Bewusstsein für eine notwendige Verwaltungsreform wächst

Deutsch-Französisches Seminar zeigt Parlamentariern Chancen und Risiken der Regionalisierung auf

Ob die gegenwärtige Einteilung in Regionen beibehalten wird, ist noch nicht festgelegt.

Die Kritik der Europäischen Union bezüglich der Nichtnutzung von EU-Fördermitteln hat die Regionalisierung wieder auf die Agenda der rumänischen Politiker gebracht. Während indessen die meisten Wortmeldungen prominenter und weniger prominenter Persönlichkeiten in erster Linie auf das emotionale Thema der Regionseinteilung und der Auswahl der zukünftigen Hauptstädte abzielen, luden die Botschafter Deutschlands und Frankreichs Mitte April zu einem Seminar unter dem Titel  „Regionalisierung: Deutsche und Französische Perspektiven“ in den Senat ein. Mit der Frage, ob Kronstadt oder Hermannstadt die Hauptstadt einer möglichen Region „Centru“ werden sollte oder ob man der ungarischen Minderheit eine eigene Region zugestehen muss, lassen sich zwar in der Bevölkerung Sympathiepunkte sammeln, doch schon Senatspräsident Crin Antonescu warb im ersten Redebeitrag darum, dass andere Dinge wichtiger sind. Im Verlauf der Veranstaltung analysierten dann Experten aus Deutschland und Frankreich, unter ihnen die ehemaligen Justizminister Dominique Perben (Frankreich) und Herta Däubler-Gmelin (Deutschland), die administrative Gliederung und deren Ausgestaltung in beiden Ländern. Gerade bei der technischen Einteilung der Regionen muss die wirtschaftliche Lebensfähigkeit einer jeden Region die oberste Priorität sein, so die einhellige Meinung.

Im Hinblick auf die technische Umsetzung kann ein Blick nach Frankreich vor Fehlern schützen, dies zeigte Dominique Perben in seinem Vortrag zu den Zielen und Herausforderungen der Regionalisierung. Bis in die 1980er Jahr waren die Verwaltungsstrukturen stark zentralistisch organisiert sowie strukturiert, und auch heute weisen sie noch zentralistische Charakterzüge auf –  nur sind sie mittlerweile nahezu unübersichtlich geworden. Die sogenannten NUTS-2-Regionen (NUTS: Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik), mit denen das Europäische Statistikamt arbeitet und die die Fördermittel aus der EU-Regionalpolitik zugewiesen bekommen, sind infolge des europäischen Integrationsprozesses schon 1956 entstanden. Doch tat sich die französische Regierung lange schwer mit diesem neuen Konstrukt, erst 1972 wurden sie per Gesetz zu Gebietskörperschaften erklärt und weitere elf Jahre mussten vergehen, bis ihnen 1983 Aufgaben des Zentralstaats übertragen wurden.

Heute wird in jeder der 27 Regionen ein Regionalrat gewählt, welcher wiederum einen Präsidenten wählt. Gleichzeitig ernennt der Staatspräsident einen Regionalpräfekten, der die Tätigkeit der Zentralregierung in der Region koordinieren soll. Neben den Regionen existieren wiederum 101 Départements, in denen ein Generalrat gewählt wird. Der oberste Verwaltungsbeamte ist jedoch ein von der Regierung ernannter Präfekt. Zu administrativen Zwecken sind die Départements schließlich in weitere 343 Arrondissements und diese nochmal in 4055 Kantone gegliedert. Erstere dienen der Dezentralisierung der Départementsverwaltung, zweitere in erster Linie als Wahlbezirke für den Generalrat. Beides sind im Gegensatz zu den Regionen, Départements und Gemeinden jedoch keine Selbstverwaltungseinheiten. An Gemeinden zählt das Land erstaunliche 36.600 – Deutschland kommt auf nicht einmal ein Drittel – die die unterste Ebene der Gebietskörperschaften bilden. Hier hat sich seit 1982 auch eine sogenannte „Kleine Regionalisierung“ vollzogen, denn viele Gemeinden bestehen nur aus wenigen Einwohnern und so kam es zu zahlreichen Gemeindezusammenschlüssen, um überörtliche Aufgaben effizienter verwirklichen zu können. Ihre starke historische Verankerung macht eine Gemeindereform allerdings nahezu unmöglich. So ist es auch wenig verwunderlich, dass bisher stets nur neue Verwaltungsebenen geschaffen wurden.

