Das versunkene Dorf Geamăna

Eine Umweltkatastrophe wird zur Touristenattraktion

Das Leben geht in Geamăna weiter – von den einstigen rund 400 Familien leben hier heute nur noch elf. Die wenigen verbliebenen Bewohner züchten ihre Tiere am Rande des Schlammteichs.

Die Kronen der abgestorbenen Bäume stecken für die Ewigkeit im sumpfigen Teich. Ein dickes, schwarzes Rohr schlängelt sich das Ufer entlang und führt in den See: Ab und zu bekommt der Teich dadurch Kalk, der ins Wasser gespült wird, um die toxischen Elemente des Tailings zu neutralisieren.

Die Rückstände von Roşia Poeni sind in den letzten 40 Jahren ins Tal, wo einst das Dorf Geamăna stand, geleitet worden. Millionen Tonnen Tailing formten hier einen giftigen Schlammsee.
Fotos: die Verfasserin

Die Geschichte könnte sich wiederholen. Aus der Umweltkatastrophe in Geamăna im Westgebirge/Munţii Apuseni haben wohl wenige etwas gelernt. Regierungschef Mihai Tudose plant, eigenen Angaben zufolge, den Vorschlag der Vorgängerregierung bezüglich der Aufnahme des Bergbaugebiets Goldbach/Roşia Montană auf die vorläufige Liste Rumäniens für das Welterbe der UNESCO zurückzuziehen. Laut Tudose könne Rumänien vor Ort keinen Abbau der eigenen Erzvorkommen planen, solange das Gebiet auf einer Liste von Vorschlägen betreffend das Weltkultur- oder -naturerbe der UNESCO steht. Bezüglich der Klage des kanadischen Bergbauunternehmens Gabriel Resources vor einem privaten Schiedsgericht der Weltbank sowie der Entschädigungsforderung der Kanadier in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar äußerte der Premier seine Überzeugung, dass Rumänien bei der im Herbst 2019 anstehenden Anhörung vor dem Schiedsgericht nicht unterliegen werde. (die ADZ berichtete)

Das Antragsverfahren für das Aufnehmen von Goldbach in das UNESCO-Welterbe hat 2011 begonnen, doch konkret wurden die Unterlagen im Dezember 2016 eingereicht. Umweltschutzvereine sind der Meinung, dass die Regierung zu einem Kompromiss mit der Gesellschaft „Gabriel Resources” kommen möchte, nachdem die kanadische Gesellschaft 4,4 Milliarden Dollar Entschädigung verlangt hat. Das Projekt zum Goldabbau der kanadischen Bergbaufirma Gabriel Resources, Hauptgesellschafter der Roşia Montană Gold Corporation (RMGC), sah vor, rund um das Bergbaustädtchen den größten Goldtagebau Europas zu eröffnen. Umweltschützer befürchten desaströse Umweltschäden, denn bei der Ausflockung des Goldes aus dem Muttergestein soll Zyanid verwendet werden. Zudem sollen auch Dörfer auf dem betroffenen Gelände, nach dem Modell von Geamăna, umgesiedelt werden, denn das mit Zyanid durchsetzte Taubgestein soll, durch Dämme gesichert, in Tälern abgelagert werden.

Bis dahin rückt aber die Geschichte und das desaströse Schicksal des Dorfes Geamăna immer wieder in den Vordergrund. Das im giftigen Schlamm versunkene Dorf wurde in den letzten Jahren zu einer Touristenattraktion.
Die Landstraße ist schmal und führt durch den Wald. Man hat nahezu den Eindruck, man habe sich verlaufen. Dieser Weg führt wahrscheinlich ins Nirgendwo. Und doch: Nach mehreren Kilometern hört man am Rande der Straße ein Geräusch, als würde hier ein Wasserfall rauschen. Das Auto hält an. Die Passagiere steigen aus und bemerken, dass von einem dicken Rohr eine graue Substanz mit großer Kraft ausgespuckt wird. Die Baumstämme und die Pflanzen in unmittelbarer Nähe sind grau. Ohne Pause spuckt der Wasserstrahl ähnliche Substanzen aus. Das Dorf muss hier in der Nähe sein, denken sich die Leute, die dann schnell wieder ins Auto steigen und losfahren. Bloß wenige Kilometer weiter bekommt man, vom Waldweg aus, eine unfassbare Ansicht: Durch die festen, diesmal grünen Blätter der Bäume am Straßenrand kann man einen Teich erblicken – einen zweifarbigen Teich.

