Aufwärtstrend zum Schlechtergehen

Statistische Vergleiche belegen einen wirtschaftlichen Aufwärtstrend – doch den Bürgern geht es schlechter

Symbolfoto: sxc.hu

Eigentlich gibt es Anfang 2013 in Rumänien nur drei Verwaltungskreise, die im Vergleich zu 2008 eine Negativentwicklung bezüglich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Einwohner verzeichnet haben: Călăraşi (-8,4 Prozent), Galatz/Galaţi (-1,7 Prozent) und Bukarest (-1,5 Prozent). Ansonsten ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner der Verwaltungskreise durchwegs gestiegen. An der Spitze des Anstiegs gegenüber 2008 stehen 2013 die Verwaltungskreise Argeş (+25,1 Prozent), Karasch-Severin/Caraş-Severin (+23,6 Prozent) und Kronstadt/Braşov (+19,2 Prozent) – so zumindest die Statistikämter der Verwaltungskreise, auch wenn die gefühlten An- und Abstiege im Alltagsleben der Bürger dieser Landkreise mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas ganz anderes besagen.

Aus denselben Statistiken ist herauszulesen, dass sich eine 20-köpfige Spitzengruppe von Verwaltungskreisen herauskristallisiert hat, deren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den vergangenen vier Jahren die Zehn-Prozent-Grenze überschreitet. Das sind neben den bereits oben genannten Klassenbesten: Gorj (+19,1 Prozent), Brăila (+17,1 Prozent), Prahova (+15,8 Prozent), Giurgiu (+13,8 Prozent), Buzău (+13,2 Prozent), Mureş (+12,9 Prozent), Teleorman (+12,8 Prozent), Alba (+12,5 Prozent), Hunedoara (+12,3 Prozent), Tulcea (+11,4 Prozent), Arad (+11,3 Prozent), Ialomiţa (+11,1 Prozent), Temesch/Timiş (+11 Prozent), Dâmboviţa, Jassy/Iaşi und Sibiu/Hermannstadt (alle +10,9 Prozent) und Sălaj (+10,4 Prozent). Neun Verwaltungskreise bilden eine Art „Mittelfeld“, mit einem BIP-Wachstum zwischen 5,1 (Suceava) und 9,9 Prozent (Botoşani): Olt, Marmarosch/Maramureş, Bistritz-Nassod/Bistriţa-Năsăud, Konstanza/Constanţa, Dolj, Sathmar/Satu Mare und Vaslui. Die „Nachzügler“ des BIP-Wachstums pro Einwohner werden von Harghita (+4,6 Prozent) angeführt und umfassen in absteigender Reihenfolge Neamţ, Klausenburg/Cluj, Bihor, Ilfov, Vrancea, Bacău, Covasna, Mehedinţi und Vâlcea (+ 0,7 Prozent).

Allerdings spiegelt diese Statistik reines BIP-Wachstum wider und sagt kaum etwas absolut Relevantes über die Wirtschaftsleistung im Spiegel des BIP-Wachstums aus. Mehr noch, dieses Ranking verzerrt sogar gewisse Realitäten. Denn man kann kaum die Leistung eines Verwaltungskreises wie Bukarest (das BIP pro Bewohner in der Hauptstadt sank zwar zwischen 2008 und 2013 von 16.904 Euro auf 16.660 Euro, also um 1,5 Prozent) und dem statistischen BIP-Wachstumsspitzenreiter Argeş vergleichen – 2008 war das BIP pro Einwohner bei 7069 Euro, 2013 liegt es momentan bei 8844 Euro pro Kopf, was einem Wachstum von 25,1 Prozent entspricht – aber das ist eigentlich immer noch bloß halb so viel wie Bukarest leistet, trotz seiner Negativentwicklung von minus 1,5 Prozent. 

