Chronik eines erneuten Kommunikationsdesasters

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Schon eine falsche Interpretation einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim bundesdeutschen Robert-Koch-Institut (RKI) zum Impfstoff von AstraZeneca führte im Februar zu einem PR-Desaster und schließlich seiner ersten Deklassierung als minderwertig. Laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov hält sogar eine Mehrheit der Menschen in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien das Vakzin für unsicher.

Ende Januar hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) beim RKI empfohlen, den Impfstoff nur Menschen unter 65 Jahren zu injizieren. Allerdings nicht, weil das Vakzin bei Senioren nicht wirkte, vielmehr hatten die Forscher der Universität Oxford sich in der dritten Phase ihrer klinischen Studien auf jüngere Menschen konzentriert und dementsprechend zu wenige ältere Personen rekrutiert: „Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren liegen bisher keine ausreichenden Daten vor“, heißt es in der entsprechenden Stellungnahme der STIKO. Im „Handelsblatt“ etwa wurde daraus allerdings: „Das Vakzin von Astra-Zeneca hat bei Senioren offenbar nur eine Wirksamkeit von acht Prozent“. Diese „acht Prozent“ bezogen sich jedoch auf den Anteil von über 65-Jährigen in der Oxford-Studie, der eben zu gering war, um überhaupt eine Aussage über die Wirkung in dieser Altersgruppe zu treffen.

Anfang März haben sich nun zwei weitere Ereignisse zu einem noch größeren Kommunikationsdesaster verbunden. Aufgrund eines Todesfalls in Österreich wurde in der Alpenrepublik die Verimpfung einer Charge des AstraZeneca-Impfstoffs ausgesetzt. Eine Krankenpflegerin starb infolge von Gerinnungsstörungen, eine Kollegin erlitt eine Lungenembolie. „Aktuell gibt es noch keinen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung“, hieß es zunächst vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Zum Ende derselben Woche verkündete dann Dänemark eine zwei Wochen andauernde Aussetzung der Impfungen mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Unternehmens. Die nationale Gesundheitsbehörde begründete diesen Schritt mit einem Todesfall im eigenen Land sowie Berichten über schwere Fälle von Blutgerinnseln aus anderen Ländern, verwies allerdings zugleich auf den Umstand, dass die verstorbene Person ebenfalls mit einem Präparat aus der Charge geimpft wurde, welche auch die beiden Frauen in Österreich bekommen hatten. In der Folge setzten weitere Staaten die Impfungen aus.

Unglücklich war in diesem Fall schon die erste Meldung des BASG. Dieses suggerierte nämlich in der Überschrift zur Meldung zum Todesfall in Österreich eine Kausalität, die in der Meldung selbst dann verneint wurde: „Zwischenfälle nach Impfung mit Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca“. Nach einem Absatz über die Nebenwirkungen bei den beiden Frauen hieß es: „Aktuell gibt es noch keinen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung.“ Dieser wurde erst zwei Wochen später bestätigt.

Das BASG erklärte also die Aussetzung der Impfung einer bestimmten AstraZeneca-Charge (Transparenz), ließ dabei allerdings (möglicherweise zwangsläufig) großen Raum für Spekulationen und Fehlinterpretationen. Über die folgenden Tage wurden aus den erwähnten „schweren Gerinnungsstörungen“ und „thrombotischen Ereignissen“ von boulevardesken sowie auch seriösen Medien zumeist Vergleiche zwischen Thrombosen – die allerdings ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen und in verschiedensten Gefäßen auftreten können – und dem allgemeinen Thromboserisiko bei Nutzung der Verhütungspille gezogen. Die Idee: Frauen werden wissentlich dem Thromboserisiko ausgesetzt, aber Männern sei dies nicht zumutbar.

Was diese „amüsanten“ Vergleiche allerdings ausblendeten: Bei den besprochenen Fällen handelte es sich um eine sehr seltene Hirnvenenthrombose in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen. Und diese seien eben so selten, dass das Robert-Koch-Institut von einer „auffälligen Häufung“ sprach. Diese Information veröffentlicht das Institut gleichwohl erst einige Tage später. Nun ist es natürlich immer noch korrekt, dass Hirnvenenthrombose auch eine sehr seltene Nebenwirkung der Verhütungspille sind, doch in der Patienteninformation zum Impfstoff von AstraZeneca sind diese eben gerade nicht als Nebenwirkungen aufgeführt.

Dass in der Bundesrepublik – anders als in Dänemark – die Impfungen mit dem AstraZeneca-Präparat nicht bereits am 12. März, sondern erst am 15. März ausgesetzt wurden, erklärt das Gesundheitsministerium mit weiteren gemeldeten Fällen in Deutschland: „Insgesamt gibt es jetzt acht Fälle im Zusammenhang mit AZ-Impfungen, drei davon sind tödlich verlaufen. Trotz der hohen Zahl an Impfungen mit AZ (insgesamt 1,6 Mio) ist das überdurchschnittlich viel.“

Das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel kam zu dem Schluss, „dass die beobachteten Fälle mit der Impfung zusammenhängen könnten.“ Und „selbst wenn entschieden wird, trotz der Warnungen weiter zu impfen, müssen erst die impfenden Ärztinnen und Ärzte informiert sowie die Impflinge selbst über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Der Staat hat bei empfohlenen Impfungen besondere Sorgfaltspflichten“, erklärt das Gesundheitsministerium. In Rumänien hatte der Nationale Koordinierungsausschusses für Impfaktivitäten gegen Covid-19 (CNCAV) sowie die weiteren zuständigen Stellen entschieden, dass die Vorteile des AstraZeneca-Vakzins die bekannten Risiken überwiegen.

Was ist nun die Quintessenz des erneuten Kommunikationsdesasters um den AstraZeneca-Impfstoff? Ist Transparenz schon notwendig, wenn überhaupt noch nicht genügend Informationen vorliegen, oder ist Transparenz gerade dann wichtig, benötigt allerdings auch die entsprechenden Einordnungen der Verantwortlichen? Was, wenn seriöse Medien Informationen (bewusst) falsch interpretieren – egal, ob nun für die „gute“ oder „schlechte“ Sache?

Die Europäische Arzneimittelagentur hat unterdessen entschieden, dass der AstraZeneca-Impfstoff in der Europäischen Union zugelassen bleibt, da der Nutzen größer als die möglichen Risiken sei. Allerdings soll das Präparat einen Warnhinweis zum Risiko sehr seltener Fälle einer disseminierten intravasalen Koagulopathie oder zerebraler Sinusthrombosen erhalten. Ein generell erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse konnte die EU-Agentur gleichwohl nicht ausmachen.