Buenos Aires-Bukarest-Düsseldorf

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Als ich drei war, lebte ich in Rumänien und beim Betrachten der Erdkugel war ich fest überzeugt, dass die Menschen in Australien oder Argentinien mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben durch die Gegend laufen, und das fand ich ganz prima. Wie gerne hätte ich auch dort gelebt!

Mit der Zeit wird man aber leider immer realistischer und als ich kürzlich Buenos Aires besuchte, musste ich endgültig zugeben, dass ich einem Trugschluss erlegen war, und es überall auf der Welt gleich aussieht. Oder mindestens zum Teil. Es mag zwar stimmen, dass die Argentinier, genauso wie wir Europäer, auf eine furchtbar monotone Art mit den Beinen nach unten auf dem Boden stehen, dafür üben sich jedoch bei ihnen wenigstens die Jahreszeiten im Kopfstand, und jetzt wenn wir hier Sommer haben, ist in Buenos Aires Winter.

Ich war ganz hingerissen von den weiten Straßen und den Parkanlangen der südamerikanischen Metropole und fühlte mich dort schon fast wie in der alten Heimat, denn die Gehwege waren immer wieder schwer beschädigt, wie in Bukarest oder Temeswar. Aber das war mir völlig egal, denn Stolpergefahr war in der argentinischen Metropole für mich ausgeschlossen. Am Rio de la Plata war ich derart glücklich, dass ich auf der Straße nicht lief, sondern förmlich schwebte.

Die Menschen waren allseits offen und immer zu einem Schwätzchen aufgelegt, und das dem Rumänischen so ähnliche Spanisch klang quicklebendig und wie süßer Honig in meinen Ohren. Como le va, señor? Todo bien? Und ja, nur noch in Bukarest habe ich so viele schöne Frauen pro Quadratmeter wie in Buenos Aires gesehen, und alle lächelten sie wie in Bukarest, enigmatisch. An sie wird Jorge Luis Borges wohl gedacht haben, als er schrieb: Die Schönheit ist ein Geheimnis, das weder die Psychologie noch die Rhetorik zu entziffern vermögen.

Im magischen Boheme-Viertel Palermo viejo verbrachte der große Schriftsteller seine Kindheit, zwischen 1901 und 1914. Emigranten aus Polen, Armenien, der Ukraine, Spanien, Italien oder Deutschland siedelten sich zu jener Zeit dort an. Ihre Söhne leben auch heute noch dort, und ein internationales, babylonisches Flair prägt die unzähligen Lokale. In dem Café mit dem wunderbaren Namen Utopia wurde mir der Espresso von Rainer Hintze serviert, dessen Vater in den 40ern von Hamburg nach Buenos Aires gekommen war, mit leeren Taschen, genau so wie ich in den 70ern von Temeswar nach Düsseldorf. „Schlaf gut!“, sagte Rainer zu mir und lachte. Es seien die einzigen deutschen Wörter, die er beherrsche, erklärte er mir auf Spanisch, sein Vater habe sie früher immer vor dem Zubettgehen zu ihm gesagt.

In der Buchhandlung Eterna cadencia/Ewige Kadenz an der Calle Honduras traf ich etwas später plötzlich meine Landsmännin Herta Müller, die entspannt auf einem Büchertisch lag, zwischen Tschechow und Kafka. El hombre es un gran faisan en el mundo, behauptete sie in ihrem Romantitel. Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt.
Genau. Und außerdem ist die Welt auch noch erstaunlich klein, und wir stehen einander näher als wir ahnen.