Erschwerend zu diesem unübersichtlichen Aufbau – natürlich gibt es auch Ausnahmen und Sonderregelungen – kommt hinzu, dass die verschiedenen gebietskörperschaftlichen Ebenen nicht hierarchisch angeordnet sind, sondern nebeneinander existieren und darüber hinaus die Regionen lange Zeit mit einer schwachen Ausgestaltung ihres Aufgabenbereiches zu kämpfen hatten. Erst durch die Hilfe der Europäischen Union konnten sie langsam ihr Profil schärfen.
Anlass für die dieser Monate in Rumänien anstehende Verwaltungsreform ist insbesondere die Unfähigkeiten des Zentralstaats, EU-Fördergelder abzurufen. Die Finanzhilfen im Rahmen der EU-Regionalpolitik, die als Instrument der Investitionspolitik bestehende wirtschaftliche, soziale und territoriale Unterschiede verringern sollen, werden bisher kaum genutzt. Von den für den Zeitraum 2007 bis 2013 Rumänien zustehenden 19,2 Milliarden Euro aus diversen Fonds hat das Land mit Stand vom Januar 2013 gerade einmal 14,7 Prozent abgerufen. Das ist die schlechteste Quote aller EU-Staaten. Die Spitzenreiter, zu denen auch Deutschland gehört, absorbieren etwa die Hälfte der ihnen aus den Strukturfonds zustehenden Gelder. Auch ist Berlin nicht für die Programmplanung und Verwaltung zuständig. Diese Aufgaben übernehmen die Bundesländer, die wie beispielsweise Thüringen eine einzelne NUTS-2-Region bilden, oder, wie bei Bayern, bis zu sieben beherbergen. In Rumänien hingegen sind die verschiedenen Ministerien in Bukarest für das ganze Land verantwortlich.

Nicht vergessen werden sollte jedoch auch, dass die Strukturfonds nach dem Prinzip der Kofinanzierung funktionieren. Das bedeutet, dass stets auch öffentliche Mittel zur Umsetzung von Projekten beigesteuert werden müssen, was gerade hochverschuldete Länder oft nicht realisieren können. Um diesem Problem zu begegnen, hatten das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Dezember 2011 beschlossen, dass Rumänien sowie fünf weitere EU-Staaten den nationalen Finanzierungsbeitrag vorübergehend auf bis zu 5 Prozent der Programmkosten absenken können (vorher auf maximal 15 Prozent).
Als Grundlage für die Neustrukturierung in Rumänien dienen die im Zuge des EU-Beitritts geschaffenen acht Planungsregionen. Vor zehn Jahren waren sie lediglich ein Konstrukt zur Erfüllung der Beitrittskriterien, mit realen Kompetenzen wurden sie nicht ausgestattet. Dabei war das Fenster für eine Neuordnung sehr wohl offen, Befindlichkeiten in den Kreisen – die auch heute wieder erkennbar sind – und die Überzeugung, dass in erster Linie die Wirtschaftsmetropolen gestärkt werden müssen, haben dies jedoch verhindert. Die Konzentration auf die Förderung von Wirtschaftsmetropolen hat indes nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht. Statt einer Abstrahlung der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Umland sind die Unterschiede zwischen einzelnen Kreisen und Regionen vielmehr noch angewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist zwar im ganzen Land gestiegen, doch sehr ungleichmäßig. Zwischen der reichsten Region (West bzw. Bukarest/Ilfov) und der ärmsten (Nordost), ist die Ungleichheit heute deutlich größer als vor 15 Jahren.

Neben einer ausgeglichenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen den neuen Regionen wird sich der Erfolg der Verwaltungsreform auch in der Kompetenzverteilung entscheiden. Die Zuständigkeiten müssen nach dem Subsidiaritätsprinzip auf die richtige Ebene verteilt werden. Sie dürfen sich dabei zwischen den einzelnen Ebenen nicht überschneiden und dem Bürger wie auch den Unternehmen muss klar ersichtlich werden, wer welche Aufgaben zu erfüllen hat. Dabei reicht es freilich nicht aus, dass nur der Zentralstaat Kompetenzen an die Regionen abgibt, gleichzeitig müssen sie auch von den Kreisen, Munizipien, Städten und Kommunen nach oben abgegeben werden. Und ganz besonders wichtig, so betonte es die ehemalige Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland, Herta Däubler-Gmelin, ist das verfassungsmäßige Festschreiben der Zuteilung von Finanzmitteln sowie eine mögliche Steuererhebung – denn bekanntlich hört beim Geld die Freundschaft auf.

Eine Verwaltungsreform ist jedoch nur der halbe Weg, wie es auch in der anschließenden Diskussion anklang. Denn eine territoriale Neugliederung, möglicherweise mit Regionalparlamenten, macht auch eine Verfassungsreform erforderlich. In dieser müssen dann allen voran die Aufgaben des Senats neu geregelt werden, wurde besonders betont. Derzeit überschneiden sich dessen Kompetenzen mit denen der Abgeordnetenkammer. In einer Länderkammer, beispielsweise nach bundesdeutschem Vorbild, hätten die Regionen eine starke Vertretung in der Hauptstadt.
Auch eine Vertretung in Brüssel wäre ihnen zu wünschen. Allein die Planungsregion Centru hatte im Rahmen der Partnerschaft mit dem deutschen Bundesland Brandenburg für 16 Monate ein Regionalbüro in deren Brüsseler Räumlichkeiten. Als abschließende Referentin betrachtete die Partnerschaftsbeauftragte des Landes Brandenburg für die Region Centru, Dr. Birgit Schliewenz, diese seit über zehn Jahren bestehende Kooperation, die auch als Modell zwischen anderen EU-Regionen dienen kann. Das attestierte auch Dirk Ahner, der ehemalige Generaldirektor für Regionalpolitik der Europäischen Kommission, so Schlie-wenz.