Das Sommerloch

Mit allergrößter Zuverlässigkeit, obwohl es sich durch nichts vorankündigt, schlägt es jedes Jahr aufs Neue zu: das Sommerloch. Die Zeit, in der absolut nichts passiert, weil alle wichtigen Leute in Urlaub sind. Wo keine Eilverordnungen erlassen werden, keine Wirtschafts- oder Erdbebenprognosen für Angst und Schrecken sorgen, wo niemand geehrt oder verhaftet wird, ja, selbst die Korruption scheint im Sommerurlaub zu sein. Eine Zeit, in der man eigentlich gar keine Zeitung machen sollte. Weil man nämlich Tag für Tag zittern muss, ein Blatt könnte leer bleiben: „Heute wegen Ereignismangel geschlossen!“ Nur, dass die Leute ausgerechnet jetzt Zeit zum Zeitunglesen haben - sei es unterm Sonnenschirm am Strand, vielleicht aber auch nur auf dem endlich freien Sitzplatz in Bus oder U-Bahn, weil die überschüssigen Fahrgäste in Urlaub sind. Vergeblich hebt man sich die mäßig interessanten Interviewpartner und Recherchethemen, die der sonstigen Hektik wegen ständig hinten anstehen mussten, für das Sommerloch auf. Denn jetzt, wo man endlich mal Zeit hätte, antwortet keiner am Telefon und die E-Mail generiert ein Automat: „Bin derzeit in Urlaub, eingehende Nachrichten werden nicht bearbeitet.“ Fehlt noch ein ironisches „Versuchen Sie es doch später wieder, am besten in der Vorweihnachtszeit.“

Ja, ja, die Vorweihnachtszeit... Da jagt dann ein Event wieder das andere und so mancher Veranstalter ist enttäuscht, weil man trotz persönlicher Einladung nicht gekommen ist. Man kann sich halt nach derzeitigem Stand der Wissenschaft noch nicht vierteilen. Zumindest nicht als makroskopischer Körper, der den Gesetzen der klassischen Physik unterliegt. Die „stade Zeit“ vor der stillen Nacht ist jedenfalls alles andere als das. Man würde sie gerne ein wenig gleichmäßiger über das Jahr verteilen. Könnten wir nicht die Vorweihnachtszeit aus Gründen einer gleichmäßigeren Auslastung in den Hochsommer verlegen? Statt Lebkuchen und Glühwein am Christkindlmarkt serviert der Weihnachtsmann dann in roten Badehosen mit weißem Fellrand grinsend Smoothies mit Punschgeschmack am Rand eines Pools! Man wird ja wohl noch träumen dürfen...
Die Praxis sieht anders aus: Heute kam nichts rein für die Seite, die ich wegen Urlaubsvertretung an der Backe hatte. Gestern auch nicht. Warten, schwitzen, improvisieren. Brandmails an die Redaktionen schreiben. Das Sommerloch antwortet mit Schweigen. Wozu man sich News-Agenturen hält? Damit sie einen von Herbst bis Frühling mit Auslandsnachrichten überfluten, die allenfalls als Füllmaterial gut sind. Im Hochsommer vertrocknet auch dieser Strom: nur alle paar Tage ein Tropfen.
Ziemlich einsam derzeit auf dem Flur der Bukarester Redaktion. Nur das Sommerloch leistet uns stumm und gähnend Gesellschaft. Womit man die Seite wohl heute füllen soll? Ja, sapperlott nochmal, man kann doch nichts über nichts schreiben!
Oder doch? Boah - was für eine geniale Idee! Hier, bitteschön.