Der orange-rote Wasserspiegel trifft an einer verschwommenen Grenze auf einen grauen, zementähnlichen Schlamm. Die Besucher verstummen. Diesen Ort gibt es wirklich. Bilder im Internet und in den Medien haben doch die Wahrheit wiedergegeben. Die Neugier wächst. „Lass uns wieder ins Auto steigen“, ruft eine Stimme. Das Fahrzeug fährt los. Nach wenigen Kilometern kommt man in der Gemeinde Lupşa an – beim ersten Anblick, ein ruhiges Dorf. Hie und da hört man einen Hund bellen; einige fleißige Hennen verkünden stolz, dass sie gerade frische Eier gelegt haben; Kuhglocken bimmeln in der Ferne und einige Pferde wiehern unweit der Straße. Doch nicht das ist der Anziehungspunkt der Gegend. Wenn Autos in die Ortschaft hineinfahren und Dorfbewohner vor ihren Häusern stehen, dann wissen sie, was sie zu antworten haben, noch bevor die Frage gestellt wird: „Zur versunkenen Kirche fahren sie geradeaus. Die Kirche ist linker Hand zu sehen“. Der Name des Dorfes ist bereits vielen bekannt – Geamăna, das Dorf im Verwaltungskreis Alba, im Westgebirge, zieht Touristen aus dem In- und Ausland wie ein Magnet an.

Noch bevor man den sogenannten „See“ erblicken kann, führt die Dorfstraße an einer neuen Kirche vorbei – auf einem Hügel, rechter Hand – sowie an Häusern, an deren Fassaden sich die Dorfbewohner nicht mehr bemüht haben, einen Verputz anzubringen. In einem Garten ist gerade eine Frau zu beobachten – sie sammelt die vom Baum gefallenen Pflaumen in einem Plastikeimer ein. In der Ferne kann man eine andere etwas ältere Frau beim Heumachen erblicken. So viel. Sonst nur jede Menge Stille. Im Hintergrund dieser Landschaft, der zweifarbige See. Abgesehen von den wenigen Geräuschen sieht alles wie ein altes Gemälde aus, wobei mitten im Bild die alte Kirche mit ihrem Turm thront.

Die Frau im Garten kommt froh den Besuchern entgegen. Das Fahrzeug mit Fahrrädern im Träger oben auf der Haube hat wohl ihre Aufmerksamkeit erweckt. „Sie sind gekommen, um die versunkene Kirche zu sehen, nicht wahr?“ fragt sie. „Bald wird nicht einmal ihr Turm mehr zu sehen sein“, fügt sie hinzu, mit etwas Bedauern in der Stimme, so als würde es ihr leid tun, dass dann niemand mehr zu Besuch kommen werde. „So wie diese Kirche sind wir auch“, sagt sie weiter und weist darauf hin, dass sie, die gebliebenen Dorfbewohner, genau-so wie die versunkene Kirche, im Laufe der Jahre zu Zeugen der Umweltkatastrophe geworden sind. Die Frau Mitte 50 hat sich vor Jahrzehnten, als das Schicksal ihres Heimatdorfes schon besiegelt war, entschieden, vor Ort zu bleiben und musste im Laufe der Jahre sehen, wie Zentimeter für Zentimeter des malerischen Taldorfes unter dem Schlamm verschwunden ist. Zu-erst waren es Gassen und Gärten, dann die Häuser und der Friedhof.

Von der einstigen Ortschaft sind heute allein einzelne Dächer der Häuser, die auf den Hügeln gebaut waren, und die Kirche noch zu sehen. „Meine Großeltern und Verwandten waren am Friedhof begraben – alles ist inzwischen im Schlamm versunken“, sagt die Frau. Ihre Familie musste vor mehreren Jahren ein neues Haus, etwas höher auf dem Berg, bauen. Viele ihrer Bekannten, Freunde und Verwandten zogen für immer fort. Sie aber, genauso wie die wenigen alten Dorfbewohner, blieb zurück, um die Katastrophe zu beobachten. Das Wasser, das sie trinkt, könnte verseucht sein, das gibt sie zu. „Doch was kann man machen?“ fragt sie resigniert. Die Bürger haben sich neue Brunnen gebohrt und neue Gemüsegärten angelegt. Dass die giftigen Substanzen tief in den Boden gedrungen sind, darüber machen sich die Frau und die anderen Dorfbewohner wohl keine Gedanken. „Für jeden Mensch ist das Schicksal vorbestimmt. Das ist unseres“, sagt die Frau mit bitterer Stimme. Dann kehrt sie zurück zu ihren Pflaumen im Eimer.

