Das Wahlrecht ist kein Spielball der Regierung

Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht

Symbolbild: wikimedia commons

Ein Blick auf die politische Landkarte nach den Kommunalwahlen genügt: Viele Kreise sind fest in der Hand der USL. Ein paar Ausreißer gibt es für den Ungarnverband (UDMR) und die PDL. Natürlich dürfen Kommunalwahlen und nationale Parlamentswahlen nicht in einen Topf geworfen werden, aber ein solches Wahlergebnis bei geltendem Mehrheitswahlrecht, wie es vor Kurzem vom Parlament gebilligt wurde, hätte der USL eine unangefochtene Mehrheit im Parlament verschafft. Einige Nichtregierungsorganisationen haben deshalb schon Anfang Mai die Gesetzesinitiative der neuen Regierung scharf kritisiert. In einem offenen Brief fordert beispielsweise das Zentrum für unabhängigen Journalismus (CJI) die Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien auf, den Gesetzgebungsprozess zu stoppen. Die Journalisten befürchten, dass eine Wahl des Parlaments nach dem Mehrheitswahlrecht den Pluralismus im Parteiensystem gefährde und kritisieren, dass viele abgegebene Stimmen nicht in Parlamentsmandate übertragen würden. Ein Zweiparteiensystem könnte die Folge sein.

In der Tat hat schon der französische Politikwissenschaftler Maurice Duverger in den 1950er Jahren festgestellt, dass ein Mehrheitswahlprinzip zu einem Zweiparteiensystem neigt. Die Politikwissenschaft hat diese Behauptung in der Zwischenzeit zwar weitgehend revidiert, nichtsdestotrotz ist man sich einig, dass es kleine Parteien bei geltendem Mehrheitswahlrecht schwerer haben, da unter normalen Umständen eines der großen Lager den Wahlkreis für sich entscheidet und danach die Mandate des gesamten Kreises zugesprochen bekommt. Lediglich regional stark verwurzelte Parteien, wie der Ungarnverband, dürften sich gegenüber der großen Machtblöcke USL und PDL auf Dauer im Parlament behaupten können. Ob sich die UNPR mit der Zustimmung zum Gesetz nicht ins eigene Fleisch geschnitten hat, wird sich erst bei der nächsten Parlamentswahl zeigen. Die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde hat womöglich über die Schwierigkeit hinweggetäuscht, in einem Wahlkreis die Mehrheit zu erringen. Ein Blick auf jene Länder, die aktuell nach dem Mehrheitsprinzip wählen (z. B. USA, Großbritannien und Frankreich), zeigt, dass konservative Parteien auf der einen und sozialdemokratische Parteien auf der anderen Seite das politische Geschehen dominieren, wenn nicht sogar ein Zweiparteiensystem vorherrscht.

Das weitere bekannte Problem eines Mehrheitswahlsystems behandelt den mehrheitsbildenen Effekt. So kann ein kleiner Stimmenvorteil auf nationaler Ebene zu einer überdeutlichen Mandatsmehrheit im Parlament werden. In Großbritannien führte dieser Effekt im Jahr 2005 sogar dazu, dass die Labour Party mit 35 Prozent der Stimmen 55 Prozent der Sitze erringen konnte. Eine Koalitionsbildung ist unter diesen Umständen selten von Nöten, da der Wahlsieger in der Regel die absolute Mehrheit von über 50 Prozent im Parlament erreicht. Wenn das für eine Demokratie essentielle System der gegenseitigen Kontrolle nicht auf diese Umstände ausgerichtet ist, verschieben sich die Machtverhältnisse zugunsten eines Lagers. Bei Verhältniswahlrecht wird die Machtfülle der Regierungsmehrheit durch die meist notwendige Koalitionsbildung beschränkt. In einer Mehrheitsdemokratie funktioniert dieses Kontrollsystem weniger durch Koalitionen, sondern durch oppositionelle Kontrolle durch verfassungsrechtliche Instrumente wie Misstrauensvoten oder die Aufteilung der exekutiven Gewalt in Regierung und Präsidenten. In Rumänien sind all diese Mechanismen vorhanden, nur müssen sie so funktionieren, dass sie bei einer durch die Wahlrechtsreform bedingten Veränderung der Mandatsverhältnisse im Parlament die systeminhärente Kontrolle aufrechterhalten können.

Gerade im Hinblick auf die jungen Demokratien Osteuropas streitet die Politikwissenschaft schon lange über die Vor- und Nachteile der einzelnen Wahlsysteme samt ihrer Implikationen auf das politische System. Einen Königsweg gibt es nicht. Einig ist man sich darüber, dass das Wahlrecht zur politischen Kultur, dem Parteiensystem und zum Habitus der gegenseitigen Kontrolle passen muss. Deshalb ist das Wahlrecht kein Spielball der Regierung, der bei Amtsantritt eines Regierungschefs zum eigenen Vorteil manipuliert wird. Vor allem dann nicht, wenn es keine Mängel aufweist, sondern lediglich für den Bürger unverständlich ist. Es fänden sich andere Mittel und Wege, diesen Fehler zu korrigieren, man bräuchte nicht gleich die Mehrheitswahl einzuführen. Der langjährigen Forderung der USL-Spitze bleibt der fade Beigeschmack der Vorteilsnahme. Der Denkzettel, der der PDL bei den Kommunalwahlen verpasst wurde, hat eindrucksvoll bewiesen, dass diese Rechnung aufgehen könnte. Nur besteht bei zukünftigen Denkzetteln mit geltender Mehrheitswahl die Gefahr, dass die Machtbalance zu deutlich zugunsten eines Lagers verschoben wird.