastik aus Erdöl produziert wird, ist die Krebsrate um 20 Prozent höher. Trotz der Kenntnisse um die negativen Folgen ist die Plastikproduktion nicht rückläufig, sondern mit 14 Prozent Zuwachs sogar auf dem Vormarsch. Die schlimmsten Sünder: Einwegprodukte, Plastik-Strohhalme zum Beispiel. Könnte man nicht wenigstens darauf verzichten? Hinzu kommt: Nur neun Prozent allen Plastiks wird derzeit recycelt. Doch Recycling ist essenziell, findet Raul Pop. „In Rumänien ein delikates Thema“, fügt er an. Grund für die geringe Recycling-Rate: Es muss wirtschaftlich sein. Kein Unternehmen recycelt aus Liebe zur Umwelt. Die Kosten für das Sammeln, Sortieren, Reinigen und Wiederverwerten von Altplastik dürfen die für die Neuproduktion nicht übersteigen. Ein schwer erreichbares Ziel, denn die Plastikproduktion ist billig – spottbillig.  Darum ist es auch so schwer, Ersatz dafür zu finden. Hinzu kommt, dass Platik gegenüber anderen Materialien viele Vorteile bietet: Es ist leicht und vielseitig, seine Einsatzbreite reicht von Einwegspritzen bis hin zur Flugzeugindustrie.

Wen kümmert‘s?

Dem stehen Nachteile gegenüber, deren Auswirkung auf Gesundheit und Umwelt – auch mit entsprechenden Folgekosten, die die billige Plastikproduktion relativieren – jedoch schwer zu beziffern sind. Noch ist man weit davon entfernt, den gesamten Kreislauf betrachten zu wollen. Und wer sollte es tun? Wen interessiert‘s? Jeder Player darin definiert Rentabilität für sich, so funktioniert nun mal die Wirtschaft. Druck auf den Verzicht von Plastik kann also nur „von unten“ kommen: Von den Bürgern, die bestimmte Produkte nicht mehr kaufen, im Lebensmittelladen offene und lokale Ware bevorzugen, sich über übertriebene Verpackungen beschweren, auf Strohhalme, Einweggeschirr oder den morgendlichen Coffee-to-go im Hartschaumbecher verzichten, oder auf dem Markt den Jutebeutel zücken und die vielen Plastikbeutel energisch zurückweisen. Muss der eine Zucchini wirklich in eine Extratüte, wird er von den Tomaten in der anderen angefeindet? Muss die Semmel aus dem Brotregal im Supermarkt mit Einweghandschuhen rausgeholt werden, isst man sie denn nicht auch mit der nackten Hand? Kann der dreckige Kartoffelsack vielleicht noch als Mülltüte herhalten?

Plastik ist bereits weit in die Nahrungskette vorgedrungen. Nicht nur schwimmt im Ozean ein ganzer Plastikkontinent, Fische und Vögel fressen die transparenten Tütenfetzen. Mikroplastikpartikel, die durch Abrieb und Zersetzung entstehen, findet man inzwischen auch im Plankton. Kleinstorganismen verwechseln sie mit Nahrung und nehmen sie auf - und verhungern, denn Plastik hat keinen Nährwert. Schließlich gelangen sie über Fische auch in den menschlichen Organismus.

Es lohnt sich, das eigene Konsumverhalten zu prüfen. Worauf – sicher nicht auf alles, aber vielleicht auf immer mehr – kann man verzichten? Nicht nur der Umwelt zuliebe, sondern vor allem der eigenen Gesundheit!

Krebserregende Fastfoodbehälter

Gerade weil Plastik ein Riesengeschäft ist, kann man davon ausgehen, dass es wenig Interesse gibt, sich mehr als nötig auf die negativen Auswirkungen zu konzentrieren, Forschungen darüber zu finanzieren, sie groß publik zu machen... Wichtig ist daher für jeden Einzelnen, die verschiedenen Arten von Plastik und deren Auswirkungen zu kennen.

Aufschluss über die sieben Plastiktypen, aus dem ein Produkt bestehen kann, gibt ein kleines Dreieck, meist auf der Unterseite des Gegenstands: Darin steht entweder eine Zahl von 1 bis 7 oder die Abkürzungen PET (Polyethylenterephtalat), PE-HD (Polyethylen hoher Dichte) , PVC (Polyvinylchlorid), PE-LD (Polyethylen niedriger Dichte), PP (Polypropylen), PS (Polystyrol) und O für „other“, andere Kunststoffe. Je nach Typ ist die Auswirkung auf Umwelt, Gesundheit oder die Recycelbarkeit unterschiedlich. Pop warnt vor PS-Plastik als besonders gesundheitsschädlich, weil es bei Erhitzen krebserregende Stoffe freisetzt, die Atemwege und Nervensystem angreifen. Ist es vor dem Hintergrund dieses Wissens nicht erschreckend, dass ausgerechnet Fast-Food Behältnisse aus PS-Plastik bestehen? Auch PET-Flaschen sollte man vor Sonne schützen und keine heißen Getränke einfüllen, weil sonst Chemikalien in die Flüssigkeit gelangen können. PP-Plastik gilt zwar als gesundheitlich unbedenklich, aber stark umweltverschmutzend. O ist eine besonders inhomogene Gruppe, hierzu gehören sowohl biologisch abbaubare Kunststoffe, deren Verrottungszeit jedoch lange dauert und die deswegen in Schnellkompostanlagen oft aussortiert werden, als auch die Bisphenol-A haltigen Innenbeschichtungen von Konservendosen. Bisphenol-A greift bereits in geringen Mengen in den Hormonhaushalt ein und wird mit Krebs und Kreislauferkrankungen in Zusammenhang gebracht. Zu bevorzugen sind daher auf jeden Fall Konserven in Gläsern. PVC wiederum enthält Phtalate als Weichmacher, die als gesundheitsgefährdend gelten.