Das Gespräch hat auch Petre mitbekommen. Der grauhaarige Mann hält ein Auge auf seine Kühe auf der Weide, bloß wenige Meter vom Rand des Schlammteichs entfernt. Er habe sich auch für sein Schicksal in Geam²na entschieden. Seine Erinnerungen an Schule und Kindheit im Dorf sind noch wach, auch wenn sich über all diese Sachen eine dicke Schlammschicht gelegt hat. „Jedes Jahr komme ich an das Ufer des Sees und stecke einen Stock rein, dann beobachte ich während des Jahres, wie er im Laufe der Monate Zentimeter für Zentimeter versinkt“, erzählt der Mann. „Wenn der Schlamm das Dach der Kirche erreicht. Dann hören sie mit dem Schlammausschütten auf“, ließ er sich sagen und das erzählt er auch stolz weiter. „Es ist nicht mehr lange, bis das passiert“, setzt der Mann fort. Aus dem bereits über 130 Hektar großen Schlamm-teich  ragen nun mehrere solche Stöcke sowie zahlreiche abgestorbene Baumkronen. Kein Vogel fliegt über dem See. Es sieht so aus, als wäre die Zeit hier erstarrt.

Während er sich mit den Besuchern aus dem Verwaltungskreis Temesch unterhält, kommt ein anderes Auto vorbei, diesmal mit Kennzeichen aus Jassy/Iaşi. Sie holen ihre Kameras raus und schon beginnen sie zu fotografieren. „Wir sind zur Touristenattraktion geworden“, scherzt Petre  bitter. Und als man sich vom „Seeufer“ entfernt, ins Auto steigt und sich wieder auf den Weg machen will, kommen noch zwei weitere Autos aus der Ferne langsam die Dorfstraße entlang gefahren. Peter hat recht. Die Touristenattraktion Geamăna ist ein Ort für sich.  Das Tal im Westgebirge wird bereits seit 40 Jahren mit giftigem Schlamm gefüllt. Der kommunistische Präsident Rumäniens, Nicolae Ceauşescu, entschied Ende der 70er Jahre, in der Nachbarschaft des Dorfes, bei Roşia Poeni, eine Kupfermine in Betrieb zu nehmen. Die Mine enthält das größte Kupfervorkommen Rumäniens. Für die Kupfergewinnung wird das abgebaute Kupfererz fein gemahlen und die Kupfermineralien werden mit Luft und Zusatzstoffen gewaschen und dann abgeleitet – dieser Stoff wird „Tailing“ genannt. Dieses wird meistens im Umfeld der Minen in Becken oder Schlammteichen gelagert.

Tiefer im Tal hat das sumpfige Wasser eine rötliche Farbe – alle Rückstände, die vom Kupferabbau stammen, werden hierher gespült. Ein dickes, schwarzes Rohr schlängelt sich das Ufer entlang und führt in den See: Horcht man genau, so kann man das darin fließende Tailing, mit Kalk vermischt, hören. Ab und zu bekommt der Teich dadurch auch eine weiße Farbe. Der Kalk, der manchmal ins Wasser gespült wird, soll die toxischen Elemente des Tailings neutralisieren. In den letzten Jahrzehnten ist das Dorf unter knapp über 40 Millionen Tonnen Tailing versunken. Die Aufnahmekapazität: 103 Millionen Tonnen Schlamm können hier gelagert werden. In der Mine wird allerdings nur noch an einer einzigen Produktionslinie gearbeitet. In Geamăna lebten in den 70er Jahren an die 1000 Menschen in etwa 400 Familien. Die meisten sind vor dem giftigen Schlammsee im Laufe der Jahre geflohen. Heute sind im Dorf nur noch elf Familien zu Hause.