Wenn man die wirklich leistungsschwachen Verwaltungskreise näher betrachtet, fällt schnell auf, dass trotz Positiventwicklungen das Gefälle zwischen den entwickelten und BIP-starken Verwaltungskreisen – Bukarest, Ilfov (von 11.740 Euro/Kopf auf 12.012 Euro/Kopf) oder Temesch (von 9466 Euro/Kopf im Jahr 2008 auf 10.507 Euro/Kopf im Jahr 2013) – zu den leistungsschwachen Verwaltungskreisen – beispielsweise Schlusslicht Vaslui (von 3034 Euro pro Kopf auf 3193 Euro pro Kopf), dem vorletzten Verwaltungskreis, Botoşani (von 3344 Euro auf 3675 Euro/Kopf) oder Giurgiu (Anstieg um 13,8 Prozent, von 3498 auf 3980 Euro/Kopf) – einfach riesig ist. Da steht der Rangletzte unter den Verwaltungskreisen mit Positiventwicklung, Vâlcea (+0,7 Prozent, von 5215 auf 5250 Euro) noch glänzend da in all seiner Armut – immer gemessen an EU-Niveau. Und Vâlcea steht noch um Einiges besser, weil grundsätzlich stabiler, als der Zweitplatzierte im Ranking des BIP-Zuwachses zwischen 2008 und 2013, Karasch-Severin, wo das Bruttoinlandsprodukt von 5104 Euro auf 6307 um 23,6 Prozent gestiegen ist – und womit das Banater Bergland nun knapp den Verwaltungskreis Vâlcea überholt hat...

Anders betrachtet stellt sich die Frage, wie effizient die Sparprogramme waren, die von der Regierung Emil Boc dem Land aufgezwungen und von Präsident Traian Băsescu in der für ihn typischen unüberlegt-vorschnellen Art in den Himmel gelobt und persönlich verkündet wurden. Einerseits stimmt es: 39 von 42 Verwaltungskreisen – mit eingeschlossen die Landeshauptstadt Bukarest in ihrem Status als Verwaltungskreis – haben die Wirtschafts- und Leistungsbaisse der Krisenjahre 2008-2012 überwunden und verzeichnen Positiventwicklungen. Auch wenn diese auf teils Jammerniveau sind. Was geschehen wäre, wenn man die Ratschläge von Ökonomen befolgt hätte, die Erfahrung mit erfolgreicher Krisenbewältigung haben (Hauptrat: in Krisenzeiten muss der Staat investieren und Investitionen fördern, den Konsum ankurbeln!), darüber lässt sich nur spekulieren. Oder einfach über den Ozean in die USA schauen, wo ein wegen seiner Staatsüberschuldung praktisch als Pleitestaat anzusehendes Land sich nicht zu schade war, unvorstellbare Summen in die Wirtschaft zu schmeißen – und den Leuten geht es wirklich wieder besser.

Kann man auch von den Bürgern Rumäniens sagen, dass es ihnen nach dem mehrjährigen und aufgezwungenen Engerschnallen des Gürtels heute besser geht? Anders gefragt: kennt jemand irgendjemand, dem es mit leeren Magen besser geht als mit vollem (ausgenommen vielleicht Fakiren und Hungerkünstlern)? Denn selbst in den Verwaltungskreisen mit statistisch zweifelsfrei nachweisbarer Positiventwicklung des Bruttoinlandsprodukts  ist der in den Berechnungen belegte Aufwärtstrend am Gefühlten des Bürgers spurlos vorbeigehuscht. Umfragen bestätigen, dass die Bürger fast unisono meinen: Uns geht es heute schlechter als vor 2008. Ein Aufwärtstrend zum Schlechtergehen, so müsste man das nennen. Der Preis: Schulden gegenüber internationalen Geldgebern, die von den kommenden Generationen abzustottern sind. Oder: Rumänien hat seine künftigen Generationen zu Schuldnern verurteilt, mit dem zweifelhaften „Gewinn“, dass es seiner Bevölkerung zumindest nicht besser geht.

Einmal mehr sollte man sich als verantwortungsvoller Politiker fragen: Hätte man dieses Geld nicht nutz- und genugtuungsbringender einsetzen können?