Die Crux mit dem Recycling

Weil Plastik dennoch in vielen Bereichen unverzichtbar erscheint, ist Recycling die beste Maßnahme, die Umweltbelastung so gering wie möglich zu halten. Also konsequent PET-Flaschen, Tüten und die Behälter von der Oliventheke sammeln?

„Doch wie kann man sicher gehen, das gesammeltes Plastik auch recycelt wird“, lautet eine Frage aus dem Publikum. Ein anderer Teilnehmer klagt, dass die Container für Mülltrennung aus  bestimmten Stadtbereichen verschwinden. Wohin also mit dem brav getrennten Müll?

Nur ein Prozent aller Bürger gehen überhaupt zum Container, klärt Pop auf. Und wenn flächendeckend gesammelt würde, reichten die Straßen nicht aus, um alle nötigen Container unterzubringen. Gesammelt werden müsste daher prinzipiell von zuhause, was wiederum Kosten verursacht. Eine Lösung wäre, wenn die Müllabfuhr an festen Wochentagen bestimmte Müllarten straßenzugweise einsammeln würde, was sich nur lohnt, wenn alle Bürger mitmachen. Was anzuzweifeln ist: Derzeit landen in Rumänien jährlich eine Million Tonnen Müll in der Natur, erklärt Iord²ches-cu. Hinzu kommt die geringe Bereitschaft, verschiedene Müllarten bis zum Sammeltag in der Wohnung zu horten und Dosen auszuwaschen, damit es nicht stinkt.

Ein Problem der Trenncontainer in den Straßen sei auch die hohe Kontamination mit Rückständen oder falsch sortiertem Müll. Irina Breniuc überrascht mit einer Lösung, die in Mizil bereits zum Einsatz kommt: Geschlossene, kameraüberwachte Müllsammelstellen für Wohnblocks, zugänglich nur mit Karte. Aufgrund der Kartendaten und der Aufnahmen lässt sich der Müllsünder identifizieren.  

Wölfe im Schafspelz

Thematisiert wurde auch der Konflikt, dass Umweltorganisationen ausgerechnet auf Gelder von Firmen angewiesen sind, die sich häufig als die größten „Umweltsäue“ entpuppen. Anstatt das Problem im eigenen Haus an der Wurzel zu packen, etwa durch Verringerung von Plastikverpackungen, erkauft man sich mit Geld ein gutes Image. Eine akzeptable Strategie? Hier stellt sich die Frage der Balance: Wiegt der  Beitrag des Unternehmens die eigenen Umweltsünden auf – oder begleicht er nur einen Bruchteil des angerichteten Schadens? Die Unterstützung von Bewaldungsprojekten als Gegenleistung für den nicht reduzierbaren eigenen Restausstoß an CO2 kann nur dann akzeptabel sein, wenn am Ende eine neutrale Bilanz rauskommt. Alles andere wäre scheinheiliges „Greenwashing“, kritisiert Pop.

Problematisch sind aber auch die Interessenskonflikte der am Müllsammeln beteiligten Akteure. So sollen sich die Müllabfuhren der Gemeinden gegen unabhängige PET-Sammelfirmen stark gemacht haben, mit dem Argument, dass andere den profitablen Teil des Mülls wegsammeln, sie jedoch verpflichtet seien, allen Müll zu entsorgen. Dies führte zu einem Gesetz, das seit Januar dieses Jahres gültig ist: Demzufolge sind nur noch die von den Bürgermeisterämtern beauftragten Müllunternehmen zur Abgabe von PET-Flaschen berechtigt, informiert Pop. Das Resultat könnte deutlicher nicht sein: Dieses Jahr, so Pop, wurden nur zehn Prozent der im Vorjahr recycelten PET-Menge erreicht! So erklärt sich auch, warum wieder mehr PET-Flaschen in der Landschaft liegen. Die örtliche Müllabfuhr sammelt dort nicht.

Was also tun?

Leider wurde ein großer Teil der Diskussionen darauf verschwendet, was hierzulande alles nicht funktioniert: Mülltrennung, Recycling, die Einführung eines Pfandsystems mit Clearinghouse-Komponente, so dass man die bei Kaufland erworbenen Flaschen auch bei Cora abgeben kann. Kurz angesprochen wurden erzieherische Maßnahmen zur Müllvermeidung und „Public Shaming“, etwa die Kampagne „Don‘t mess with Texas“ (doppeldeutig: „vermülle Texas nicht“ / „leg dich nicht mit dem Staat Texas an“). Der Spruch auf den Straßenschildern, darunter die Androhung des Strafmaßes, erreichte bald Kultcharakter. Dies funktioniert auch auf individueller Ebene: „Don‘t mess with Texas“ sprachen die Bürger ertappte Umweltsünder an. Oder: „Sie haben etwas verloren!“ So könnte man die weggeworfene Coladose dem Übeltäter freundlich wieder in die Hand drücken.

Eine weitere Maßnahme gegen die Vermüllung der Natur zeigt Iord²chescu auf: Illegale Müllhalden immer wieder der Gemeinde melden. In mehreren Fällen wurden diese kurz darauf beseitigt, konnte er beobachten. „Behörden wollen nur eines - Ruhe!“, bestätigt auch Pop und lobt in diesem Zusammenhang die Demons-trationen einer Bukarester NGO für saubere Luft vor dem Rathaus. Nur wenn Bürger sich beschweren oder die öffentliche Ruhe stören, meint er, tut sich  etwas!